Niederländische Forscher fanden heraus: Schon in der frühen Bronzezeit gab es in Mitteleuropa eine Art standardisierte Gemeinschaftswährung. Bei den Ringen und Barren spielte das Gewicht eine besondere Rolle. Vor allem bei Handelstransaktionen kamen sie vermutlich zum Einsatz.
Dem letzten König des im heutigen Anatolien ansässigen Lyder-Volksstammes wird um 550. v. Chr. die Erfindung der ersten, mit dem Fachbegriff Stater bezeichneten Geldmünzen aus Gold und Silber zugeschrieben. Wodurch der Herrscher namens Krösus nicht nur zum reichsten Mann der damals bekannten Welt aufsteigen, sondern auch seine Hauptstadt Sardes architektonisch prächtig ausgestalten konnte. Grundlegende Vorbedingung war dabei die Entwicklung früher Balkenwaagen, denn nur dadurch konnte ein einheitliches Gewicht der Münzen gewährleistet werden. Die ältesten Exemplare dieser Waagen konnten im alten Ägypten schon aus der Zeit um 5000 v. Chr. nachgewiesen werden, aber bis sie in den heutigen europäischen Kulturkreis gelangten, sollten noch Jahrtausende vergehen. In Italien tauchten sie erstmals um 1700 v. Chr. auf, nördlich der Alpen sogar erst um 1400 v. Chr.
Dennoch gab es in Mitteleuropa viel früher einen Vorläufer des heutigen Euros, mit dessen Hilfe die Völker der Bronzezeit vor etwa 4.000 Jahren vor allem Waren im Fernhandel erworben hatten, wie niederländische Archäologen der Universität Leiden unter Leitung von Prof. Maikel H. G. Kuijpers und Cătălin N. Popa in einer Anfang 2021 im Fachmagazin „Plos One“ veröffentlichten Studie nachweisen konnten. Für seine Forschungen konnte das Team von der Vorarbeit der deutschen Archäologin Prof. Majolie Lenerz-de Wilde profitieren, die schon 1995 erste Hinweise dafür gefunden hatte, dass Ösenringe und sogenannte Spangenbarren – die von ihrem Äußeren stark an Stangenbohnen erinnern – in der frühen Bronzezeit als eine Art von Protowährung Verwendung fanden.
Gewicht als Ausgangspunkt der Währung
Für ihre Studie untersuchten die niederländischen Forscher rund 5.000 bronzezeitliche Objekte, die aus mehr als 100 mitteleuropäischen Fundorten zusammengetragen worden waren, mehrheitlich aber aus dem heutigen Tschechien, aus Niederösterreich sowie aus Ost- und Südostdeutschland. Bei den Fundstätten der Ösenringe, Spangenbarren und Beilklingen handelte es sich um regelrechte Depots oder Horte, wo die überwiegend aus Kupfer, aber auch aus Bronze gearbeiteten Objekte in großen Mengen, teils sogar gebündelt, aufgefunden worden waren. Auffällig war dabei schon die optische Ähnlichkeit der Objekte, was als erster Hinweis auf eine Standardisierung und eine Massenfertigung bei der Herstellung schließen ließ. Das war letztendlich dem technologischen Fortschritt der Edelmetall-Verarbeitung zu verdanken, da erst dank der Verwendung von Bronze oder Kupfer die Möglichkeit zur Herstellung von einigermaßen identischen Objekt-Kopien geschaffen wurde und speziell der Bronzeguss größere Mengenproduktionen erlaubte.
Was die Wissenschaftler jedoch noch mehr überraschte, war die Tatsache, dass es besonders bei den Ösenringen und Spangenbarren kaum Unterschiede im Gewicht gab, obwohl die Menschen der Bronzezeit in Mitteleuropa über keine Waagen verfügten. Dafür könne es laut den niederländischen Forschern nur eine Erklärung geben: Man habe damals das Gewicht der Objekte mit der Hand abgeschätzt. Und zwar gemäß eines psychologischen Prinzips, das heute als Weber-Bruch bekannt ist. Das besagt, dass Menschen bei Objekten, die sich nur unwesentlich gewichtsmäßig unterscheiden, keinen Unterschied feststellen können. Ein Unterschied kann erst dann wahrgenommen werden, wenn die Gewichtsabweichung mindestens zehn Prozent beträgt. Bei der Analyse der 2.639 Ösenringe konnten die Forscher feststellen, dass gut 70 Prozent der Objekte ein nahezu identisches Gewicht hatten. Die Spannbreite schwankte nur gering zwischen 176 und 217 Gramm, die Objekte wichen also vom rechnerischen Mittelwert von 195,5 Gramm nur um maximal zehn Prozent ab. Ein ähnliches Ergebnis erbrachte das Wiegen der mehr als 1.100 Spangenbarren. Mehr als 71 Prozent davon wichen vom errechneten Mittelwert von 185,5 Gramm lediglich um maximal zehn Prozent ab.
Austausch von Gegenständen als Handelssystem
Alles schien sich daher um einen von den Bronzezeit-Menschen intuitiv angestrebten Wert von rund 200 Gramm zu drehen. Dies kann laut den Forschern damit zusammenhängen, dass Menschen die Masse eines Gegenstandes erst ab diesem Wert einigermaßen richtig einschätzen können. „Wir haben mehr Mühe, das Gewicht von Objekten zu unterscheiden“, so Prof. Maikel Kuijpers, „wenn es unter 200 Gramm liegt“. Bei den gut 200 Beilklingen waren die Gewichtsunterschiede schon deutlicher ausgeprägt, hier lagen nur gut 44 Prozent im Mittelwertbereich von 206 Gramm. Daraus zogen die Forscher folgendes Resümee: „Auch wenn Archäologen keinen Einblick in die damaligen Transaktionen haben, kann es keinen Zweifel daran geben, dass zumindest die Ringe und Barren der Definition einer Alltagswährung entsprechen.“ Und weiter: „Die Euro der Vorgeschichte kamen in Form von Bronzeringen, Rippen und Äxten. Diese frühbronzezeitlichen Artefakte waren in Form und Gewicht standardisiert und wurden als eine frühe Form von Geld verwendet.“
Ob man in diesem Zusammenhang wirklich schon von Geld sprechen kann, ist allerdings in der Forschung noch ziemlich umstritten. Zumal damals im täglichen Handel auch schon andere vormünzliche Zahlungsmittel, auch Primitivgeld oder Naturalgeld genannt, gebräuchlich waren. Sie traten teilweise an die Seite des direkten Tauschs von Waren gegen Waren: seltene Federn, Mineralien, Schneckenhäuser, Perlen oder Muscheln. Aber bei Handelstransaktionen in ferneren Regionen könnten Ringe und Barren eine wichtige Rolle gespielt haben, weil sie handlich zu transportieren waren und sich als hochgeschätztes Rohmaterial auch zur Weiterverarbeitung zu Schmuck oder Waffen bestens eigneten. „Ich würde von einem Handelssystem sprechen“, so Prof. Maikel Kuijpers, „das auf dem Austausch von Gegenständen mit einer einheitlichen Form und einem einheitlichen Gewicht basierte: also von Warengeld“.