Tiefblaue Seen, sattgrüne Wälder und wenig Menschen. Mecklenburg-Vorpommern lockt mit mehr als 2.000 Seen und einem 26.000 Kilometer langen Netz aus Flüssen und Kanälen. Besonders gut und umweltschonend erkunden lässt sich Deutschlands Nordosten mit dem Rad.
Bei wenig Verkehr können Urlauber in Mecklenburg-Vorpommern ganz entspannt auf Entdeckertour gehen. Drei Nationalparks, sieben Naturparks, ein Geopark und drei Biosphärenreservate lassen sich dank zahlreicher Radwege entdecken.
E-Bike Freunde können das Land auf 21 ausgebauten Radrundwegen mit einer Gesamtlänge von 5.500 Kilometern erkunden und auf ihrem Weg verwinkelte Kleinstädte, verträumte Dörfer, charmante Gutshöfe und verwunschene Schlösser erleben. Durch Mecklenburg-Vorpommern führen nicht weniger als acht Radfernstrecken mit einer Länge von insgesamt 2.300 Kilometern, darunter der Radfernweg Berlin-Kopenhagen.
Übernachten können Radurlauber unterwegs beispielsweise in mehr als 70 Unterkünften, die mit dem Qualitätslabel „Bett und Bike" zertifiziert sind. Weil bei längeren Touren schon mal der Akku des E-Bikes schlappmacht, setzen die Tourismusverantwortlichen darauf, ein Netz von Ladestationen aufzubauen. Im Abstand von 15 bis 20 Kilometern sollen die Radfahrer an markanten Wegpunkten eine Erholungspause einlegen und ihre Akkus nachladen können. Eine entsprechende Karte im Internet gibt Auskunft, wo sich bereits solche Ladestationen befinden.
Deutschlands älteste Buchen
Sehr lohnenswert für Ausflüge mit dem Rad ist beispielsweise die Feldberger Seenlandschaft. Anlässlich des 200. Geburtstages von Sebastian Kneipp hat der Kneipp-Kurort Feldberg (seit 2015) zwei „Kneipp und Bike-Touren" ausgearbeitet, die rund um Feldberg führen.
Nur eine gute Autostunde von Berlin entfernt, liegt eine Region, die zu den schönsten in Deutschland zählt. Denn wo gibt es das sonst noch, dass, wie Einheimische sagen, auf jeden Einwohner mindestens ein See kommt? Von Feldberg aus empfiehlt sich beispielsweise auch eine circa 45 Kilometer lange Tagestour nach Neustrelitz. Unterwegs geht es durch die „Heiligen Hallen", den mit über 300 Jahren ältesten Buchenbestand Deutschlands, wo unzählige Vogel- und Insektenarten beheimatet sind.
Das Städtchen Feldberg ist als Startpunkt, Zwischenetappe oder Zielpunkt nicht allein bei Radtouristen beliebt, die unzähligen Seen und Gewässer locken auch Wasserwanderer, die mit dem Kanu unterwegs sind, oder Taucher an. Im Zentrum Feldbergs können daher nicht nur Zweiräder (mit und ohne Motor), sondern auch Kanadier, Kajaks, Ruder-, Tret, Motor- oder Elektroboote ausgeliehen werden, um den Haussee, den Carwitzer See, den Schmalen und Breiten Luzin, den Dreetzsee, den Zansen und die sich anschließenden Havelgewässer in Richtung Brandenburg und Berlin zu erkunden.
Brigitta Richter von der Feldberger Tourismus-Information hat für Besucher immer ein offenes Ohr und den ein oder anderen Ausflugstipp parat, zeigt den Gästen gern die Naturparkausstellung, die zur Einstimmung darauf, was es in der Feldberger Seenlandschaft zu entdecken gibt, geeignet ist. Wärmstens empfiehlt sie nach einem Spaziergang durch den Kurpark – und bei der Gelegenheit der Entgegennahme des
E-Bikes inklusive kurzer Einweisung – für den nächsten Tag eine besondere „Bilderbuchtour": Sie führt über rund 14 Kilometer entlang des Radweges „Schmaler Luzin" vom Feldberger Erddamm über Wittenhagen und Hullerbusch in das Dorf Carwitz und dann über Neuhof wieder zurück nach Feldberg.
Carwitz ist ein idyllischer Ort am Carwitzer See, ein kleines Dorf, in dem die Zeit stehen geblieben zu sein scheint. Früher war Carwitz ein Fischerdorf, heute leben dort gerade mal 265 Menschen. Durch den Ort führt eine Kopfsteinpflasterstraße, vor einem Anwesen weist ein Schild mit der Aufschrift „Bezirksamt Prenzlauer Berg von Berlin Seniorenheim" darauf hin, dass Carwitz offenbar bei Berlinern als Altersruhesitz beliebt ist. Und erst vor ein paar Tagen war der Liedermacher Stephan Krawczyk im Fallada-Museum zu Gast, wie ein Plakat verrät.
