Red-Bull-Pilot Max Verstappen hat im sechsten Anlauf den Grand Prix der USA gewonnen. Mit diesem Premierensieg vergrößert der Niederländer vor dem Rennen in Mexiko am Sonntag (7. November, 20 Uhr MEZ/Sky) seinen Vorsprung auf Rivale Lewis Hamilton um zwölf WM-Punkte.
Der rasende, bunte, farbenfrohe, aber auch hoch konzentrierte, dekorierte und kommerzielle Wanderzirkus Formel 1 ist nach einer langen, gähnenden Leere bei den Amerikanern angekommen. Nach der Zwangspause im vergangenen Jahr, die der Corona-Pandemie geschuldet war, erlebte der US-Grand-Prix eine unerwartete Auferstehung. Fast 400.000 Fans strömten an drei Tagen zum Circuit of The Americas nach Austin im Bundesstaat Texas. Allein 140.000 Fans waren am Rennsonntag auf den Tribünen. Sie strahlten bei Temperaturen um die 30 Grad mit der Sonne um die Wette, sangen, erfreuten sich an der Akrobatik und den Tanzeinlagen der in blau-weiß dekorierten und in Minis gekleideten Cheerleaders. Für Fans und Zuschauer vor dem Fernseher eine Augenweide. Und sie bejubelten die sogenannten Protagonisten. Das sind die Hauptdarsteller – kurz, die Fahrer. Die britische Tageszeitung „The Daily Telegraph" befand: „Man sagt, in Texas sei alles größer: die Steaks, der Himmel, die Hüte, die Stiefel. Zu dieser Liste kann nun auch die Formel 1 hinzugefügt werden." Ein unfassbares Spektakel mit super Show-Einlagen, kultigen Auftritten wie beispielsweise mit Basketball-Legende Shaquille „Shaq Attack" O`Neal, sorgten für Kurzweil. Es war anderthalb Stunden beste (Sky)-Fernsehunterhaltung vor dem Rennstart! Und die hatte es in sich.
Max Verstappen und Lewis Hamilton in der ersten Startreihe. Der Red-Bull-Pilot vor dem Mercedes-Star. Die texanische Rennstrecke galt bislang als Hamilton-Hochburg und Mercedes-Hoheitsgebiet. Mit fünf Erfolgen ist der Brite Rekordsieger in Texas. Und es sah nach einem sechsten texanischen Siegesritt des amtierenden Weltmeisters aus. Hamilton kocht am Start dank seiner besseren Reaktionszeit den Polesetter – also den Fahrer auf dem ersten Startplatz – ab, nutzt die Innenbahn und sticht als Führender in die erste Kurve. „Endlich hatte ich mal wieder einen guten Start, der letzte war schon etwas her", bekannte Hamilton später. „Für eine Sekunde" habe er geglaubt, das Rennen gewinnen zu können. Doch über die Renndistanz von 56 Runden gab Verstappen den „fliegenden Holländer". Der „Bulle" saß im schnelleren Auto und sein Kommandostand hatte die bessere, aggressivere Strategie. Ein früher Reifenwechsel in Runde zehn brachte Verstappen an Hamilton vorbei. Hamilton kreuzte drei Runden später vor seiner Box auf, verlor sechs Sekunden auf den nun führenden Niederländer. In Halbzeit zwei wechselten beide Kampfhähne noch einmal ihre Walzen. Mit frischen Reifen startete Hamilton eine gnadenlose Hatz auf seinen Rivalen. Das Duell und der Kampf um den Sieg boten Spannung bis zum Rennende. Die Hamilton-Aufholjagd wäre fast von Erfolg gekrönt gewesen. Hamilton hatte den Sieg vor Augen, doch der „stramme Max" stemmte sich in einer Zitterpartie mit aller Macht und Kraft den Angriffen seines Verfolgers entgegen. Hamilton überquerte die Ziellinie mit 1,333 Sekunden Rückstand auf seinen WM-Konkurrenten als Zweiter. Kleiner Trost für einen der größten Rennfahrer: Mit der schnellsten Rennrunde sicherte Hamilton sich den Extra-Punkt.
