Wo sind all die Saarländer hin? Seit Mitte der 90er-Jahre schrumpft die Bevölkerungszahl des kleinsten Bundeslandes. Das hat mit dem demografischen Wandel zu tun – und mit der Abwanderung von Fachkräften. Eine Halte- und Rückholagentur soll dies ändern.
Im Moment flattern in einige saarländische Haushalte Befragungsbögen. Im Begleitschreiben ist von der Vorbereitung zum Zensus die Rede, sprich: 2022 ist es so weit, dann zählt Deutschland wieder seine Bevölkerung, wie sie wohnt und arbeitet. Eine wichtige Grundlage für politische Entscheidungen.
Klar ist eines: Im Saarland schrumpft die Bevölkerung. Seit 1994, mit Höchststand von knapp über einer Million, sank die Zahl der Einwohner auf heute 983.991 Menschen. Das klingt erst einmal nach nicht viel Unterschied, aber der Trend zeigt weiterhin nach unten. Und dieser macht sich denn auch finanziell bemerkbar: Der Bund-Länder-Finanzausgleich wird abhängig von der Zahl der Einwohner ausgezahlt. 5.000 Euro pro Kopf zahlt der Topf des Finanzausgleichs an ein Bundesland – entsprechend geht dem Saarland Geld verloren, wenn die Einwohnerzahl sinkt. Zudem fehlen Fachkräfte. Hier will die Landesregierung nun ansetzen – mit einer sogenannten Rückhol- und Halteagentur.
„Die Agentur ist ein kleiner Baustein, um dem Fachkräftemangel und Bevölkerungsschwund im Saarland entgegenzuwirken", so Saarlands Wirtschaftsministerin Anke Rehlinger (SPD). Die Rückhol- und Halteagentur ist bereits am 15. Oktober gestartet und bei der Saarland Innovation und Standort (Saaris) angesiedelt, die bereits das Saarland-Marketing und das Demografie Netzwerk Saar betreut. In einer ersten Phase bis 2023 soll das Projekt komplett aus EU-Mitteln in Höhe von knapp 600.000 Euro finanziert werden. Dann folgt eine Evaluierung, die feststellen soll, welche Erfolge das Projekt bislang erbracht hat. Eine Anschlussfinanzierung aus EU- und Landesmitteln danach ist nicht ausgeschlossen.
Weniger Saarländer, weniger Geld
Die Agentur soll vor allem Studierende, Hochschulabsolventen, Berufspendler und Fachkräfte im Saarland oder mit saarländischen Wurzeln für Jobchancen im Saarland sensibilisieren, heißt es seitens des Wirtschaftsministeriums. Dazu soll zunächst ein umfassendes Netzwerk aufgebaut und alle Unterstützungsangebote auf einer Plattform gebündelt werden. Mit Öffentlichkeitsarbeit, Veranstaltungen und Aktionen will man sowohl kleine und mittlere Unternehmen als auch Fachkräfte ansprechen und miteinander in Kontakt bringen.
„Die Agentur kann ein Lotse sein, wenn man ins Saarland möchte, weil man zum Beispiel zurück in die Heimat will. Oder eben ein wichtiger Hinweisgeber, wenn ich nach beruflichen Chancen suche und sie vermeintlich nur außerhalb finde", so die Wirtschaftsministerin.
Eine solche Agentur ist keine saarländische Erfindung: Es gibt sie bereits seit 20 Jahren in Mecklenburg-Vorpommern. „MV4You" nennt sich das Projekt dort, arbeitet allerdings unter völlig anderen Voraussetzungen und in anderen Strukturen – so erhält die Agentur eine erfolgsabhängige Prämie vom Land, wenn sie erfolgreich einen Arbeitnehmer zurückgeholt oder zum Bleiben bewegt hat.
Dennoch kann sie dazu beitragen, den eklatanten Fachkräftemangel im Saarland zu lindern – wenn dieser Ansatz früh, „hochschulnah", wie Rehlinger sagte, verfolgt, und nicht alleine, also mit Unternehmen zusammen, verfolgt wird.
