Philipp Leist ist gleich nach Urgestein und Torwart Darius Jonczyk der Dienstälteste im Team von Handball-Drittligist HG Saarlouis. Der Rechtsaußen trägt seit 2009 das grün-weiße Trikot und hat darin schon so manchen Rollenwechsel mitgemacht.
Als Philipp Leist im zarten Alter von 19 Jahren als Handball-Talent von der HSG/DJK Nordsaar zum damaligen Zweitliga-Aufsteiger HG Saarlouis wechselte, war die Rollenverteilung klar: Der Jungspund musste erst einmal auf dem damaligen Drittliga-Niveau ankommen und um seinen Platz im Kader kämpfen. Inzwischen ist der Linkshänder 31 Jahre alt und damit im besten Handball-Alter. „Wobei: Es fühlt sich an wie 41“, wirft er scherzhaft ein. Schließlich hatte er im Laufe seiner Karriere schon Fuß, Hand und Rippe gebrochen sowie eine Knie-Operation und zwei Schambein-Entzündungen hinter sich gebracht. Seine Rolle im Team hat sich in den vergangenen zwölf Jahren immer wieder gewandelt. Zuletzt nach dem Abstieg aus der 2. Bundesliga im Jahr 2018: „Natürlich wollten wir nicht aus der 2. Bundesliga absteigen, aber für mich war das gar nicht so schlecht“, gibt Leist zu und ergänzt: „Ich kann mich gar nicht daran erinnern, in den ersten beiden Spielzeiten danach überhaupt mal ausgewechselt worden zu sein. Das ist schon eine große Verantwortung.“
Inzwischen ist er einer der erfahrensten und vor allem Leistungsträger. Früher war das anders. Lange fand sich Leist in der Rolle des Backups wieder, also desjenigen, der gebraucht wird, wenn die Nummer Eins auf seiner Position einen schlechten Tag erwischt oder sich verletzt hat. Manchmal – wie zum Beispiel in der letzten Zweitliga-Saison mit dem damals 20-jährigen Lars Weissgerber, waren die „Vorgesetzten“ sogar jünger als er. „Wenn es dann mal so weit war, und ich reinkam, dachte ich mir immer: Hoffentlich verkacke ich es nicht“, erinnert er sich, „Heute denke ich: Ich muss heute schon abliefern. Wenn ich ein Totalausfall bin, können wir uns nicht noch einen erlauben.“ Nach dem Abstieg wechselte Weissgerber zum Erstligist HSG Wetzlar, und plötzlich war Philipp Leist derjenige, der jede Woche liefern musste. „In die neue Rolle musste ich mich erst einfinden und habe schon auch Druck gespürt“, verrät er, „Aber ich hatte vorher oft genug in der Halle rumgesessen. Es hat mich schon gereizt, auf der Platte noch mal etwas mehr zu zeigen. Gerne auch regelmäßig.“
Auch beruflich kam der Abstieg gerade recht: 2016 hatte Leist ein Psychologiestudium begonnen und die ersten vier Semester parallel zum Zweitliga-Handball absolviert. „Das war schon hardcore-stressig“, gibt er zu: „Wir hatten damals acht Mal pro Woche Training und dazu der viele Lernstoff. Das war echt hart. Ich weiß nicht, ob ich lange weitergespielt hätte, wenn wir nicht abgestiegen wären.“ Nach dem Abstieg dann Besserung auf allen Ebenen: weniger Stress und mehr Spielanteile. Sein Studium schloss er innerhalb der Regelstudienzeit nach zehn Semestern ab und seit 1. September dieses Jahres arbeitet er als Psychologe in einer Klinik in Wallerfangen – fast in Wurfweite zur Stadtgartenhalle.
Er kommuniziert mit den Talenten
Dass ihm das Zwischenmenschliche liegt, wissen Menschen, die Philipp Leist kennen, nicht erst seit seiner Berufswahl. Für das Mannschaftsgefüge und den Teamgeist war die gesellige Frohnatur bei der HG seit jeher wichtig – egal, ob als Edelreservist oder Leistungsträger. Er kommuniziert ohnehin gerne, auch mit den jungen Talenten, die einst wie er in den Erstmannschaftskader aufrückten. Mit Tipps und Tricks unterstützt er sie im Training und auch im Spiel. Ihnen auf der Platte mehr Sicherheit zu geben „ist schon mein Ding“, stellt er dabei fest. „Man merkt, dass bei den ganzen Trainingseinheiten, die ich schon so absolviert habe, auch etwas hängen geblieben ist. Es ist ganz natürlich, dass man den anderen, die teilweise aus der Jugend oder der 4. Liga hochgekommen sind, unter die Arme greift“, findet Leist.
Angesichts des durchwachsenen Saisonstarts ist Philipp Leist ohnehin als Führungsspieler gefordert. Sein krankheitsbedingter Ausfall wog zuletzt schwer. „Wir haben in den ersten Wochen schon gegen die ersten Drei der Tabelle gespielt, die zusammengenommen von ihren ersten 17 Spielen nur eines verloren haben“, rechnet er vor, „Von den letzten sechs Teams in der Tabelle haben wir erst gegen eins gespielt.“ Natürlich hätte er mit Saarlouis gern einen besseren Start hingelegt und sich selbst im oberen Tabellenbereich eingefunden. „Aber es gibt einfach Mannschaften in der Liga – wie beispielsweise Dansenberg, die auf einem anderen Level spielen“, stellt er klar und analysiert selbstkritisch: „Es ist einfach so: Unsere Leistungsgrenze liegt irgendwo an der Grenze des Mittelfeldes zur Spitze der Tabelle. Wenn man an dieser Grenze spielen muss, schafft man das mal 30 Minuten, mal 45, aber irgendwann reißt es dann ab.“ Das kennt er noch aus vergangenen Zweitliga-Zeiten. „Auch da konnten wir gegen jeden 50 Minuten gut mithalten und dann haben wir doch noch verloren. Beim THW Kiel wären es vielleicht drei Minuten, bei einem schwächeren Erstligisten vielleicht zehn Minuten. Das ist dann kein Pech, sondern der Gegner ist einfach stärker“, weiß er.
Das gelte jetzt aber nur für die ersten Drei der Tabelle: „Gegen den Rest ist immer was drin“, findet Leist und verortet seine HG in Staffel F im Bereich zwischen den Aufstiegsrunden-Qualiplätzen eins und zwei und dem Beginn der Abstiegsrunden-Zone ab Platz sieben. „Mit dem Abstieg sollten wir jedenfalls nichts zu tun haben“, stellt er klar, „Wir haben auch gegen die Starken vieles gut gemacht, das sehen wir immer wieder bei den Videoanalysen. Wenn wir das auch gegen schwächere Gegner gut machen, wird es reichen.“ Ob er sich überhaupt vorstellen könnte, mit Saarlouis wieder in der 2. Bundesliga zu spielen? „Es wäre zwar wieder etwas stressiger. Aber wenn wir das wirklich nochmal schaffen könnten und ich bin dabei in meiner neuen Rolle – dann könnte ich dazu niemals nein sagen!“, betont er pflichtbewusst und ergänzt: „Ich fände es auf jeden Fall cool, wenigsten einmal in meiner Karriere um die Meisterschaft zu spielen. Meine beste Platzierung mit der HG war Zwölfter oder so.“ Das reichte zwar nach einer erfolgreichen Relegation oder dem sicheren Klassenerhalt, „um mit Schampus zu spritzen. Aber mal wirklich ganz vorne mitspielen, das wäre schon geil.“ Handball-Meister Leist. Wieder eine neue Rolle, die ihm gut zu Gesicht stehen würde.