Ferrari liegt immer noch weit vorne
Für Verstappen war es sein achter Saisonsieg und der 18. Triumph in seiner F1-Karriere bei 135 GP-Starts. Sein Teamkollege Sergio Pérez lenkte den zweiten Red Bull als Dritter ins Ziel. Für den Mexikaner war dieses Ergebnis sein viertes Podium der Saison – und für Red Bull die Podestplätze 199 und 200. Damit sind die Bullen erst das fünfte Team in der Geschichte der Königsklasse, das diese magische Grenze geknackt hat – nach Mercedes, Williams, McLaren und Ferrari. Mit 777 Podestplätzen steht die Scuderia in dieser Statistik deutlich an der Spitze. „Ich konnte während des ganzen Rennens nichts trinken, das System hat nicht funktioniert. Es war das physisch härteste Rennen meines Lebens. Es war ein Horror. Ich verlor an Kraft", berichtete ein ziemlich erschöpfter „Checo" Pérez aber erleichtert nach dem Rennen.
Der Zweitplatzierte Hamilton, der sich mit seinem Sieg 2015 in Austin seinen damals dritten WM-Titel sicherte, sprach ebenfalls von einem „harten Rennen, bei dem ich absolut alles gegeben habe. Mehr war nicht drin, Red Bull war uns etwas voraus, sie hatten einfach die Oberhand, und wir konnten nicht mithalten. Max hat einen großartigen Job gemacht, Glückwunsch!" Der so vom siebenmaligen Weltmeister gelobte Sieger bedauerte den „verlorenen Start. Dann mussten wir was anderes über die Strategie probieren. Diese war sehr aggressiv. Die letzten Runden haben viel Spaß gemacht. Ich bin aber super happy, dass ich es durchgestanden habe." Durchgestanden hat diesen texanischen Ritt auch Hamiltons Noch-Teamkollege Valtteri Bottas. Der im nächsten Jahr für Alfa Romeo-Sauber fahrende Finne wurde im zweiten „Schwarzpfeil" Sechster. Als Vierter hatte er sich für das Rennen qualifiziert, wurde aber nach einem Motorwechsel um fünf Startplätze auf Rang neun zurückversetzt. Der Türkei-Sieger 2021 und Gewinner des GP USA 2019 in Austin fuhr 2021 eher ein unauffälliges Rennen. „Es war ein relativ ereignisloses Rennen für mich. Sobald ich hinter einem langsameren Auto war, reichte der Geschwindigkeits-Unterschied nicht aus, um einfach zu überholen. Es war nicht einfach, mich durch das Feld zu kämpfen. Es war schwer, mich zu verbessern", heißt es in der Mercedes-Pressemitteilung.
Einen Lichtblick und kleinen Erfolgsschub gab es für Sebastian Vettel. Erstmals seit dem GP in Belgien kam der Aston-Martin-Pilot nach vier Rennen wieder vor seinem Teamkollegen Lance Stroll ins Ziel. Nach einem Motorenwechsel ist der Hesse von Startplatz 18 ins Rennen gegangen. Seine zähe Aufholjagd hat sich letztendlich noch ausgezahlt. Vettels alter Freund, Badminton-Spieler und Teamkollege aus Ferrari-Zeiten, Kimi Räikkönen, kam dem viermaligen Weltmeister bei dessen Top-Ten-Ergebnis unabsichtlich zu Hilfe. Nach einem Fahrfehler des „Alterspräsidenten" (42 Jahre, Alonso 40 Jahre) drehte sich der Finne im Alfa Romeo-Sauber von der Bahn, Vettel profitierte von der Pirouette des Iceman und erbte kampflos Platz zehn und einen WM-Zähler. „Schön, etwas Zählbares mitzunehmen. Das Rennen lief nicht ganz ideal. Anfangs haben wir mehr Zeit verloren als geplant. Später konnten wir aber mit frischen Reifen ganz gut aufholen. Mehr als Platz zehn ging nicht", bekannte der Heppenheimer.
