Heizen, Geld und Hochwasserschutz: Drei Themen beherrschen heute, drei Monate nach einer der bislang schwersten Flutkatastrophen in Deutschland, das Ahrtal. Noch immer sind die Aufräumarbeiten im Gange.
Regen kann man das, was da vom Himmel tröpfelt, nicht wirklich nennen. Der graue Himmel lässt das Tal heute wahrlich trist aussehen, die braungefärbte Ahr zieht träge ihre Kreise durch die Ortschaften und ein stellenweise neu geschottertes, neu modelliertes Flussbett. Leere Straßen und Häuser, die meisten entkernt. An einigen wird gebaut, andere werden teilweise oder ganz abgerissen. Tausende Menschen schlafen nun woanders, bei Freunden, Verwandten, in Containerdörfern. Ihr Heim: meist unbewohnbar. Sie kommen ins Tal, um zu arbeiten, aufzuräumen. Doch es wird kalt, und der Fluss hat die meisten Heizungen und Gasleitungen herausgerissen.
Paul Ngahan von der landeseigenen Energieagentur Rheinland-Pfalz ist mit freiwilligen Helferteams seit Wochen im Tal unterwegs. Seine Mission: Heizungen beschaffen, wo sie benötigt werden. Der erste Überblick hat 9.000 betroffene Gebäude im Ahrtal identifiziert, wie genau sie betroffen sind und ob eine Heizung derzeit überhaupt Sinn macht, schaut sich Ngahan vor Ort an.
Übergangslösungen für die Heizperiode
Übergangslösungen müssen rasch gefunden werden, egal ob Öl, Flüssiggas, Pellets, Wärmepumpen oder Nahwärmenetze und Wärmeverbünde für mehrere, eng beieinanderstehende Häuser. Es gilt die Devise „alles ist legitim, was der Markt hergibt“. Für diesen Winter müssen die Menschen ihre provisorischen Heizanlagen nicht bezahlen, das übernimmt das Land. Durchlauferhitzer oder Radiatoren – schwierig, das hält das Stromnetz auf Dauer nicht aus. Im Raum Bad Neuenahr/Ahrweiler sind die Energienetze Mittelrhein für Gaslieferungen zuständig. Sie sind mit den Reparaturarbeiten bis zum Talgeingang schon sehr weit. Was sonst Jahre der Vorbereitung und Planung erfordert, dauert nun gerade mal zwölf Wochen. „Für uns wird dies eine Daueraufgabe durch den ganzen Winter hindurch“, stellt Axel Bernatzki von der Energieagentur fest. Perspektivisch soll das Tal aber eine Vorzeigeregion für regenerative Energien werden, irgendwann, wenn sich die Menschen sortiert haben.
Freiwillige aus ganz Deutschland stellen weiter ihre Arbeitskraft zur Verfügung, damit dies schnell vorangeht. Marc Ulrich organisiert zusammen mit Thomas Pütz den „Helfer-Shuttle“ von Grafschaft aus, oberhalb des Tals. „Angefangen haben wir mit einem Campingtisch“, erzählt Ulrich von den Anfängen kurz nach der Flut. Mittlerweile ist eine Zeltstadt daraus entstanden. Er selbst hat bei Freunden mit angepackt. „Dabei kam mir die Idee: Wir brauchen viel mehr Hilfe.“
Mittlerweile zählt die ehrenamtliche Organisation mehr als 75.000 Freiwillige, die bereits im Tal ware. Viele kommen mehrmals, in kleinen Gruppen, mit dem Freundeskreis, aus Vereinen. Für die Infrastruktur, Sprit oder Wasser, kommt mittlerweile der Krisenstab auf.
„Wir leisten zielgerichtet Hilfe: Wer Hände braucht, kann sein Gesuch online einstellen, wir teilen die Helfertrupps ein und fahren sie mit Bussen hin.“
Zum Winter hin ändern sich die Anträge: Wo vorher Schlamm geschippt wurde, mussten danach Estrich und Putz abgestemmt werden. Ohne die Helfer wäre das Tal jetzt nicht so weit, wie es nun ist. Jetzt geht es oft um handwerkliche Tätigkeiten. „Wir wollen den Fachgewerken keine Konkurrenz machen. Aber wir machen weiter, solange wir gebraucht werden“, so Ulrich.
