Die Corona-Pandemie hat Schwachstellen der Globalisierung offengelegt
ikro-Chips für den Computer. Aluminiumfelgen für den Wagen. Müsli fürs Frühstück. Auf der ganzen Welt fällt Verbrauchern auf, dass Güter knapp werden. In manchen Supermärkten fehlt plötzlich Toilettenpapier in den Regalen. Anderswo bekommen Autokäufer nicht ihre Wunschfarbe für das neue Fahrzeug. Flugzeuge haben Verspätung, weil die Crew auf die Lieferung von Nahrungsmitteln wartet. Wenn Warenmangel auf große Nachfrage trifft, ziehen die Preise an. Das ist ein Grund, warum die Inflationsrate in diesen Wochen flächendeckend steigt.
In Zeiten der Pandemie hat ein Wort Konjunktur, das bislang vor allem in Handbüchern für Volkswirtschaft auftauchte: Lieferketten. Es handelt sich hier um den komplexen Weg, den Waren und Dienstleistungen von der Herstellung bis zum Transport in das Endverkaufsgeschäft zurücklegen. Bevor der Kunde ein Produkt erwirbt, wurden Teile davon oft Tausende Kilometer rund um den Erdball verschickt. Dann kommt die Endmontage. Zum Schluss landen die zusammengebauten Artikel im Laden. So sieht die globale Arbeitsteilung aus. Lange ging das gut.
Doch mit der dramatischen Ausbreitung des Coronavirus im Frühjahr 2020 begannen die Lieferketten-Probleme. Länder mit einer hohen Dichte an Fabriken – China, Südkorea, Taiwan, aber auch Industrie-Giganten wie Deutschland – wurden durch die Seuche besonders stark getroffen. Viele Firmen machten dicht oder kürzten die Fertigung. Grund: Die Arbeitnehmer wurden krank oder mussten wegen des Lockdowns zu Hause bleiben. In Erwartung der schrumpfenden Nachfrage strichen die Reedereien ihr internationales Netz an Routen zusammen. Die Schiffe blieben im Hafen, die Container im Lager.
Das ist aus Sicht des einzelnen Unternehmens verständlich, aber für die Weltwirtschaft erwies es sich als schädlich. Zwar erlitten Branchen wie Gastronomie, Tourismus oder der Fitness-Sektor heftige Einbrüche. Gleichzeitig fand eine Verschiebung im Konsumentenverhalten statt. Viele Menschen in Deutschland verwandelten ihre Küche oder ihr Wohnzimmer in ein Homeoffice oder einen Klassenraum. Sie schafften sich Computer, Drucker oder Bürostühle an. Der Keller wurde zum Mini-Sportstudio oder Heimkino umfunktioniert. Das Interesse an diesen Produkten nahm schlagartig zu.
Viele Betriebe wurden kalt erwischt. Sie bekamen die nötigen Vorprodukte nicht geliefert. Ein Computer, der in China zusammenmontiert wird, braucht Chips aus Taiwan oder Malaysia, einen Flachbildschirm aus Südkorea sowie Elektronikteile und Spezialchemikalien aus Ostasien oder Europa. Für den plötzlichen Run auf diese Komponenten fehlten die Handelsschiffe. Auf der anderen Seite stapelten sich verkaufsfertige Waren an Häfen, weil nicht genügend Tanker zur Verfügung standen.
Zu wenige Container und eine steil nach oben schießende Nachfrage nach bestimmten Gütern: Kein Wunder, dass die Transportkosten durch die Decke gingen. Vor Ausbruch der Pandemie wurden für eine Containersendung von Schanghai nach Los Angeles rund 2.000 Dollar fällig. Anfang 2021 schlug die Reise mit 25.000 Dollar zu Buche.
Die Lieferketten-Probleme haben sich in der Zwischenzeit verschärft. Nach der Aufhebung der starren Lockdown-Maßnahmen in immer mehr Ländern zog die 2020 weltweit eingebrochene Konjunktur in diesem Jahr wieder an. Vor allem China, aber auch die USA und zum Teil Europa verzeichneten satte Wachstumsraten. Die Reedereien konnten mit dem steigenden Bedarf an Waren nicht Schritt halten.
Ein Stück weit hat sich die Weltwirtschaft mit der Globalisierung selbst ein Schnippchen geschlagen. Die alle Kontinente umspannende Just-in-time-Produktion, bei dem nur die Stückzahl an Gütern produziert und geliefert wird, die für die Erfüllung der Kundenaufträge erforderlich ist, basiert auf Knappheit. Lagerung würde Geld kosten, das für andere Zwecke gebraucht wird. Kommt es zum Abbau von Transport-Kapazitäten sowie zu plötzlichen Nachfrageschüben wie in der Pandemie, gerät die globale Wirtschaft in eine Schieflage.
Das Weihnachtsgeschäft wird die Engpässe und Verzögerungen noch verstärken. Danach dürfte sich der Corona-Schock aber nicht in Luft auflösen. Der Chef der US-Zentralbank, Jerome Powell, erwartet, dass die Ruckeleien bei den Lieferketten „wahrscheinlich bis ins nächste Jahr" anhalten.