Der Mensch und die Natur als Einheit. Dies ist keinesfalls ein unbekanntes Konzept, sondern von jeher in den unterschiedlichsten Kulturen fest verankert. Die Sehnsucht nach diesen tiefen Wurzeln wird immer größer und verhilft jetzt sogar zu einem allumfassenden Raumdesign.
Das Wort „Biophilie" geht auf Erich Fromm zurück. Der Sozialpsychologe formulierte bereits im Jahr 1964 seine These, dass der Mensch grundsätzlich ein großes Bedürfnis danach hat, sich eng mit der Natur zu verbinden. Er braucht „die Liebe zum Lebendigen", wie er in seinem Buch „Die Seele des Menschen" näher ausführt. Doch wie kann das möglich sein, wenn gleichzeitig die Bevölkerungsdichte in Städten zunimmt, in denen es neben Asphalt und Gebäuden kaum natürliche Oasen gibt? Eine Fragestellung, die Dr. Stephen R. Kellert später übernahm und daraus ein Grundschema entwickelte, um Städtern diese Sehnsucht näherzubringen. Dazu müsse es einen Weg geben, Natur und Mensch wieder anzunähern und das da, wo er lebt, in seinem Zuhause und am Arbeitsplatz. Die Grundlage einer neuen Einrichtungsidee war geboren und diese erhielt auch gleich einen Namen: Biophilic Design. Um die „Liebe zum Leben und allem was dies umfasst" auszuleben, ist dabei kein Ausflug an einen See oder ins Gebirge nötig. Stattdessen kommt die Natur in all ihren Facetten einfach direkt ins Büro. In Zeiten, in denen Angestellte coronabedingt immer mehr isoliert im Homeoffice saßen, ist es hilfreich, ihnen die Rückführung an den Arbeitsplatz einfacher zu gestalten.
Sehen, hören, fühlen und riechen
Dazu brauchen moderne Büros weder grelle Neonleuchten noch schlichte Schreibtischnischen und triste Pausenräume. Stattdessen ziehen Pflanzen ein, erhalten Wände und Decken einen frischen Anstrich, und auch die Auswahl der Möbel passt sich dem Thema Natur an. Warmes Holz, spannende Haptiken, Erdtöne, Grün so weit das Auge reicht, und das ist erst der Anfang. Formvollendetes Biophilic Design lebt davon, dass alle Aspekte der Wahrnehmung angesprochen werden. Raschelnde Blätter im Wind, Wellenrauschen an der See oder Entenquaken am Teich. Alle diese Erlebnisse nimmt der Mensch nicht nur mit dem Auge wahr, er hört sie auch, spürt sie auf der Haut und schmeckt das Salz der Wellen auf der Zunge. Ein großes Angebot an Eindrücken also, die sich bestenfalls an den Arbeitsplatz transferieren lassen sollten. Dazu ist es notwendig zu wissen, wie die Ebenen dieses Einrichtungsstils funktionieren, um dann das eine Ziel zu erreichen: Die Angestellten näher zusammenzubringen, ihnen eine einzigartige Wohlfühlzone zu schaffen, die sie im Geist befreit und zu mehr Kreativität und Motivation anregt. All diese Aspekte sind letztlich entscheidend für das Voranbringen neuer Ideen und Konzepte. Sie bilden den Schlüssel zum Erfolg eines Unternehmens. Doch dazu müssen die Grundlagen stimmen.
Es kann ein guter Anfang sein, mehr Topfpflanzen auf die Fensterbänke einziehen zu lassen und die Wände in einem Grünton zu streichen. Doch die richtigen Natureffekte brauchen weit mehr, um zu wirken. Einrichtungsexperten fassen hierzu sieben Ebenen zusammen: Sehen, Hören, Fühlen, Riechen, Lichteffekte, Wasser und Temperatur. Sehen meint die natürlichen Einrichtungsmerkmale um sich herum wahrzunehmen, sie in sich aufzunehmen und dadurch im besten Fall Erinnerungen an eigene Erlebnisse wachzurufen. Das kann eine Wandertour in den Bergen sein oder der letzte Sommerurlaub am Strand. Dazu braucht es ein stimmiges neues Einrichtungskonzept. Wände, Decken und Böden dürfen sich in Farbe und Design am Vorbild von Bäumen, Blättern und vielem mehr orientieren. Auch die Möbel sollten aus Holz gestaltet sein. Das erzeugt eine gewisse Wärme und Harmonie im Raum. Das i-Tüpfelchen bilden Pflanzen. Wo diese keinen Platz finden, schaffen Hängegärten eine gute Alternative. Diese lassen sich an den Wänden anbringen und schenken damit kleinen Räumen mehr Dimension und Weite. Damit aber nicht nur das Auge etwas sehen kann, sondern auch das Ohr Sinneseindrücke erhält, möchte es etwas hören. Klänge der Natur wie Wellenrauschen oder Vogelgezwitscher können über kleine versteckte Lautsprecher überall in den Büros eingespielt werden. Hier