Das „Le Faubourg" ist wieder da: Modern, international und mit eigener Handschrift präsentiert der neue kulinarische Direktor Ernest Dizdarevic seine Küche im Restaurant im zum „Dorint" umfirmierten Hotel nahe dem Kurfürstendamm.
Felix Mielke, René Klages, Sebastian Leyer – nicht wenige renommierte und geschätzte Küchenchefs wirkten in den vergangenen Jahren im „Le Faubourg". Dann kam die Corona-Zwangspause. Den Neustart des Restaurants Anfang September wagte Ernest Dizdarevic als Kulinarischer Direktor des inzwischen zum „Dorint" umfirmierten Hotels. Er ist vor Ort kein Unbekannter: Unter Felix Mielke arbeitete er von 2014 bis 2019 als Sous-Chef. Danach wechselte er ins Steigenberger am Los-Angeles-Platz. Nun ist Dizdarevic zurück, verantwortet das gastronomische Konzept des Hauses und zeigt abends – zurzeit nur von Donnerstag bis Samstag – wie er eine moderne internationale Küche interpretiert. „Berlin ist eine Metropole, in der viele Kulturen vertreten sind", sagt der 35-Jährige. „Das macht die Stadt so spannend. Ich will eine Küche machen, die jeder versteht." Es muss, darf und soll direkt und unverzüglich schmecken. Ohne dass der Gast ein Kulinarik-Studium absolviert hat oder sich erst in Konzeptkunst einarbeiten muss. So eine Liebe auf den ersten Biss ereilte mich bei einem Pressedinner zuvor: Ein Croque Monsieur wurde als Probier-Mini gereicht. Ich wollte ihn unbedingt noch einmal „in echt" essen. So erfreute ich mich beim offiziellen „dienstlichen Essen" in mehreren Bissen an Brioche, Rosmarinschinken, Pilz und Gruyère-Käse, wie ich es mir gewünscht hatte.
Dizdarevics Grundidee, den herzhaften französischen Bruder des Armen Ritters als überbackenes Käse-Sandwich in eine Champignonsuppe zu legen, geht auf. Das Mundgefühl stimmt, der Gaumen fühlt sich geschmeichelt. Ebenfalls wieder mit in Boot und Suppe ist Raphael Gasque, der hauseigene Patissier. Er zeigt schon mit der selbstgebackenen Brioche, was französische Feinbackkunst kann, bevor er beim Dessert zu richtig großer Form aufläuft. Der Croque Monsieur ist ein Resteessen de luxe, wie es in Dizdarevics nachhaltigen, Food Waste vermeidenden Ansatz passt. Seine besondere Leidenschaft gilt Eingemachtem und Fermentiertem. Beides trägt auf schmackhafte Art dazu bei, Produkte komplett zu verbrauchen und ihre Geschmäcker und Texturen leicht verändert und abwechslungsreich insbesondere im Winter verfügbar zu haben.
In den Zwischengängen bleiben der Fotograf, die begleitende Freundin und ich entgegen unseren Gewohnheiten bei der „Ein-Teller-Politik". Der Fisch liebende Fotograf darf erst den in Nussbutter confierten und von Vichyssoise umflossenen Saibling ablichten und ihn dann allein verspeisen. Er wolle die französische Kartoffel-Lauch-Suppe heiß und nicht klassisch kalt servieren, verrät Ernest Dizdarevic. Eingelegte Landgurke bringt Säure-Swing ans Gericht und verhindert, dass Fisch und Nussbutter ins Schwere kippen. Die Freundin darf in eine Rote-Bete-Consommé eintauchen, in der sich ein mit confiertem Topinambur gefüllter gedämpfter Dumpling niedergelassen hat. „Eine Spielart vom Borschtsch", sagt sie. Durch Bete- und Essiggurkenstückchen bleibt der Gemüsebiss erhalten.
Bei den Vorspeisen wollten wir kreuz und quer probieren, allein schon, weil die Farben auf den drei Tellern so appetitanregend wirkten. Über in hellem Tempurateig ausgebackenem Broccoli schlängelt sich rote Paprikacreme, getoppt von Maiscrumble. Die Röschen liegen auf einem Maissud mit Salzzitrone. Ein sehr schöner Kontrast von schlotzig-warmem Mais und spritzig-salziger Säure im persischen Stil. Fisch und Fleisch auf den beiden weiteren Tellern sind Verwandlungskünstler. Die vier Köche in Dizdarevics Team haben ihren Teil dazu beigetragen: Sie schwärzten rohen Zander mit Nori-Algen-Pulver an, rollten, schnitten und drapierten. Violetter und gelber Blumenkohl wurden teils in Essig eingelegt. Er formt zusammen mit weißer Creme einen Blumenkohl-Regenbogen, unter dem der Zander in Buttermilchsee erneut schwimmen geht. Schön leicht und frisch, ein letzter Gruß aus dem Sommer!