Denn viele Potenziale sind bereits ausgeschöpft. Laut der Bundesagentur für Arbeit ist dies zum Beispiel bei der Erwerbstätigkeit von Frauen der Fall. Mehr Möglichkeiten böten nur noch in Vollzeitarbeit umgewandelte Teilzeitjobs, die im Saarland bei Frauen besonders stark nachgefragt sind.
Mittlerweile dauere es doppelt so lange als noch 2011, einen Arbeitsplatz im Land zu besetzen. Viele Stellen fehlen bei Klempnern oder in Pflegeberufen. Und schon bevor die Corona-Pandemie Tausende Minijobs in der Gastronomie und der Hotellerie vernichtete, war die Lage dort angespannt. Das ist nicht besser geworden, im Gegenteil. Zudem suchen mehrere Tausend Handwerksbetriebe im Land händeringend einen Nachfolger.
„Der anhaltende Fachkräftemangel in vielen Branchen der Saarwirtschaft bietet gerade jungen Menschen gute Chancen auf einen attraktiven Arbeits- und Ausbildungsplatz", wirbt IHK-Hauptgeschäftsführer Frank Thomé. Doch die Zahl der Auszubildenden, die tatsächlich einen Ausbildungsplatz finden, geht zurück. Das liegt vor allem daran, dass Azubi und Betrieb nicht zusammenpassen – weil entweder die Betriebe die Azubis nicht für geeignet halten oder den Azubis der Betrieb nicht gefällt. Wer einen Ausbildungsplatz und einen geeigneten Betrieb findet, hat jedoch im Saarland statistisch gesehen die höchste Chance, gleich nach der Ausbildung übernommen zu werden. Gleichzeitig steigt die Zahl der Studierenden immer weiter an: 2020 zählten die Saar-Hochschulen 31.461 Studierende, 2010 waren es knapp 25.000.
Studierendenzahl steigt an
Doch der Nachwuchs, der im Saarland geboren wird, sinkt, die Geburtenzahlen gehen zurück. Laut Eurostat steigt zwar die sogenannte Fertilitätsrate, also die statistische Anzahl von Geburten im Leben einer Frau, leicht auf 1,48. Dennoch liegt das Saarland damit am Ende der bundesdeutschen Skala. Dafür steigt die Anzahl älterer Menschen. „Während 1970 nahezu jeder dritte Einwohner jünger als 20 Jahre war, ist es heute nur jeder Sechste. Demgegenüber ist der Anteil der über 65-Jährigen im Saarland im gleichen Zeitraum von 12 auf 24 Prozent gestiegen", errechnete das Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung. „Bis 2050 werden die Zahl und der Anteil älterer Menschen weiter deutlich zunehmen. Zugleich nimmt die Bevölkerung im typischen Erwerbsalter zukünftig ab. Sind gegenwärtig 59 Prozent der Einwohner zwischen 20 und 64 Jahre alt, könnten es entsprechend der 14. koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung zur Jahrhundertmitte nur noch 53 Prozent sein." Deshalb wird das Land künftig mehr und mehr von Migration abhängig sein, um die industrielle Basis und damit verbunden auch Handwerksbetriebe und Dienstleistungen aufrechtzuerhalten.
Bis 2040 prognostiziert das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit dem Saarland einen Bevölkerungsrückgang um acht Prozent auf dann nur noch 900.000 Menschen. Volker Giersch, Ex-IHK-Chef bis 2015, fordert in seinem aktuellen Buch „Land im Wandel" (siehe auch Saarland Spezial, aktuelle Ausgabe) auch deshalb ein vorausschauendes volkswirtschaftliches Programm für das Saarland, mehr Migrationsanreize von anderen Bundesländern und das Halten junger Fachkräfte im Land, vor allem von Ingenieurinnen und Ingenieuren. Eine Halte- und Rückholagentur kann die Probleme der erwerbstätigen Bevölkerung alleine nicht lösen, dessen ist sich auch die Wirtschaftsministerin bewusst. Aber es kann eine Stellschraube von vielen sein, an der gedreht werden muss, um das Räderwerk im Saarland am Laufen zu halten.