Mehrere Tätigkeiten gleichzeitig durchzuführen, ist für viele Realität. Aber unser Gehirn ist für Multitasking nicht gemacht. Auf Dauer bereitet es unserem Körper Stress, der dauerhafte Probleme verursachen kann – und es macht uns unaufmerksam.
Die Kinder versorgen neben dem Homeoffice, Telefonieren und gleichzeitig Kochen oder Autofahren und zusätzlich Whatsapp checken – was Multitasking ist, wissen wir eigentlich alle und kennen ausreichend Beispiele aus dem täglichen Leben. Aber können wir Menschen das überhaupt leisten oder ist es nur eine große Illusion und Selbstüberschätzung? Sind Frauen wirklich besser im Multitasking? Ist der Anspruch, mehrere Dinge nebenher zu erledigen, in unserer modernen Gesellschafts- und vor allem Arbeitswelt größer geworden? Mit diesen Fragen setzt sich am Samstag, 20. November, 22 Uhr, die Dokumentation „Multitasking – Wieviel geht gleichzeitig?" von Katrin Kramer und Marion Schmidt auf Arte auseinander. Der Begriff Multitasking ist noch gar nicht so alt. Er stammt ursprünglich aus der Informatik und bezeichnet dort die Fähigkeiten des Betriebssystems, mehrere Aufgaben nebeneinander zu bewältigen. Ab dort wird es schon schwierig: Auch wenn unser Gehirn gern mal mit einem Computer verglichen wird und es bei gewissen Mechanismen auch Überschneidungen gibt, ist es für uns alles andere als trivial, zwei komplexe Tätigkeiten nebenher auszuführen. Für viele Menschen geht es noch, eine gut einstudierte Tätigkeit unbewusst zu erledigen und sich auf eine andere Sache zu konzentrieren, zum Beispiel Schuhe binden und ein Gespräch weiterzuführen. Darüber hinaus bekommen wir schnell Probleme. Wer sein Handy im Auto nutzt, konzentriert sich beispielsweise circa 40 Prozent weniger auf den Straßenverkehr, als wenn man nur Auto fahren würde. Das kann fatale Folgen, nicht nur für sich selbst, sondern auch für andere haben.
Multitasking kommt eigentlich aus der Informatik
Das liegt an einer besonderen Stärke beziehungsweise in dem Fall Schwäche des Menschen: der Selektion von Informationen. Während wir eine Tätigkeit ausüben, verdrängen wir so viele andere Informationen wie möglich, um uns auf das Wesentliche zu konzentrieren. Und das ist auch notwendig, da die Informationsfülle, die ständig auf einen einströmt, für uns sonst nicht zu bewältigen wäre. Professor Lutz Jähncke, Neuropsychologe an der Universität Zürich, fasst das im Film so zusammen: „Wir können ziemlich genau berechnen, dass pro Sekunde auf unser Sensorium, also Augen, Ohren, taktiler Sinn und so weiter, 11 Millionen Bit an Informationen einprasseln. Von diesen 11 Millionen Bit können wir bewusst aber nur elf bis 60 Bit verarbeiten. Das heißt, wir müssen bewusst wählen, was wir verarbeiten."
Trotz dieser Unfähigkeit zur Gleichzeitigkeit von Tätigkeit ist Multitasking aber oft genau das, was in Betrieben von Angestellten erwartet wird. Konkreter: Es wird erwartet, dass wir in Sekundenschnelle zwischen dem Vorgang, den wir gerade bearbeiten, zu einer E-Mail oder einem kurzen Dienstgespräch wechseln können und wieder zurück. Möglichst ohne dass dabei eine der Handlungen auf der Strecke bleibt. Auch das ist für uns aber auf Dauer, egal welchem Geschlecht man angehört, nicht erfolgreich zu leisten. Die Unterbrechungen sind für uns jedes Mal ein mentaler Kraftakt. Eine Folge ist ein andauernd erhöhtes Stress-level. Und das kann eines unserer wichtigsten Organe dauerhaft schädigen, wie Dr. Britta Hölzel nachweisen konnte. „Wir sehen, dass das Gehirn geschädigt werden kann, dass im Zusammenhang mit Stress die Dichte der grauen Substanz regelrecht abgebaut werden kann", so die Psychologin in der Doku.
