Hanf, Jute, Flachs: Was sich liest wie eine Materialliste fürs Knüpfen von Blumenampeln soll Autos künftig leichter, sicherer und zugleich nachhaltiger machen. Nach GFK und CFK ist NFK im Fahrzeugbau am Start – eine ganz neue „Fahr-Leicht"-Idee.
Autos, die leicht gebaut und aerodynamisch geformt sind, brauchen weniger Energie, um vorwärtszukommen, als kastige, schwere, hochaufragende PS-Giganten. Diese einfache Rechnung sollte einst ein Patentrezept für die Entwicklung von Elektrofahrzeugen sein. In solchen Fahrzeugen müssten auch die Batterien nur wenig Eigengewicht mit antreiben, wenn die Karosserie leicht und das Tempo so gemäßigt sind, dass kleinere Akkus für längere Strecken genügen.
Statt schnittiger, mittelrasanter Elektro-Flitzer haben in den vergangenen zwei Jahrzehnten allerdings große, schwere Pkw das Regiment auf den Straßen übernommen. Für die Elektrifizierung ihrer Brüder und Nachfolger ist Abnehmen angesagt, um mit erneuerbaren Energien sparsam zu wirtschaften. Das Diätrezept: Erfahrung und Rückbesinnung auf klassische und natürliche Werkstoffe, gepaart mit deren weiterentwickelter Verwendbarkeit für Leichtbau, somit gut geeignet für die Elektromobilität der nahen Zukunft. Alles Zutaten zu einer Bioökonomie.
Besonders mithilfe von Bindemitteln werden Naturfasern zu stabilen Bauteilen. Das Fraunhofer WKI stellt im Herbst in Webinaren beispielsweise einen Zwischenstand zu Entwicklung, Charakterisierung und Bewertung von biobasierten Harz-Härter-Mischungen vor. Außerdem eine Exterieur-Bauteilstudie im Automobil mit einem biogenen Anteil von 85 Prozent im Gesamtverbund.
Carbon seit vielen Jahren im Einsatz
Naturfaserverstärkte Kunststoffe (NFK) sind Bioverbundwerkstoffe, die materialtechnische, ökologische beziehungsweise preisliche Vorteile gegenüber Glasfaserverstärkten Kunststoffen (GFK) und Carbonfasern (CFK) haben können. Kein Wunder also, dass in den ersten Jahrzehnten der Automobilgeschichte des 20. Jahrhunderts Hanf die erste Wahl für Henry Ford war, als er 1941 ein Fahrzeug vorstellte, das Gutteils aus harzgebundenen Fasern bestand. Die Broschüre „Bioverbundwerkstoffe Naturfaserverstärkte Kunststoffe (NFK) und Holz-Polymer-Werkstoffe* (WP „Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe e.V. (FNR)"), erinnert daran, dass der in der DDR gefertigte Trabant von 1950 bis 1990 auf ein Baumwoll-Phenolharz-Konzept setzte: Wegen dieses Duroplasts in der Karosserie des Trabis, das mit Baumwollfasern verstärkt war, wurde das ostdeutsche Automobil auch Plastikbomber genannt.
Bekannter als NFK sind CFK: Carbonfaserverstärkte Kunststoffe sind seit vielen Jahren als Leichtbaulösungen im Rennsport zu Hause und wurden zu Treibern bei entsprechenden Entwicklungen für den Alltagsverkehr. Im Motorsport bildet die hochsteife und hochfeste CFK-Monocoque, der Arbeitsplatz des Rennfahrers, die Überlebenszelle. Auch im Straßenverkehr sollte der Fahrzeuggestell-Aufbau, bei dem Dach und Wände, gegebenenfalls sogar das Heck und die Front, aus einem einzigen Teil bestehen, bei einem Aufprall im Idealfall vollständig erhalten bleiben und so Fahrer und Passagiere schützen.
