Eine Regierungskrise im Nachbarland wurde durch den Rücktritt von Sebastian Kurz und die Berufung von Alexander Schallenberg zum Bundeskanzler beigelegt. Ein Blick auf die Geschehnisse und deren Konsequenzen.
Fesch is a!“ Die junge Wählerin strahlte bei einer Straßenbefragung zur Person Sebastian Kurz in die Kamera. Im Dezember 2017 wurde er Österreichs Bundeskanzler – mit 31 Jahren weltweit der jüngste Regierungschef. In Deutschland staunte man. Die „Ösis“ hatten den Generationensprung geschafft. Fortan regierte im Nachbarland eine ÖVP-FPÖ-Koalition. Sebastian Kurz war auf dem politischen Parkett bekannt, da er das Amt des Außenministers seit 2016 innehatte. Aus dieser Zeit, der Ära Kern (SPÖ) und Mitterlehner (ÖVP) Regierung, stammen die jüngsten Vorwürfe, die eine Regierungskrise auslösten.
Hausdurchsuchung im Bundeskanzleramt
Sebastian Kurz wollte höher hinaus und seinen Chef Reinhold Mitterlehner beerben. Kurz ist ein Mann mit Ambition. Ein Talent mit politischem Instinkt. Wie kam er ans Ziel? Die schnipselartig veröffentlichten Chatnachrichten zwischen ihm und seinen Getreuen geben Einblick: „Wie kann man das verhindern?“, fragt Kurz als Kern/Mitterlehner ein Projekt zur Kinderbetreuung ausverhandeln. Vizekanzler Mitterlehner sollte in der Regierungskoalition schlecht dastehen. Kurz würde somit als strahlender Retter erscheinen. Der Plan ging auf. Die Chats offenbaren einen rüden Ton. Von Sittengemälde ist die Rede. Das wiegt umso schwerer, da Kurz als Saubermann angetreten war.
Die jüngste Affäre in der österreichischen Innenpolitik ist sowohl moralisch als auch strafrechtlich zu betrachten,sie ist jedoch keine spezifisch österreichische. Welche Mittel, um zu Macht und Einfluss zu gelangen, sind legitim? Welche legal? Wie weit ist jemand bereit zu gehen? Diese Fragen sind universell. Sie sind in allen Gesellschaften, zu allen Zeiten aktuell. Nicht nur in der Politik.
Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft ermittelt. Richterlich angeordnete Hausdurchsuchungen fanden im Bundeskanzleramt, im Finanzministerium, der ÖVP-Zentrale und im Gebäude der Verlagsgruppe Österreich statt. Die strafrechtlichen Vorwürfe drehen sich um die Frage, ob fingierte Umfragen mit Steuergeld bezahlt als auch Scheinrechnungen für Werbung ausgestellt wurden. Lanciert wurden diese Kampagnen seinerzeit 2016 aus dem Finanzministerium, von einem, der sich selbst als „Prätorianer“ bezeichnet hat, von Thomas Schmid, dem damaligen Generalsekretär im Finanzministerium. Gegen zehn Beschuldigte im Umfeld laufen Ermittlungen zur Causa. Welche Rolle spielt besagte Mediengruppe? Welche die Medien? Unvoreingenommener Journalismus wird zunehmend von Haltungsjournalismus übertrumpft. Die Regierung gibt Millionenbeträge für Werbe-Inserate aus. Gänzlich unabhängig von wohlgefälliger Berichterstattung?
„Ich möchte daher, um die Pattsituation aufzulösen, Platz machen. Um Chaos zu verhindern und Stabilität zu gewährleisten“, erklärte Sebastian Kurz am 9. Oktober in einer abends eiligst einberufenen Pressekonferenz. Rücktritt auf Österreichisch. Warum die Eile? Wieso „Pattsituation“? Der Grüne-Koalitionspartner Werner Kogler, seit Januar 2020 Vizekanzler sowie Bundesminister für Kunst, Kultur, öffentlichen Dienst und Sport in der Bundesregierung Kurz II, stellte die Amtsfähigkeit des Kanzlers in Frage und baute Druck auf. Und die SPÖ-Vorsitzende Pamela Rendi-Wagner, tat etwas, was kaum einer für möglich gehalten hatte: Sie traf sich mit Herbert Kickl. Er und seine FPÖ gelten als Schmuddelkinder – mit denen spricht man nicht. Rendi-Wagner sprang über ihren Schatten, um den Misstrauensantrag, der für den 12. Oktober gegen Kurz geplant war, vorzubereiten.