Geschmortes und gezupftes Havelländer Apfelschwein auf Teller drei wälzte sich in Pankomehl, um anschließend in einer Krokette zu verschwinden. Der schweinische Aromastick stillt mit Pepperonicreme, Hokkaido, eingelegtem Pak Choi, gepickeltem Butternut-Kürbis und Apfelschwein-Jus umamireich die Sehnsucht nach herbstlicher Wärme und Wohligkeit. Chef de Rang Friedrich Söllner schickt uns zu unserem Dinner auf eine kleine Weinreise durch Deutschland und Österreich: Ein 2020er Chardonnay von Kaufmann aus dem Rheingau nimmt uns mit kräftigeren Noten von Zitrus und Apfel in der ersten und zweiten Runde für sich ein.
Farben regen den Appetit an
Zu den Hauptgerichten switchen wir zu einem 2018er Spätburgunder von Matthias Gaul aus der Pfalz. Im Fass ausgebaut machen schwarze Johannisbeere und Brombeeren auf sich aufmerksam. Nicht zu leicht und nicht zu schwer harmoniert der Rote zu Schwarzfederhuhn, Kalb und Wurzel-Pilz-Tartelette gleichermaßen. Et voilà, das Schwarzfederhuhn: Dem französischen Rassevogel wurde eine Lauchfarce unter die Haut geschoben, bevor er sous vide bei 69 Grad auf den Punkt gegart wurde. Eine wohlschmeckende Unbekannte, die Haferwurzel, kommt am Stück, als Püree und gepickelt als Auflage zu den saftig-zarten Fleischstreifen. Ein Müsli aus Geflügelhaut und Kokoschips lässt knacken, ein reduziertes Shabu mit Thai-Curry entfacht Glut.
Die Kalbsschulter: Geschmort, gezupft, gerollt und angebraten wird sie durch Sauerteig und Hopfen ganz heimisch exotisiert. Das Kalbszupf-Patty lagert in einer Kalbsjus und wird von einem Püree aus weißen Zwiebeln, Sauerteigflan und Zwiebelsegeln getoppt. Prosit! Die Außenblätter der im Ganzen auf Salz gebackenen Zwiebel wurden in Bier eingelegt. Zwiebelasche setzt schwarze, rauchige Akzente. Fertig ist das Zitat eines Casual-Dining-Burgers, der sich ganz Berlin-like weltläufig regional gibt. Die Tartelette ist der vegetarische Überraschungssieger des Abends. Unter einem Wildkräuterdach liegt ein Strudelteig-Körbchen auf Beurre blanc und Schnittlauchöl. In der krossen Teighülle versteckt sich ein Tatar von Austern- und Shiitakepilzen und Champignons. „Das Wesentliche", wie es Dizdarevic nennt, sind die geschmorten und in einem Tomaten-Gemüsesud eingelegten Wurzeln: Steckrübe, gelbe Bete, Petersilienwurzel und violette Urmöhre. Finesse statt Erdigkeit und saisonales Umami at its best!
Es kommen auch zu späterer Stunde noch Hotelgäste auf einen Teller ins Restaurant. Da darf es nicht überkandidelt und langatmig werden. Kein Problem für die Gerichte von Ernest Dizdarevic, die allein ebenso wie in einem Menü funktionieren. Kein Wunder, dass Schwarzfederhuhn, Kalb und Wolfsbarsch mit Zucchini, Tahini und Karotte die beliebtesten Gerichte sind, wie der Chef verrät. Einmal im Quartal soll die Karte künftig durchwechseln. Pilze, Kürbis und Ente werden ab 11. November Gesellschaft von Gänsen erhalten. Parallel zum Hochlaufen des Hotelbetriebs und des Restaurants am Abend ist das Mittagsangebot wieder da. Derzeit ist, je nach Gruppengröße und Abstandsgeboten, für um die 33 Plätze eingedeckt, verrät die Restaurantleiterin Andrea Sinner, die ebenfalls schon „vor Corona" an Bord war: „Bei uns ist alles sehr entspannt."
„Bei uns ist alles sehr entspannt"
Nach weiterem Geplauder haben wir Platz für die Desserts von Patissier Raphael Gasque. Ein Muss! Schokofreunde wählen bitte unbedingt die Mille-feuille aus Tanariva-Schokolade von Valrhona. Mit Ingwer-Mousse gefüllte Schoko-Dachrinnen liegen auf Schokobiskuit. Pekannusseis und kandierte Pekannüsse ergänzen mit nussigem Knack und Kälte. Auf der hellen Seite der Dessert-Karte sind exotische Fruchtfrische in Gestalt von geeister Yuzu-Praline, Flugmango-Hack und -Gelee, weißer Schokoganache und einem Kokosmehl-Biskuit vertreten. Eine vollmundige 2017er Kracher-Beerenauslese aus dem österreichischen Burgenland ist ohnehin die schönste denkbare Begleitung. Sie macht sich ebenso gut zum Käseteller mit einer Auswahl von Kober mit Pyrenäenkäse, Brillat Savarin, Blauschimmelkäse, Früchtebrot und Feigensenf. Ob auf dem Teller oder im Glas, in der Küche oder im Service: Nach langer Schließzeit und Wechseln sind Qualität und Vergnügen an der Sache nicht nur schmeck- sondern auch deutlich spürbar. Die von vielen geliebte „Le Faubourg"-Atmosphäre ist wieder da. „Wir wollen jetzt so richtig wieder reinkommen und als Team Spaß an unserer Arbeit haben", sagt Ernest Dizdarevic. Und: „Wir sind ein gutes Team. Das ist nicht selbstverständlich."