Bei den Partnern der Großen Koalition im Saarland steigt die Fieberkurve langsam an. Wahlkampftaugliche Themen sorgen für Streit. Gleichzeitig will die GroKo bis zum letzten Tag gemeinsam verantwortungsvoll regieren.
Streit kommt in den besten Familien vor. In Koalitionen mit unterschiedlichen Partnern, die naturgemäß unterschiedliche Interessen und Schwerpunkte haben und deren Zusammenarbeit ohnehin nicht einer Liebeshochzeit entsprungen ist, kann also wenig verwundern, wenn Reibereien auch öffentlich ausgetragen werden. Je näher der Wahltermin rückt, umso deutlicher tritt das zutage.
Die Spitzen der Koalition, Ministerpräsident Tobias Hans (CDU) und seine Stellvertreterin, Wirtschaftsministerin Anke Rehlinger (SPD) werden dabei nicht müde zu beteuern, dass die Große Koalition bei allen Unterschiedlichkeiten, wenn es um die Belange des Landes geht, professionell und vertrauensvoll zusammenarbeitet – und das soll auch bis zum Schluss so bleiben. Beiden Partnern ist klar, dass Wähler, die um die Probleme des Landes wissen, monatelangen Dauerzoff in der Koalition nicht goutieren würden.
Damit beginnt der Spagat, mit dem die beiden Großkoalitionäre bereits Erfahrung sammeln konnten. Schon vor fünf Jahren war die Konstellation zur Landtagswahl ganz ähnlich. CDU und SPD hatten die massive Herausforderung (Haushaltssanierung für die Schuldenbremse) angepackt, waren mit der Arbeit aber eigentlich erst in der Hälfte der Strecke angekommen. Eine Fortführung der GroKo schien logisch, die Frage war nur, mit wem an der Spitze. Die Führungsfrage steht auch diesmal im Zentrum, aber die Bedingungen dafür sind gänzlich anders.
Die Bedingungen haben sich verändert
Die SPD hat sich schon früh neu aufgestellt. Bereits vor zwei Jahren hat sie ihr Personal neu positioniert, Christine Streichert-Clivot wurde Bildungsministerin, ihr Vorgänger Ulrich Commerçon Fraktionschef im Landtag. Für die neue Ministerin Zeit genug, sich im Amt zu bewähren. Wobei sie damals noch nicht ahnen konnte, welche Herausforderung mit der Pandemie auf sie zukommen würde. Ulrich Commerçon kann an der einflussreichen Schaltstelle als Fraktionschef einerseits für die parlamentarische Unterstützung der Regierung sorgen. Andererseits ist er genau in dieser Position nicht mehr in die Kabinettsdisziplin eingebunden, um immer wieder Unterschiede zum Koalitionspartner deutlich zu machen und auch schon mal, mangels schlagkräftiger Opposition im Landtag, ein bisschen in diese Rolle schlüpfen. Was nichts an seinen Beteuerungen ändert, mit seinem CDU-Kollegen Alex Funk eine gute Zusammenarbeit zu pflegen.
Der große Wechsel in der CDU war Anfang 2018 der Übergang von Annegret Kramp-Karrenbauer zu Tobias Hans. Gleichzeitig wurde Stephan Toscani Landtagspräsident, Peter Strobel folgte ihm im Finanzministerium. Später folgten Umbesetzungen auf der Ebene der Staatssekretäre, ansonsten verzichtete die CDU entgegen immer wieder auftauchende Spekulationen auf ein größeres Personalrevirement. Dass die langgedienten Klaus Bouillon (Innen, Bauen) und Monika Bachmann (Soziales, Gesundheit) noch für eigene Optionen in den Wahlkampf ziehen, ist derzeit noch im spekulativen Raum.
So aufgestellt beharken sich die Partner in verteilten Rollen schon seit geraumer Zeit immer mit der Gefahr, zwischen eigener Profilierung und gemeinsamer Regierungsarbeit das Gleichgewicht zu verlieren, wie bei einem kleinen Drahtseilakt.
Für die SPD war Innenminister Klaus Bouillon, der zudem noch das undankbare Bauministerium übernehmen musste, immer eine Attacke wert. Innere Sicherheit und Polizei sind originär landespolitische Felder und immer für Diskussionsstoff gut, angefangen von Ausrüstung über Personalausstattung bis hin zu Videoüberwachung und Polizeipräsenz in der Fläche. Innere Sicherheit ist für die Menschen im Land immer ein sensibles Thema und für Politik ein Feld, in dem unterschiedliche Verständnisse besonders artikuliert werden. Trotzdem ist es im Vergleich zu früheren Phasen relativ ruhig geworden, für die Polizei hat die GroKo einiges auf den Weg gebracht. Dagegen hat das Bau-Thema eine immer größere Bedeutung bekommen, das neu geschaffene Bauministerium aber wohl nicht die notwendige personelle und technische Ausstattung, um dem wirklich gerecht zu werden.