In vielen Jobs wird Multitasking erwartet
Auch die Digitalisierung ist kritisch zu sehen. Durch Smartphones, Tablets und Co. sind wir dauerhaft mit dem Internet und den sozialen Medien verbunden. Ein Mehr an Ablenkungen und Informationen in einer nie dagewesenen Menge. Edmund Wascher vom Leibnitz-Institut für Arbeitsforschung in Dortmund stellt in der Dokumentation fest: „Es ist definitiv so, dass wir eben durch die neuen Technologien, auch durch die Digitalisierung, an vielen Stellen deutlich mehr Informationen verarbeiten müssen, als das früher der Fall war. Das ist schon eine Anforderung, die nicht vergleichbar ist mit dem, was wir vor 20 oder 30 Jahren hatten."
Während sich unsere digitalen Möglichkeiten in einem unglaublichen Maß vervielfachen, bleiben Kompetenzen und Möglichkeiten unseres Gehirns gleich. Deshalb haben auch junge Menschen, „Digital Natives", keinen entscheidenden natürlichen Multitasking-Vorteil, wie Untersuchungen zeigen. Tatsächlich unterbrechen junge Menschen am Tag 140-mal ihre aktive Handlung, um auf ihr Telefon zu schauen.
Aber auch wenn das jetzt alles sehr negativ klingt, gibt es keinen Grund, den Kopf in den Sand zu stecken. Die Diskussionen über Abhilfe in der Welt des Multitaskings sind im vollen Gang, nicht zuletzt aus wirtschaftlichen Gründen: So haben Studien ergeben, dass bis zu 25 Prozent des Umsatzes von Unternehmen durch unnötiges Multitasking verloren gehen kann.
„Das wichtigste Ergebnis war: Es ist wirklich so schlimm, wie immer behauptet wird", sagt der Studienleiter und Professor Ayelt Komus von der Unternehmensberatung Vistem im Film, „es fehlt an klaren Strukturen, klaren Zielen und die Priorisierung ist nicht wirklich gut ausgeprägt, sodass wir davon ausgehen müssen, dass an vielen Stellen in den Unternehmen und Organisationen wirklich zu viel Multitasking betrieben wird". Ein Grund also, warum viele Unternehmen sich mit den Vorteilen von koordinierten Arbeitsabläufen auseinandersetzen und diese an ihren Standorten einführen. Klare Strukturen und nachvollziehbare Priorisierungen haben außerdem noch einen weiteren positiven Effekt.
Zu viel gleichzeitig zu tun hemmt die Produktivität
Arbeitet man lange und konzentriert an einer Aufgabe, egal, ob im beruflichen oder privaten Umfeld, kann es zu sogenannten Flow-Erlebnissen kommen. Diese erzeugen ein positives Gefühl und vermitteln uns, dass man wirklich etwas geleistet hat. Daneben kann jeder Einzelne Dinge tun, um sich gegen die negativen Auswüchse durch zu viel Multitasking und die mentalen Unterbrechungen zu schützen: Achtsamkeitsübungen steigern die Konzentrationsfähigkeit und können einen Ausgleich zum Multitasking bilden.
Sich feste Zeiten zu schaffen, in denen man nicht erreichbar ist, verhindert zusätzlich eine ganze Menge von potenziellen Ablenkungen aus dem Internet. Nicht umsonst probieren das schon einige Konzerne bei ihrer Belegschaft aus. Die Hirnschäden, die Dr. Hölzel nachweisen konnte, sind durch solche Maßnahmen reversibel, und so wirkt man Burn-outs und Depressionen durch Überarbeitung vor.