Zufrieden mit diesem 17. WM-Saisonlauf war auch Vettels Landsmann Mick Schumacher. Er kam zur gleichen Erkenntnis wie der Heppenheimer und sagte im gleichen Wortlaut: „Wir haben ganz gut aufgeholt". (Anm. d. Red.: Auf Vordermann Latifi im Williams) Es sei schwer gewesen, die Reifen am Leben zu halten. „Aber generell können wir zufrieden sein", so der Haas-Pilot, der nach Startplatz 19 am Rennende 16. wurde und seinen russischen Teamkollegen Nikita Masepin wieder hinter sich hielt.
Wolff optimistisch: „Es ist alles offen"
Was aber bedeuten Verstappen-Sieg und Hamilton-Niederlage in Austin für den Ausgang im WM-Kampf? Fakt ist: Der Titel wird nur zwischen diesen beiden Alphatieren entschieden. Bei noch fünf zu fahrenden Rennen. Zwölf Punkte beträgt der Vorsprung des Niederländers auf den Briten (287,5:275,5). Bottas liegt abgeschlagen auf Platz drei (185). „Der Zwölf-Punkte-Vorsprung von Max stimmt uns optimistisch. Die letzten drei Rennen waren eigentlich alles Mercedes-Strecken. Anstatt mit einem Rückstand kommen wir mit einem Vorsprung zum nächsten Rennen nach Mexiko" (Sonntag, 7. November, 20 Uhr MEZ/Sky), zeigte sich Bullen-Berater Helmut Marko zufrieden und erinnert: „Mexiko und Brasilien sollten uns aufgrund der Höhenlage eigentlich noch besser liegen." Seit 2015 wird nach 29 Jahren Pause wieder die Formel-1-Fiesta-Mexicana gefeiert. Dreimal haben seither Mercedes-Piloten in Mexiko-Stadt im Autódromo Hermanos Rodríguez triumphiert (2015 Rosberg, 2016 und 2019 Hamilton) und zweimal Bullen-Chefpilot Verstappen (2017, 2018). Im Jahr 2020 ist das Rennen pandemiebedingt ausgefallen.
Obwohl Verstappen seinen Vorsprung in Austin um weitere sechs Punkte ausbauen konnte, wird Red Bull weiter im Angriffsmodus bleiben. „Du musst attackieren. Zwölf Punkte sind nichts, die können ganz schnell weg sein. Das haben wir in der Vergangenheit schon erlebt", warnt Teamchef Christian Horner bei Sky. „Der Druck bei jetzt nur noch fünf Rennen werde nur noch größer", ergänzt Vettels Ex-Teamchef. Zur Erinnerung: Der Deutsche gewann seine vier WM-Titel mit Red Bull.
Der achte Saisonsieg von Verstappen stimmt Helmut Marko optimistisch. Der Statthalter von „Ober-Ober-Chefbulle" Dietrich „Didi" Mateschitz, Besitzer des Bullen-Rennstalls und dessen Schwesterteam Alpha Tauri, erklärte nach Verstappens texanischem Siegesritt knallhart bei Sky: „Wir müssen zehn Rennen gewinnen, wenn wir die WM gewinnen wollen. Also fehlen noch zwei Siege." Für diesen Mexiko-GP und das Rennen in Brasilien (14. November, 18 Uhr MEZ/Sky) sehen sich die Bullen im Vorteil. „Beide Strecken sollen uns wegen der Höhenlage liegen" so der Ösi-Doktor der Rechtswissenschaften. „Die Meisterschaft wird bis zum Schluss spannend sein", glaubt Bullen-Teamchef Christian Horner und prophezeit: „Ausfälle werden einen großen Unterschied machen."
Horners Mercedes-Pendant, Motorsportchef Toto Wolff, will nach Hamiltons Austin-„Niederlage" nach Platz zwei nichts von Katzenjammer hören. Ganz im Gegenteil. Der schwarzhaarige Silber-Häuptling gibt sich (noch) ganz entspannt und gelassen. „Unsere Chancen auf den WM-Titel sind absolut intakt. Es ist noch alles offen", so der optimistische Wiener Schlawiner.