Die Füchse Berlin legen den besten Saisonstart der Vereinsgeschichte hin und mausern sich zum ernsthaften Meisteranwärter. Ob das Team schon so weit ist, zeigt sich in den nächsten zwei Duellen.
Noch vor ein paar Monaten hätte der Anblick des verletzten Fabian Wiede bei Jaron Siewert für Schweißausbrüche größeren Ausmaßes gesorgt. Auch jetzt reagierte der Trainer der Handball-Füchse besorgt, als sich der Nationalspieler im Auswärtsspiel beim TBV Lemgo Lippe in der ersten Halbzeit am Knie verletzte und nicht mehr weiterspielen konnte. Von einem „großen Verlust" sprach Siewert hinterher. Doch er hatte schon im Moment der Verletzung gewusst, dass seine Bank diesen Ausfall kaum kompensieren kann. Nils Lichtlein kam aber für Wiede in die Partie – und das 18 Jahre alte Talent spielte herzerfrischend und erfolgreich. Lichtlein war es auch, der mit seiner Vorlage auf Siegtorschütze Lasse Andersson den 28:27-Auswärtserfolg in Lemgo mitverantwortete – und damit auch den Clubrekord: Mit 17:1 Punkten sind die Füchse so gut wie noch nie in eine Saison gestartet. „Wir kommen richtig gut in die Partie, viele Dinge funktionieren so wie wir sie uns vorgestellt haben", lobte Siewert. Laut Linksaußen Miloš Vujović schwebe das Team auf einer Erfolgswelle: „Wir machen gerade einen wirklichen guten Job, deshalb ist alles positiv." Doch Andersson, der im Welthandball schon alles erlebt hat, warnte: „Das Momentum spricht gerade für uns, aber wir müssen weiter von Spiel zu Spiel schauen. Es muss uns immer egal sein, wie viele Spiele wir schon gewonnen haben."
Zwei spannende Spiele stehen an
Denn jetzt kommt ein Doppelpack, der es in sich hat. Am 10. November (19.05 Uhr) gastierten die Berliner bei Ex-Meister SG Flensburg-Handewitt, drei Tage später empfangen sie Tabellenführer SC Magdeburg (18.05 Uhr). Für das brisante Ost-Duell gegen den noch punktverlustfreien SCM wird eine ausverkaufte Max-Schmeling-Halle erwartet, doch auch die Fans ohne Eintrittskarte können das Spiel live verfolgen: Die ARD überträgt die Partie, was beiden Clubs eine enorme Reichweite und prominenten Platz für (Eigen-)Werbung verschafft. „Für die Füchse ist es das erste Livespiel in der ARD-Sportschau überhaupt, daher freuen wir uns sehr auf ein Millionenpublikum", sagte Geschäftsführer Bob Hanning, der wegen des „riesengroßen logistischen Aufwands" ein Dankeschön an alle Partner verschickte.
Die Füchse haben in den ersten neun Ligaspielen nur einen Punkt liegen gelassen – und das nicht gegen irgendwen: Beim 28:28 zu Hause gegen Titelverteidiger THW Kiel hatte nicht viel gefehlt, und die Füchse hätten den kriselnden Branchenprimus in die Knie gezwungen. Auf jeden Fall deuteten sie schon damals an, dass mit ihnen in diesem Jahr bei der Titeljagd zu rechnen ist. Im Vorjahr sei man aufgrund von Corona und diverser Verletzungen durch „schwierige Phasen" gegangen, sagte Andersson, „jetzt ist das anders". Die Mannschaft kenne sich besser „und jeder von uns weiß, was der andere macht. Das zahlt sich aus."
In der Tat ist die Eingespieltheit ein großes Plus des Teams, die Laufwege und Abstimmungen passen. Genau wie die Mentalität, denn nicht in allen Spielen wussten die Füchse wirklich zu glänzen. Aber in der Crunch-Time zeigten sie bislang eine große Nervenstärke. „Manchmal machen wir Fehler, manchmal treffen wir nicht", sagte Andersson: „Doch das Wichtige ist, dass wir wissen, dass wir es besser können, weitermachen und nicht den Kopf hängen lassen."