Und das funktioniert so: Im Front-, Heck- und Seitenbereich wird die Crash-Energie, also die bei einem Unfall auftretende negative Beschleunigung, durch die CFK-Bauteile so weit abgebaut, dass weder die Überlebenszelle zu stark beschädigt noch die für den Fahrer tolerierbare maximale Verzögerung überschritten wird. Die Crash-Elemente stecken die bei einem Unfall wirkenden Kräfte weg, indem sie die maximale Energie-Absorption bis zur Selbst-Pulverisierung aufnehmen. Das Problem von CFK, auch „Kohlefaser" genannt: Diese mit Kohlenstofffaser verstärkten Kunststoffe sind für den Massenmarkt nicht nur kosten- sondern auch ressourcenintensiv.
Geht das auch ökologischer? Den Anteil energieintensiver Carbonfasern im Fahrzeugbau verringern und den Rennsport emissionsärmer gestalten: Diese Möglichkeit sollte das Bioconcept-Car des Fraunhofer-Instituts für Holzforschung, Wilhelm-Klauditz-Institut, WKI, auf der IAA Mobility 2021 in München unter dem Motto „zukünftige Mobilität" demonstrieren. Der Porsche GT4, der im „Open Space" der IAA zu sehen war, ist mit einer Fahrzeugkarosserie aus naturfaserverstärkten Bio-Kunststoffen ausgestattet. Zusammen mit Hobum Oleochemicals, Porsche Motorsport und dem Rennteam Four Motors entwickeln Forschende des Fraunhofer WKI Leichtbauteile für Fahrzeugkarosserien. Für das Pilotfahrzeug „Bioconcept-Car" haben Forschende des Fraunhofer WKI bereits Karosserieteile aus 100 Prozent Naturfasern als Verstärkungskomponente entwickelt. Die Wissenschaftler setzten dabei verschiedene Naturfasern wie Hanf, Jute und Flachs ein.
Naturfaserbauteile sind recyclingfähig
Naturfaserverstärkte Bio-Kunststoffe aus dem Gemeinschaftsprojekt sollen eine nachhaltige, kostenneutrale Alternative zu herkömmlichen Leichtbau-Karosseriematerialien darstellen und technische Vorteile bieten. Naturfasern weisen im Vergleich zu Carbonfasern zwar geringere Steifigkeiten und Festigkeiten auf. Dennoch vermeldet Fraunhofer, dass die erreichten Werte die anwendungsspezifischen Anforderungen vollständig erfüllen würden. Naturfasern böten zusätzlich zu den mechanischen Eigenschaften diverse weitere Vorteile gegenüber Carbon. Dazu zählten (schwingungs-)dämpfende und akustische Eigenschaften sowie eine deutlich geringere Splitterneigung. Diese helfe, die Verletzungsgefahr bei Unfällen zu reduzieren. Auch in Sachen Nachhaltigkeit punkten die neuartigen Naturfaserbauteile: Sie sollen gut recyclingfähig sein.
Besucher der diesjährigen IAA konnten den mit Bio-Karosserieteilen ausgestatteten Rennwagen „Bioconcept-Car" des Rennteams Four Motors inspizieren, das quasi ein rollendes Testlabor für umweltfreundliche Fahrzeugtechnologien ist. Im Renneinsatz wird deren Serientauglichkeit unter Extrembedingungen geprüft. Auch eine Fahrzeugtür mit naturfaserverstärktem Kunststoff (NFK) war auf dem Gemeinschaftsstand der Fraunhofer-Gesellschaft zu sehen. In einem Vorläuferprojekt war es gelungen, Carbonfasern in einer Autotür durch Naturfasern zu ersetzen. Sie wird bei Porsche bereits in Kleinserie verbaut. Derzeit entwickeln die Forschenden die Fahrzeugtür weiter, sodass sie einen biogenen Anteil von 85 Prozent erreichen wird. Hierfür werden Naturfasern, biobasierte Harz-Härter-Mischungen sowie biobasierte Lacksysteme eingesetzt. Im aktuellen Projekt wollen die Forschenden den Anteil nachwachsender Rohstoffe in der Tür und anderen Karosserieteilen maximieren – mit biobasierten Kunststoffen und Lacken. Die Entwicklung der Bio-Leichtbauteile wird vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft über den Projektträger Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe e. V. gefördert.