Auch wenn der Landkreis wieder die Federführung vom Land übernommen hat, noch immer sind die Katastrophendienste im Einsatz. Stefan Seitz vom Technischen Hilfswerk ist seit dem 20. Juli immer wieder im Ahrtal eingesetzt – ehrenamtlich, wie er betont, und deshalb wie alle seine Kollegen nicht durchgehend. Die Einsatzgruppen wechseln sich ständig ab. Es sei gut, dass das THW nun auch etwas mehr in den Blickpunkt rücke, sagt Seitz. „Viele Menschen glauben, wir schlafen mit der Schippe über dem Bett und warten in einer Kaserne auf unseren Einsatz“, scherzt er. Stattdessen hat ihn sein Arbeitgeber, die Bundeswehr, für diesen Einsatz freigestellt. Derzeit sind noch mehr als 100 ehrenamtliche THW-Helfer im Tal, aber ihre Aufgaben und ihre Zahl werden weniger: Strom- und Trinkwassernetz sind weitgehend wiederhergestellt. Das THW darf keine anderen Aufgaben als den unmittelbaren Katastrophenschutz übernehmen, langfristige Aufräumarbeiten sind der Privatwirtschaft überlassen, so will es das Gesetz.
Brückenbau bleibt wichtige Aufgabe des THW
Zentral bleibt für das Hilfswerk in den kommenden Wochen der Brückenbau. Von 73 Brücken im gesamten Ahrtal sind 62 zerstört. Mittlerweile sind zehn zivile Behelfsbrücken vom THW für den Verkehr freigegeben, weitere zwölf sind in Planung.
„Dafür reisen unsere Fachgruppen für den Brückenbau meist am Wochenende an“, so Seitz. „Dann ist es auch für deren Arbeitgeber leichter, die Leute dafür freizustellen.“ Vorarbeiten wie die Brückenfundamente setzen private Unternehmen. Die Brücke selbst wird, weil sie nur aus wenigen Teilen konstruiert ist, vormontiert und innerhalb von
kurzer Zeit eingehoben.
Überall im Tal rattern Hämmer, klappern Kettenbagger, wirbeln schwere Lkw Staub auf, wenn es nicht regnet. Von Blankenheim bis Sinzig eine einzige Großbaustelle. Frank Mann und sein Unternehmen aus Rosenheim im Westerwald sind seit Tag fünf der Katastrophe vor Ort. Im Augenblick baggern seine Leute ein Regenrückhaltebecken oberhalb von Rech leer, das bis zum Rand mit Geröll und Gehölz gefüllt ist. Wer was wo und wann anpackt, stimmt er mit Bürgermeister Dominik Gieler ab. „Ohne dessen unermüdliche Arbeit“, sagt Mann, „wäre Rech noch nicht da, wo es heute ist“.
Rech gehört zur Verbandsgemeinde Altenahr. Sie ist am stärksten von den Verwüstungen der Flut betroffen, auf 1,5 Milliarden Euro Schaden schätzt der Kreis die Schäden alleine an der kommunalen Infrastruktur, abgesehen von jenen an Leib, Leben und Seele.
Finanziell weniger, aber emotional ebenso stark betroffen ist die Verbandsgemeinde Adenau weiter ahraufwärts. 150 Millionen Euro Schaden verzeichnet Verbandsbürgermeister Guido Nisius in seinem Verantwortungsbereich alleine an kommunaler Infrastruktur. „Gott sei Dank ist bei uns niemand ums Leben gekommen“, sagt Nisius erleichtert. Die Kläranlage ist wieder in Betrieb, jeder hat Strom und Trinkwasser. Seit die Fluten kamen, ist er im Dauerkrisenmodus. Nicht jammern, „Nerven behalten“, das war und ist sein Leitspruch, auch in dieser Situation.
Das war nicht immer einfach. Tagelang war er auch, wie alle anderen kommunalen Vertreter und Rettungskräfte vor Ort, auf sich allein gestellt. „Wir haben uns mit alten Analog-Funkgeräten beholfen.“
Bürgermeister sind im Dauer-Krisen-Modus
Viel Zeit zum Reden hat er nicht: Heute Abend ist Bürgerversammlung in Schuld, dem Ort in der Flusskehre der Ahr, den auch die Kanzlerin kurz nach dem Unglück besucht hat. Die Bilder des Ortes, dessen Straßen teils meterhoch mit Schwemmgut verstopft waren, haben sich in das kollektive Gedächtnis der Menschen hier eingegraben. Ob diese angesichts dessen, was war, bleiben wollen? Bürgermeister Nisius hat derzeit keinen Überblick darüber. Erste Eindrücke davon, wer bleibt und baut, oder wer geht und verkauft, gibt es an diesem Abend. Quer durch das Tal finden derzeit 17 Bürgerversammlungen von Land, Kreis und Gemeinden statt. Heute treffen sich die Menschen von Schuld in der Freilichtbühne, oben am Hang.