Trotz des Höhenflugs glauben die Berliner nicht, dass sie plötzlich unschlagbar seien. Dafür sorgt schon die Clubführung um Geschäftsführer Bob Hanning und Sportvorstand Stefan Kretzschmar. Vor allem der frühere Weltklasse-Handballer legte zwischendurch auch immer mal wieder den Finger in die Wunde. Beim auf dem Papier klaren Heimsieg gegen die TuS N-Lübbecke (30:22) Mitte Oktober vermisste Kretzschmar die absolute Professionalität bei seinen Spielern – und das gab er ihnen auch mit auf den Weg. „Da habe ich nicht den nötigen Fokus gesehen, um Lübbecke vielleicht auch vernichten zu wollen. Da bleibt für mich so ein kleiner Wermutstropfen", hatte Kretzschmar kritisiert.
Auch im Umgang mit einer Erfolgsserie zeigt sich bekanntlich, ob ein Spieler das Zeug zum Champion hat. Lehnt er sich zurück oder arbeitet er noch härter, damit dieser Zustand möglichst lange bleibt? „Zwischen einer nötigen Leichtigkeit und Leichtfertigkeit", sagte Kretzschmar warnend, „liegt halt manchmal nur ein Millimeter." Dem 48-Jährigen ist aufgefallen, „dass eine absolute Ernsthaftigkeit gegenüber vermeintlich schwächeren Gegnern einigen Spielern vielleicht etwas schwerfällt". Diese Einstellung werde „nicht immer gut gehen" – in den anstehenden Topspielen gegen Flensburg und Magdeburg ist das aber kein Problem. Ein Spieler, der weder gegen große noch gegen kleine Teams ein Motivationsproblem hat, ist Lasse Andersson. In seinem zweiten Jahr bei den Füchsen dreht der dänische Weltmeister mächtig auf, mit seiner enormen Sprungkraft, Schnelligkeit und Torgefährlichkeit ist er längst ein Fixpunkt. Rechnet man die Siebenmeter-Tore raus, ist Andersson sogar vor Rechtaußen Hans Lindberg der erfolgreichste Werfer im Füchse-Team. „Bei uns läuft es gerade einfach, und ich versuche, meinen Teil dazu beizutragen", sagt er gewohnt bescheiden.
„Bei uns läuft es gerade einfach"
Verantwortlich für seinen Leistungssprung sei auch, dass er sich inzwischen in Berlin viel heimischer fühlt als nach seiner Ankunft im Sommer 2020, als die Corona-Pandemie noch vieles überlagert hatte. „Man konnte kaum etwas machen und anstatt der pulsierenden Stadt, von der mir alle erzählt haben, gab es hier nur eine Menge Grau", erinnert sich Andersson zurück: „Das war sehr langweilig." Inzwischen pulsiert die Hauptstadt wieder, der Rückraumspieler fühlt sich deutlich wohler. Das sieht man auch auf dem Parkett, und das tut der Mannschaft gut.
Auch in der European League stehen die Füchse noch mit „weißer Weste" da. Auf das 32:30 zum Auftakt über Fenix Toulouse folgte ein 36:23-Kantersieg gegen den slowakischen Club Tatran Presov. In der Tabelle der Vorrundengruppe A lauern die in der Tordifferenz nur einen Treffer schlechteren Berliner hinter Orlen Wisla Plock aus Polen auf Platz zwei. Wichtiger ist für Siewert aber die Erkenntnis aus den bisherigen Europacupspielen, dass auch der zweite Anzug passt. Gegen Presov schonte der Trainer die Leistungsträger Dejan Milosavljev, Marko Kopljar, Fabian Wiede, Lasse Andersson und Jacob Holm über weite Strecken des Spiels.
Dafür bekamen Torhüter Fredrik Genz und Rechtsaußen Valter Chrintz als Startspieler sowie Marian Michalczik, Johan Koch und Nils Lichtlein deutlich mehr Einsatzzeiten als sonst. Auch der lange verletzte Abwehrspieler Viran Morros startete erstmals für die Füchse, damit er mit Blick auf die Topspiele gegen Flensburg und Magdeburg weiter seinen Rhythmus findet. „Was uns wirklich stolz macht", sagte Co-Trainer Maximilian Rinderle, „ist, dass wir Tiefe in unserem Team hatten. Wir haben viel gewechselt, aber alle Spieler haben gezeigt, dass sie bereit sind."
Das traf vor allem auf Milos Vujovic zu, der mit zehn Treffern bester Schütze der Füchse war und viel Eigenwerbung für sich machte. „Ich will immer mein Bestes geben, wenn ich dabei bin", sagte der Linksaußen aus Montenegro, der zuletzt etwas im Schatten von Tim Matthes stand. Doch der Teamerfolg steht bei den Füchsen derzeit über allem.