Und die Touristen? Sie kommen gern wegen der netten Restaurants und Cafés im Ort. Oder um auf den Spuren des Dichters Hans Fallada zu wandeln, der von 1933 bis 1945 in Carwitz lebte, weil er hier, an einem „der schönsten, stillsten Erdenflecken", die nötige Ruhe zum Schreiben fand. Rudolf Ditzen, wie Fallada mit bürgerlichem Namen hieß, notierte damals: „Wenn ein Flieger, der über diesen Teil des Mecklenburger Landes fliegt, so sieht er Wälder und Seen, Seen und Wälder. Kaum Feld, kaum Wiese, kaum ein Haus. Toteneinsamkeit. Das Ende der Welt …"
In dieser Zeit schrieb Hans Fallada auf seiner schwarzen Remington-Reiseschreibmaschine 14 Romane und zahlreiche Geschichten. Falladas ehemaliges Anwesen ist heute ein Museum, in dem an das Wirken des Schriftstellers erinnert wird.
Um das Vermächtnis Falladas kümmert sich Museumsleiter Dr. Stefan Knüppel. Eine circa anderthalbstündige Führung durch das ehemalige Heim des Schriftstellers und über das Grundstück bietet intime Einblicke in das Leben und Wirken des Dichters und seine facettenreiche und ambivalente Biografie.
In der Sitzecke am See, unweit von Falladas originalgetreu nachgebautem Bootshaus, stimmt Knüppel, der gerade noch auf eine kleine Besuchergruppe wartet, schon einmal darauf ein und berichtet bei einer Tasse Tee von den Aktivitäten der Fallada-Stiftung, den regelmäßigen Lesungen „Freitags bei Fallada" und nicht zuletzt den jedes Jahr stattfindenden Fallada-Tagen, zu dem Besucher aus ganz Deutschland und sogar dem Ausland anreisen.
Nach dem Museumsbesuch geht es anschließend weiter mit dem Rad, zunächst wieder am Ausflugslokal „Carwitz-Eck" vorbei, wo gerade drei Männer ihr Boot in Richtung See tragen, zurück in die Ortsmitte, hinein in die etwas versteckt liegende Parkanlage, deren Eingang ebenso wenig leicht zu entdecken ist, wie Falladas letzte Ruhestätte, die auf einem Hügel liegt.
Ausstellung über Autorin und Spionin
Still und ruhig ist es hier, nur Vogelgezwitscher ist zu hören, der Blick schweift herüber auf den See. „Und plötzlich ist die Kälte weg, eine unendlich sanfte, grüne Woge hebt sie auf und ihn mit ihr." Diese Worte Hans Falladas stehen auf seiner Grabstätte, sie stammen aus seinem 1933 veröffentlichten Welterfolg „Kleiner Mann – was nun?" Dieses Werk hatte ihm so viel Geld eingebracht, dass er sich das Anwesen in Carwitz für seine Familie hatte leisten können. Auch Falladas Frau, Anna Ditzen, liegt auf dem Carwitzer Friedhof begraben.
Nur wenige Schritte weiter noch eine Entdeckung. Vor dem „Scheunenladen" weist ein Schild auf eine Ausstellung hin. Das macht neugierig. Drinnen gibt es Werke der Schriftstellerin Ruth Werner, die ab 1953 regelmäßig in Carwitz Urlaub machte. Der Verein Ruth-Werner-Carwitz bietet neben dem Besuch der Ausstellung verschiedene Lese-Gesprächsrunden an. Ruth Werner (Deckname Sonja), erfährt der Besucher der kleinen Ausstellung, war eine Frau mit vielen Gesichtern, die mehrere Leben gleichzeitig führte, eine schillernde Persönlichkeit mit aufregendem Doppelleben. Denn sie war zu DDR-Zeiten nicht nur Kinderbuchautorin, sondern spionierte auch für den sowjetischen Militärgeheimdienst GRU, eine Tätigkeit, die sie unter anderem nach Shanghai, in die Schweiz oder nach London führte. Sie galt vielen als „Stalins beste Agentin". Vom Top-Spion Richard Sorge war sie zur Funkerin ausgebildet worden. Über ihr Leben als Kundschafterin erzählt sie in ihrem autobiografischen Werk „Sonjas Rapport", eine Bilanz von 20 Jahren konspirativer Tätigkeit. Das Buch wurde 1982 auch von der Defa verfilmt.
Die Biografie dieser ungewöhnlichen Frau, die sich in Carwitz auch um das Erbe Hans Falladas gekümmert, und die Gedenkstätte für Hans Fallada mit durchgesetzt hatte, lockt heute Besucher aus ganz Deutschland nach Carwitz in die Ruth-Werner-Ausstellung, auch Gäste aus Österreich und England waren schon dort, um mehr über Ruth Werners Leben zu erfahren.
Carwitz ist heute also ein Ort, der bei Literaturfreunden wie Erholungssuchenden beliebt ist, regt er doch dazu an, sich mit der Frage zu beschäftigen, was uns die Autoren Ruth Werner und Hans Fallada für Gegenwart und Zukunft zu sagen haben.