Die Hollywoodstars Jennifer Aniston und Reese Witherspoon im Gespräch zur zweiten Staffel ihres TV-Hits „The Morning Show" über Karriere-Druck und Cancel Culture, und welchen Preis man für den Erfolg bezahlen muss.
Ms. Aniston, Mrs. Witherspoon, wie haben Sie „The Morning Show" weiterentwickelt?
Aniston: Die zweite Staffel nimmt den Faden dort auf, wo die erste aufgehört hat. Ging es in der ersten Staffel vor allem noch um sexuellen Missbrauch in einem US-Nachrichtensender und um die #MeToo-Problematik, werden diesmal viele neue Ideen miteingewoben. Natürlich gibt es auch weiterhin die Rivalität zwischen den beiden Anchor-Women Bradley und Alex, die Reese und ich spielen. Der Zuschauer wird auch Zeuge der großen Probleme, die sie dadurch beruflich, aber auch privat haben. Es rücken auch die Leute wieder mehr in den Fokus, die gefeuert oder aussortiert wurden – Stichwort Cancel Culture. Es gibt viele überraschende Wendungen, die wir natürlich nicht verraten wollen. Und wir haben einen Besetzungscoup gelandet: Wir haben Julianna Margulies mit an Bord geholt. Sie ist ja bestens bekannt aus den Kult-Serien „Emergency Room: Die Notaufnahme" und „The Good Wife". Julianna spielt eine mit allen Wassern gewaschene Power-Frau. Die zweite Staffel ist definitiv aufregender und schärfer als die erste.
Witherspoon: Die zweite Staffel steigt noch tiefer in die Materie ein, und die Charakterzeichnungen sind noch komplexer. Sie beginnt zum Jahreswechsel 2019/2020, also kurz vor dem großen Shutdown durch die Covid-19-Pandemie. Außerdem thematisieren wir den Rassismus im Showbusiness, die immer noch weitverbreitete Homophobie, und dass ältere Menschen bei uns in den USA so schnell zum alten Eisen geworfen werden. Für mich war auch sehr wichtig, dass sich die Beziehung zwischen Bradley und Alex rasant weiterentwickelt. Und was die beiden mit ihrer neuen Macht im Nachrichtensender anfangen.
Aniston: Mir war auch sehr wichtig, dass wir hier keinen Western, keine Science-Fiction oder eine Eskapismus-Serie drehen, sondern eine, die wahnsinnig aktuell ist und Themen anspricht, die uns allen unter den Nägeln brennen.
Witherspoon: Und dass wir diesen Themen gerecht werden und sie nicht verzerrt, sondern wahrhaftig darstellen. Auf eine sehr unterhaltsame Art und Weise.
Aniston: Der größte Kick für mich ist, dass wir dabei absolut auf der Höhe der Zeit sind. Diese Dinge passieren doch jeden Tag irgendwo in Amerika! Uns war es sehr wichtig, dass wir die Dinge nicht schwarz-weiß malen. Denn Menschen sind doch viel komplexer, als dass man sie so einfach auf „gut" oder „böse" reduzieren sollte. Wir befassen uns deshalb eher mit den „grauen Zonen". Außerdem zeigen wir, was Menschen hinter verschlossenen Türen so sagen. Wenn sie das öffentlich sagen würden, wären sie sofort weg vom Fenster. Das ist leider die bittere Realität. Endlich mal keine Euphemismen und Worthülsen, sondern Klartext. Da sage ich als Zuschauer: „Ja, endlich! Das bin ich!"
Welche Auswirkungen hatte die Pandemie auf diese Produktion?
Aniston: Die waren sehr brutal. Wir hatten ja die ersten Folgen schon abgedreht, als der Lockdown kam. Daraufhin wurden ganze Storys komplett umgeschrieben, um der aktuellen Situation Rechnung zu tragen. Als wir mit dem Drehen wieder beginnen konnten, waren die Auflagen extrem. Aber das war okay, denn unsere größte Sorge war, dass alle gesund aus den Dreharbeiten herauskommen würden, was wir tatsächlich geschafft haben. Es war teilweise wirklich bizarr. Während der Proben hatten wir alle unsere Masken an und hielten die Sicherheitsabstände ein. Als dann gedreht wurde, waren die Masken weg, als ob sich das Virus plötzlich in Luft aufgelöst hätte… (lacht)
Witherspoon: Es hat uns auch sensibler gemacht für andere Menschen. Für viele in Amerika und im Rest der Welt hatte – und hat leider immer noch – das Virus schreckliche Folgen.
Was haben Sie beide aus Ihrer Zusammenarbeit mitgenommen?
Witherspoon: Jede Menge! Ich habe von Jennifer viel gelernt. Und das nicht nur, wenn ich mit ihr gemeinsam vor der Kamera stand, sondern auch, wenn ich ihr bloß beim Schauspielern zuschaute.
Aniston: Das gilt auch für mich. Reese und ich kennen uns ja schon sehr lange. Wir haben immer gegenseitig verfolgt, was die andere gerade macht. Wir respektieren und mögen uns sehr. Und ich bin wirklich dankbar, dass wir nach all den Jahren auch mal gemeinsam vor der Kamera stehen konnten.
Ms. Aniston, das trifft sicher auch auf Julianna Margulies zu …
Aniston: … oh ja, Julianna kenne ich schon aus meinen Anfängen bei „Friends". Da ging es auch mit ihrer Karriere gerade richtig los. Ich finde es übrigens sehr mutig von ihr, dass sie mit Laura Peterson eine LGBT+-Rolle übernommen hat. Laura wurde wegen ihrer sexuellen Präferenz gefeuert, kommt aber wieder zurück – stärker und abgeklärter als je zuvor. Und spaziert geradewegs in einen „The Morning Show"-Shitstorm…
… und bringt als Laura die fragile Balance zwischen Alex und Bradley erst recht ins Wanken …
Aniston: Dass die Drehbuchautoren dafür keinen Mann, sondern eine Frau genommen haben, finde ich außergewöhnlich cool. Julianna meinte: „Was für großartige Zeiten es doch für Frauen im Fernsehen sind!"