Es geht um den Hochwasserplan, den die Wasserbehörde vorläufig, so betont sie, aufgestellt hat, um den Wiederaufbaufonds in Höhe von 15 Milliarden Euro, und wie man an das Geld herankommt. Günter Kern, ehemaliger Landrat und nun Verbindungsmann zwischen dem Land und den Kommunen, moderiert die Veranstaltung und nimmt auch Fragen von Betroffenen entgegen, die schon entschieden haben, zu verkaufen.
Nein, den Wiederaufbaufonds können sie nicht an die neuen Besitzer der Grundstücke weiterreichen, den müssen sie selbst beantragen, sagt der Vertreter der rheinland-pfälzischen Investitionsbank, die den Fonds managt. Ja, Häuser in den Gefahrengebieten, die noch stehen, dürfen natürlich dort bleiben, sagt der Vertreter der SGD, der Struktur- und Genehmigungsdirektion Nord, die auch die Wasseraufsicht im Land führt. Hier gilt der Eigentumsschutz. Häuser in jenem stark flutgefährdeten Gebiet direkt an der Ahr, die nicht mehr stehen, dürfen aber auch nicht wiedererrichtet werden. Gerüchte sind im Umlauf, 1.600 Häuser im Tal müssten nach dem neuen Plan abgerissen werden. Falschmeldungen sind seit Tag eins ein Ärgernis für die Bewohner, Kritik an der Informationspolitik der Verwaltung wird laut, und Günter Kern muss beruhigen. Wer umbaut oder neu baut, wird gefördert, inklusive Hochwasserschutz für das neue Zuhause. Zum Beispiel wasserdichte Fenster und Türen, die nach außen aufgehen, oder eine „schwarze Wanne“, also eine wasserdichte Bitumenschicht, unterm Haus.
Fluss und seine Auen sollen verbreitert werden
Und wie geht es mit der Ahr selbst weiter? Umweltverbände hatten bereits vor Monaten gemahnt, dass die gleichen Fehler nicht noch einmal gemacht werden dürfen. Der Hochwasserschutz habe nun Priorität. Schulds Bürgermeister Helmut Lussi ergreift das Wort. Die Ahr werde fünf Meter breiter, erzählt er, die Flussauen tiefer. Dadurch werde dem Wasser mehr Raum geboten. Eine Radbrücke, die mal zum Ahrtal-Radweg gehörte, habe man übrigens wiedergefunden. Sie soll wiederaufgebaut werden. Also, fünf Meter länger. Gelächter im Publikum. Alle anderen Brücken, die neu gebaut werden müssen, sollen einen möglichst weiten Bogen spannen – ohne Pfeiler. Denn vor allem an den Pfeilern der alten Rundbogenbrücken hatten sich in der Flutnacht Tonnen an Schwemmgut festgesetzt und immensen Druck aufgebaut. Nach dem Bersten jeder Brücke rollte eine noch höhere Welle die Ahr hinab, und das soll künftig vermieden werden. Apropos Schwemmgut. Auch das Bergen von totem Gehölz entlang des Flussbettes soll auf die Tagesordnung. Das Wasser riss neben noch lebenden Bäumen auch viel Totholz mit.
Insgesamt verläuft der Abend sachlich. Viele stecken noch in ihren Arbeitsklamotten. Einer der Fragesteller an diesem Abend lebt seit zehn Jahren in Schuld und will es auch weiterhin. Sein Haus hat er mitsamt Hab und Gut in der Flutnacht wegschwimmen sehen und darf es auch nicht mehr aufbauen. Es stünde sonst im Gefahrengebiet. Von dem Geld aus dem Wiederaufbaufonds des Landes und des Bundes würde er sich gerne ein Mobile Home für ein anderes Grundstück kaufen.
Ein Haus, ja, aber eines, das man „mit dem Trecker schnell wegziehen kann“. Nur für den Fall.