Das Platzmachen von Kurz hatte die Palast-Parlaments-Revolte erstickt. Pamela Rendi-Wagner wird von den eigenen Reihen als schwache SPÖ-Vorsitzende wahrgenommen. Sie setzt zur eigenen Profilierung auf die Fehler anderer. Zweifach hat sie bewiesen, Person und Partei vor die Interessen des Landes zu stellen. Obendrein gerade dann, wenn Bundespräsident Alexander Van der Bellen aufruft, diese Spielchen zu unterlassen. So geschehen, als Sebastian Kurz dem Bundespräsidenten nach der „Ibiza-Affäre“ eine Übergangsregierung vorgeschlagen hatte. Rendi-Wagner sorgte dafür, dass Kurz, samt dieser Übergangsregierung, per Misstrauensvotum abserviert wurde. Der Sachverhalt wurde in den deutschen Medien kaum beachtet, zudem als die darauf nachfolgende Übergangsregierung mit Bundeskanzlerin Brigitte Bierlein erfolgreich war. Tatsache ist, dass die Wähler dieses Scharmützel dechiffriert haben und die SPÖ keine Punkte sammeln konnte. Sie wählten Sebastian Kurz 2019 erneut zum Bundeskanzler.
Während Bundespräsident Alexander Van der Bellen am 11. Oktober 2021 bei der Angelobung von Alexander Schallenberg zum Bundeskanzler, erneut mahnte, die Interessen des Landes über die von Person und Partei zu stellen, organisierte Rendi-Wagner ein weiteres Manöver. Wissend, dass keine Stimmenmehrheit zu erreichen war, stellte die SPÖ am 12. Oktober einen Misstrauensantrag gegen Finanzminister Gernot Blümel. Die kritische Beobachtung der Regierung ist eine wichtige Aufgabe der Opposition. Das Vertrauen der Wähler in die parlamentarische Demokratie wird jedoch zusätzlich geschwächt, wenn Abgeordnete das Parlament als Schauplatz für Show-Einlagen missbrauchen.
Vorverurteilung durch Opposition
„Diese Regierungskrise ist beendet“, sagte Van der Bellen nach den Benennungen von Alexander Schallenberg zum Bundeskanzler und Michael Linhart zum Außenminister. Wirklich? Schallenberg sorgte nach der Angelobung beim Presse-Statement mit dem Satz: „Ich halte die im Raum stehenden Vorwürfe für falsch“ für einen Sturm der Entrüstung. Darf ein Bundeskanzler seine private Meinung in dieser Weise kundtun? Greift der Bundeskanzler mit dieser Äußerung der Justiz vor? Die Medien zeigten sich darüber hinaus unisono entrüstet, als Schallenberg darlegte, dass er mit Sebastian Kurz eng zusammenarbeiten werde. Einzig der österreichische Journalist und Fernsehmoderator Hans Bürger reflektierte selbstkritisch: „Hundert Tage Schonzeit hat es früher für einen neuen Bundeskanzler geheißen, jetzt geben wir ihm nicht einmal eine Stunde.“
Das Regieren wird für Schallenberg nicht einfach. Da ist der grüne Koalitionspartner, der sich Kurz gegenüber als untreu erwiesen hat. Da ist das Wort vom „Schattenkanzler“, das von der Opposition in Umlauf gesetzt wurde, womöglich auch in den Grünen-Köpfen Platz greift. Da sind Journalisten, die Druck aufbauen auch ohne Tatsachen zu kennen. Hält dieses Koalitionsbündnis bis September 2024 oder müssen vorher Wahlen ausgerufen werden?
Kann Sebastian Kurz neuerlich als Bundeskanzlerkandidat aufgestellt werden? Das hängt zuallererst davon ab, ob die Vorwürfe ausgeräumt werden können. Und davon, wie lange das Verfahren durch die unabhängige Justiz dauert. Zu betrachten ist auch, ob die regierenden ÖVP-Landeshauptleute von Kurz abrücken. Sebastian Kurz ist mittlerweile einfacher Abgeordneter zum Nationalrat und Klubobmann des ÖVP-Parlamentsklubs. Fesch bleibt er.