Wir leben in einer Zeit, wo der Druck auf jeden von uns extrem ist. Einerseits verlangt man von uns, jederzeit perfekt zu sein – andererseits sind wir alle sehr schnell ersetzbar.
Witherspoon: Oh mein Gott, wie recht Sie haben! Diesen Druck habe ich während meiner ganzen Karriere gespürt – und spüre ihn immer noch. Ich glaube auch, dass wir noch nie in einer Zeit lebten, die Fehler und Unzulänglichkeiten so wenig verzeiht. Wir sind doch alle Menschen, die zu schlimmen Dingen, aber auch zu großartigen Dingen fähig sind. Wenn jemand mal gestrauchelt ist, bedeutet das heutzutage fast unmittelbar, dass er gesellschaftlich vernichtet wird. Ich finde schon, dass jeder eine zweite Chance bekommen sollte.
Aniston: Ersetzbar im Showbusiness? Absolut! Ich habe diese Bedrohung sehr oft empfunden. Unsere Show wendet sich ja auch gerade deshalb gegen diese inhumane Art der Cancel Culture.
In „The Morning Show" spielen Sie zwei sehr engagierte TV-Journalistinnen. Haben Sie durch diese Rollen neue Einsichten in punkto Journalismus gewonnen?
Witherspoon: Das ist eine sehr interessante Frage. Der Journalismus hat sich in den letzten Jahren drastisch verändert. Außerdem steht er auch in harter Konkurrenz zu den sozialen Medien. Und wir wissen doch mittlerweile alle, was da täglich für Lügen und Fake News verbreitet werden. Obwohl es auch seriöse Nachrichten-Outlets gibt, ist es für den Normalverbraucher immer schwieriger, das Wahre vom Falschen unterscheiden zu können. Ich erlebe das Dilemma hautnah bei meinen Kindern. Die informieren sich – im Gegensatz zu mir – nur noch online. Und das ist das Problem.
Aniston: Es gibt da wirklich einen Generationenkonflikt. Die Kids von heute sehen die Welt fast alle nur noch weiß oder schwarz. Früher hat man sich von den Morgennachrichten sehr gut informiert gefühlt. Da wurde einem ein gültiger aktueller Blick auf Amerika und auf die Welt vermittelt. Das existiert nicht mehr. In den letzten Jahren sucht sich doch fast jeder die Nachrichten, die er mag, selbst aus. Und die haben mit der tatsächlichen Wirklichkeit oft nur noch wenig zu tun.
Witherspoon: Wenn ich ehrlich bin, finde ich es ganz gut, dass ich in einer Zeit aufgewachsen bin, wo ich vieles überhaupt nicht wusste, gar nicht wissen konnte. Nachrichten wurden da noch selektiert und bewertet. Heutzutage werden wir doch mit Nachrichten geradezu bombardiert. Und da die Spreu vom Weizen zu trennen, ist wirklich sehr schwer geworden. Ich schalte mich auch mal aus dem Informationsfluss weg. Um durchzuatmen. Aber ich habe einen großen Respekt vor echtem Journalismus. Und ich finde, dass er wichtig und unerlässlich ist. Ich bin sehr glücklich, dass ich in einem Land lebe, in dem es Pressefreiheit gibt.
„Ruhm und Erfolg muss man teuer bezahlen", sagen Sie als Alex in der Show. Mussten Sie als Jennifer auch viel dafür bezahlen?
Aniston: Das fragen Sie mich jetzt nicht im Ernst? (Lacht) Ich musste einen sehr hohen Preis dafür bezahlen, um in Hollywood erfolgreich sein zu können. Das trifft sicher auch auf Reese zu und auf viele von uns. Andererseits hat mir mein Beruf so viel Schönes gegeben und so viel Freude bereitet. Ich bin vielen kreativen und interessanten Menschen begegnet und konnte sogar mit ihnen arbeiten. Als Künstlerin will ich ja im Spotlight stehen und beachtet werden. Alles andere wäre doch geheuchelt. Und letztlich kann ich doch auch immer selbst bestimmen, welchen Preis ich wirklich zahlen will. Von mir werden Sie diesbezüglich also kein Gejammer hören. Im Gegenteil: Ich bin unendlich dankbar.
Witherspoon: Ich stimme Jennifer in jedem Punkt zu. Allerdings verabscheue ich es, wenn Menschen sich einen Sport daraus machen, einen grundlos in die Pfanne zu hauen. Oder Sätze, die man mal gesagt hat, aus dem Kontext zu reißen, nur um einen schlecht dastehen zu lassen. Das versuche ich immer weniger an mich heranzulassen. Denn ich fühle mich eigentlich in meiner Haut sehr wohl.
Was mögen Sie an Alex, was an Bradley am meisten?
Aniston: An Alex liebe ich, dass sie hochprofessionell ist und dann im nächsten Moment total aus der Rolle fällt, weil sie sich nicht mehr kontrollieren kann oder will. Alex ist ein menschliches Pendel mit extrem hohen Ausschlägen.
Witherspoon: In dieser Staffel ist Bradley sehr verletzlich. Sie beginnt, ihre Vergangenheit aufzuarbeiten. Das zu spielen hat mir sehr viel Spaß gemacht. Denn ich kenne viele Menschen, die in ihren Vierzigern immer noch nicht wissen, wer sie eigentlich sind und was sie mit ihrem Leben anfangen wollen.