Für die CDU ist dagegen das Bildungs- insbesondere das Schulthema ein Feld, auf dem sich Unterschiede zum Koalitionspartner besonders deutlich herausstellen lassen und wo die Arbeit der zuständigen SPD-Ministerin unter besonderer argwöhnischer Betrachtung steht.
Bildungspolitik ist eines der Felder, die nicht nur in direkter Länderhoheit stehen, sondern wo sich auch die ideellen bis ideologischen unterschiedlichen Grundverständnisse am deutlichsten formulieren lassen. Und weil es immer um eine gute Zukunft der Kinder geht, kann dabei nicht nur jeder mitreden, es ist auch immer emotional aufgeladen. Bildungsminister, darauf hat einmal der Ex-Ressortchef Ulrich Commerçon hingewiesen, liegen durch die Bank in allen Ländern bei Beliebtheitswerten nicht gerade an der Spitze. Bildungspolitik spaltet eben zwischen Anhängern und Gegnern jeweiliger Grundausrichtungen.
Beim Thema Bildung gibt es große Differenzen
Allerdings hat die Pandemie mit ihren ganz besonderen Herausforderungen für Schulen und allen, die mit Schule zu tun haben, die klassische Debatte etwas in den Hintergrund gerückt, dafür neue Themen auf die Agenda gesetzt, oder richtiger: eigentlich bekannten Themen (Stichwort Digitalisierung) ein ganz neues Gewicht verliehen und neue Fragen aufgeworfen, über die sich im Wahlkampf zwar trefflich streiten lässt, die aber andere Antworten brauchen als sie die klassischen Schuldebatten in der Vergangenheit geliefert haben.
Dass unlängst Windräder Gegenstand zu einer öffentlich ausgetragenen Diskussion zwischen den Koalitionspartnern geführt haben, ist möglicherweise in erster Linie dem Versuch geschuldet, für den Wahlkampf symbolische Themen zuzuspitzen, deren Diskussion immer mit viel Emotion einhergeht, damit auch mobilisiert werden kann.
Interessant ist dieses neue Koalitionsstreitthema vor dem Hintergrund, dass zwei bisherige Protagonisten zurzeit weitgehend ausfallen. Einmal die Linken-Fraktion, namentlich ihr Chef Oskar Lafontaine, für den die Windradfrage schon lange ein sehr persönliches Thema ist. Und auf der anderen Seite die Grünen, die sich aktuell mit anderen Problemen herumschlagen als mit dem Ausbau erneuerbarer Energien.
Auch die Diskussion um die SVolt-Ansiedlung, genauer die Diskussionen und Abstimmungen im Überherrner Gemeinderat, trägt Wahlkampfzüge. Es lässt sich trefflich darüber streiten, welche Rolle einem Gemeinderat bei einem Projekt dieser Dimension zukommt. Formal ist die Antwort dazu übrigens klar. Aber es ist schon bemerkenswert, wie das Abstimmungsverhalten einer Fraktion (der CDU) im Gemeinderat zu einem landesweiten Politikum geworden und ein Streit um die parteipolitische Deutungshoheit dieses Vorgangs entbrannt ist. Wobei auch hier festzuhalten ist, dass die Regierungsspitzen in der Sache mit einer eindeutigen und gemeinsamen Sprache sprechen.
Was kennzeichnend ist für die Vor-Wahlkampfphase. Die Auseinandersetzungen werden im Wesentlichen aus den Fraktionen und Parteien geführt, am Kabinettstisch ist man offensichtlich sehr bedacht, bei allen Diskussionen vor allem Handlungsfähigkeit und Verlässlichkeit zu demonstrieren.
Deshalb wird auch spannend, wie sich der Tonfall entwickelt, wenn die Spitzenkandidaturen auch offiziell bestätigt sind. Und wie sich Themen und Akzentuierungen herauskristallisieren, wenn sich die Frage möglicher Koalitionskonstellationen nach der Wahl deutlicher abzeichnet. Die Plan- und Farbenspiele gibt es natürlich schon jetzt im Licht der Bundestagswahlergebnisse. Aber sie sind doch noch sehr im spekulativen Bereich. Das wird sich im November und Anfang Dezember deutlicher abzeichnen, wenn die Parteien im Saarland ihre Aufstellungen geklärt haben und auch klar ist, nicht nur wer in Berlin regiert, sondern was bei den dortigen Koalitionären auf der Agenda im Koalitionsvertrag steht.