ist es wichtig, dass Geräusche wie diese ins Unterbewusstsein eindringen und deshalb sehr reduziert und leise eingestellt werden sollten. Wer nicht die Möglichkeit einer entsprechenden Klanganlage nutzen möchte, der kann sich auch mit einem Zimmerbrunnen oder einem Klangspiel aushelfen und damit einen ähnlichen Höreffekt erzeugen. Schließen Mitarbeiter nun die Augen, gewinnen sie den Eindruck, weit weg auf einem Spaziergang zu sein, statt mittendrin im Büro. Wenn sie jetzt noch die frische Waldluft riechen können oder den Duft blühender Blumen, wäre die Illusion perfekt. Damit hätte auch die Nase ihren Teil dazu beigetragen, Sinneseindrücke aufzunehmen. Entsprechende Gerüche können ambitionierte Arbeitsraum-Gestalter zum Beispiel mithilfe von Diffusern oder über bereits vorhandene Klimaanlagen verströmen lassen. Statt klotzen heißt es hier kleckern. Minimale Duftkompositionen reichen aus und sie sorgen dafür, dass niemand mit Allergien oder sonstigen Erkrankungen der Atemwege durch den Duft beeinträchtigt wird. Bleibt das Fühlen. Wir spüren das Rascheln der Grashalme unter den Füßen, berühren die raue Rinde eines Baumes oder lassen das Wasser am Teich zur Erfrischung über das Gesicht laufen. Nur durch das Fühlen wird der Eindruck komplett. Im Büro wachsen keine Bäume. Was es aber gibt, sind Tische und Stühle. Diese sollten aus Holz gefertigt sein, um die Haptik beim Essen und Arbeiten zu fühlen. Inzwischen gibt es außerdem 3D-Tapeten und Putzgestaltungen für die Wände, um mit den Händen spannende Erlebnisse zu sammeln, die an Blätter, Gras oder Baumrinden erinnern. Letzten Endes spielt auch die Gestaltung des Bodens eine Rolle. Statt Linoleum oder Fliesen dürfen hier Natursteine, Parkett oder spezielle Teppiche den Fuß verwöhnen. Klang und Erlebnis beim Laufen tragen dazu bei, das Feld des Fühlens näher zu umschließen. Wasser ist ein wichtiges Element des Lebens und darf bei der naturnahen Gestaltung deshalb nicht fehlen. Kleine Wasserläufe in der Kantine, Brunnen im Eingangsbereich oder Wasserfälle als Raumtrenner sind nur einige der unzähligen Gestaltungsmöglichkeiten in diesem Bereich. Das Plätschern trägt zum Wohlbefinden bei und macht den Eindruck der Arbeitsräume insgesamt frisch und lebendig. Dazu muss die Temperatur passen. Frische Seeluft während heißer Sommertage, wärmender Sonnenschein an tristen Wintertagen. Heizungen und Klimaanlagen sollten immer so eingestellt sein, dass die Raumtemperatur sich dem Bedürfnis der Angestellten anpasst. Dazu tragen auch gezielt gesetzte Lichteffekte ihren Teil bei. Stehleuchten transportieren eine behagliche Atmosphäre, spezielle Deckenlichter können Sonnenlicht simulieren. Bodenleuchten, indirekt platziert, wirken wie Sonnenstrahlen in dichtem Wald. Vieles ist möglich, es braucht nur ein durchdachtes Gesamtkonzept.
Natürliche Materialien zum Wohlfühlen
Große Firmen wie Google, Etsy oder Microsoft haben längst umgerüstet. Hier wirkt der Arbeitstag im Workspace fast wie ein Ausflug in die Natur. Firmen wie die Pasona Group in Tokio betreiben sogar Gärten im Bürogebäude und bauen eigenen Reis und Gemüse an. Die Pflanzen erhalten über eigens montierte Versorgungsstationen ausreichend Licht und eine regelmäßige Befeuchtungsdusche, um bestmöglich zu wachsen und so zu einem angenehmen Arbeitsklima in den Räumlichkeiten beizutragen. Und immer mehr kleine Firmen folgen Beispielen wie diesem und entdecken die vielen Vorteile des Biophilic Designs. Das Ziel all dieser Bemühungen soll es letztlich sein, dass jeder gern zur Arbeit kommt. Hier gilt es, Energie zu tanken und diese kreativ einzusetzen, sich wohlzufühlen und teilzuhaben an einer Gemeinschaft. Sobald sich ein Mensch geerdet fühlt, ist er in der Lage, zu wachsen. Um das zu erreichen, sollte der Arbeitsplatz stets das Gefühl von Lebendigkeit transportieren. Das schafft Lebens- und Arbeitsqualität und trägt zu geistiger sowie körperlicher Gesundheit bei. Ein Designkonzept mit Zukunft – nicht umsonst verleiht das „International Living Future Institute" (ILFI) schließlich schon seit 2017 den „Biophilic Design Award", um damit die Forschungen von Dr. Stephen R. Kellert auf diesem Gebiet zu honorieren.