Flüchtlinge lassen sich nicht dauerhaft aussperren, Schmuggler finden Mittel und Wege. Diese Situation nutzt Diktator Lukaschenko aus. Für die EU wird es dringend Zeit, eine gemeinsame Strategie zu entwickeln.
In Europa werden wieder Mauern aufgerichtet, Grenzen gezogen und Zäune gebaut. Zwölf von 27 EU-Staaten erwägen Grenzbefestigungen dieser Art. Die an Belarus angrenzenden EU-Länder Litauen, Lettland und Polen haben mit dem Bau von Hunderten Kilometer langen Zäunen begonnen. Ungarn und Kroatien haben bereits Stacheldrahtzäune gegen Süden errichtet. Griechenland hält Tausende von Flüchtlingen auf den Inseln fest. Spanien hat mittlerweile eine Doppelreihe Zäune in Ceuta gebaut. Und überall, wo es Flüchtlingen gelingt, die Barrieren zu überwinden, werden sie zurückgedrängt: push back. Die EU – das hat der jüngste EU-Gipfel wieder gezeigt – hat kein einheitliches Konzept, wie man mit den Flüchtlingen umgehen soll. Eine Reform der gemeinsamen Asyl- und Migrationspolitik ist nicht absehbar.
„Politik auf dem Rücken von Menschen"
Diese Lage nutzt der Diktator Lukaschenko mit Putins Rückendeckung gnadenlos aus. Der belarussische Präsident hatte Ende Mai angekündigt, dass Minsk Migranten nicht mehr an der Weiterreise in die EU hindern werde – als Reaktion auf verschärfte westliche Sanktionen gegen sein Land. Seitdem nahm die Zahl der Direktflüge aus Beirut, Damaskus und Amman nach Minsk zu, und es vermehren sich versuchte illegale Grenzübertritte an den EU-Außengrenzen zu Belarus sowie an der deutsch-polnischen Grenze. Selbst die sonst so vorsichtig formulierende Noch-Kanzlerin Angela Merkel hat sich empört gezeigt und sprach von „Menschenhandel": „Hier wird auf dem Rücken von Menschen Politik gemacht und erfolgt eine politische Instrumentalisierung." Langfristig verfolgt der russische Machthaber Wladimir Putin das Ziel, Europa zu destabilisieren und am Ende zu spalten. Die Reaktion der europäischen Staats- und Regierungschefs bei ihrer vorigen Tagung in Brüssel war schwach. Die EU-Kommission, hieß es, solle mögliche Änderungen am gemeinsamen Rechtsrahmen sowie konkrete Maßnahmen vorschlagen, damit schnell und angemessen auf derlei Angriffe reagiert werden könne. Vielmehr als die Verhängung weiterer Sanktionen wird da nicht herauskommen.
Mittlerweile hat sich die Situation an der deutsch-polnischen Grenze zu einem Brennpunkt in diesem Flüchtlingspoker entwickelt. Die Bundespolizei registrierte im Oktober nach eigenen Angaben fast 4.000 unerlaubte Einreisen mit einem Bezug zu Belarus, im laufenden Jahr seien es insgesamt 6.200. Viele der dort ankommenden Migranten und Flüchtlinge stammen aus dem Irak, aus Syrien, dem Iran, Afghanistan und Pakistan. Unterdessen nahm Polens Grenzschutz binnen 24 Stunden 14 mutmaßliche Fluchthelfer fest. Sie sollen Migranten beim Überqueren der Grenze zu Belarus geholfen haben. Darunter seien auch zwei Deutsche, die in einem Lieferwagen 34 Iraker beförderten.
Der Vorsitzende der Bundespolizeigewerkschaft, Heiko Teggatz, hat mittlerweile temporäre Grenzkontrollen zu Polen gefordert. Wegen der hohen Zahl illegaler Einreisen drohe anderenfalls ein „Kollaps" an den Grenzen. „Seit mehreren Monaten steigen die Zahlen der Aufgriffe nahezu explosionsartig an", warnt Teggatz in einem Schreiben an Innenminister Horst Seehofer (CSU). Polen hat auf den Vorschlag zunächst zurückhaltend reagiert. Jedenfalls sind sich beide Staaten einig, dass verschärfte Kontrollen oder gar eine Schließung der Grenze wegen der Zehntausenden von Pendlern nicht infrage kommt.
„Wir dürfen Polen nicht alleine lassen"
Brandenburgs Innenminister Michael Stübgen (CDU) hat den Vorschlag zu gemeinsamen Grenzpatrouillen der Bundespolizei mit der polnischen Polizei begrüßt. „Wichtig ist für mich: Wir dürfen vor allem unsere polnischen Nachbarn nicht mit dem Problem alleine lassen. Für Brandenburg ist auch die zentrale Registrierungsstelle entscheidend, die ich vergangene Woche mit dem Bundesinnenminister vereinbart habe. Sie wird von Bundespolizei und BAMF eingerichtet und bedeutet eine enorme Entlastung für Brandenburg. Grenzkontrollen oder gar Grenzschließungen würden das tägliche Leben für zigtausend Deutsche und Polen in der Grenzregion enorm belasten. Es bleibt dabei, was ich bereits mehrfach deutlich gemacht habe: Die künstlich erzeugte Flüchtlingswelle wird man nicht an der Oder beenden. Wir können in Brandenburg nur die Symptome heilen, die Ursache sitzt in Minsk und die Lösung in Moskau."
Stübgen hat auch die jüngste Aktion der Rechtsextremisten an der Grenze verurteilt. In der Nacht zu Sonntag griff die Polizei 50 Personen auf, die dem Umfeld der rechtsextremen Splitterpartei „Der Dritte Weg" zuzurechnen sind. Die Partei wollte mit der Aktion gegen Migranten an der Grenze vorgehen. Bei der Überprüfung der aufgegriffenen Personen stellte die Polizei Pfeffersprays, ein Bajonett, eine Machete und Schlagstöcke sicher. Die Beteiligten bekamen allesamt Platzverweise für die Grenzregion.
Der Bund wird sich an der deutsch-polnischen Grenze weiter engagieren. Es habe schon jetzt den Grenzschutz mit acht Hundertschaften Bundespolizei verstärkt, sagte Innenminister Horst Seehofer der BamS. „Falls notwendig, bin ich bereit, dort noch weiter zu verstärken. Wir werden den Grenzraum und die grüne Grenze zu Polen engmaschig kontrollieren." Gleichzeitig hat Polen auf seiner Seite 10.000 Soldaten stationiert. Die Grenze zu Belarus im Osten wird ebenfalls scharf überwacht: Dort hat das Militär kilometerweise Stacheldraht ausgerollt.