Forderungen nach mehr Personal und bessere Arbeitsbedingungen gab es schon vor Corona. Der Ausbruch der Pandemie hat die Lage nur noch verschärft und die Pflegekräfte an ihre Grenzen gebracht. Um den drohenden Notstand zu bekämpfen, muss die neue Regierung dringend handeln.
Den Gedanken, aus ihrem „Beruf zu flüchten", hatte Jo-Ann Klos noch nie. Dafür ist die Pflegefachkraft zu passioniert und mag ihren Job zu sehr. „Aber ich weiß von Kollegen aus anderen Einrichtungen der Altenpflege, dass sie weitaus weniger gut besetzt sind als wir." Auch in Krankenhäusern würde sich die Lage immer weiter zuspitzen: Die Einrichtungen seien chronisch unterbesetzt, es würden jede Menge Überstunden anfallen, „und man könnte sich dadurch auch nicht mehr so adäquat um die Patienten kümmern", bringt es Jo-Ann Klos auf den Punkt.
Das geben auch die Zahlen des Statistischen Bundesamtes wieder: Aktuell gibt es in Deutschland rund 4,3 Millionen pflegebedürftige Menschen. Im Jahr 2030 soll diese Zahl auf rund 5,1 Millionen Menschen ansteigen. „Damit würden uns bereits jetzt ungefähr 90.000 Arbeitskräfte in der Pflege fehlen", weiß Hajo Hoffmann, Vorsitzender des Pro Seniore Zukunftsbeirates. Und die Prognose für die Zukunft fällt noch düsterer aus. „Laut der Bertelsmann Stiftung könnten uns im Jahr 2030 schätzungsweise 500.000 Fachkräfte fehlen", sagt Hoffmann.
Es fehlen etwa 90.000 Fachkräfte
Dabei bleiben Personalmangel und verbindliche Dienstpläne nicht die einzigen Herausforderungen, mit denen der Berufsstand der Pflege zu kämpfen hat. „Wir haben keine Selbstverwaltungsstrukturen, wir haben keine Ressourcen, keinen Stab von Referentinnen, die fundiertes Zuarbeiten und Grundlagen entwickeln können. Ganz zu schweigen von einer Pressestelle oder gar Öffentlichkeitsarbeit. Die Bundesärztekammer hat die entsprechenden Fachleute in Referaten, und die können dann zu den entsprechenden Fachfragen Positionspapiere vorbereiten und auch im Bundestag in den Ausschüssen vorstellig werden. So etwas hat die Pflege nicht", weiß die Präsidentin des Deutschen Pflegerates (DPR), Christine Vogler. Es gebe zwar den Deutschen Pflegerat, „das sind allerdings sieben ehrenamtliche Präsidiumsmitglieder und drei Festangestellte in einem kleinen Büro. Und das war es auch. Wenn man die Pflege also endlich in einer Selbstverwaltung zusammenfassen würde, dann könnten wir auch eine schlagkräftige Lobbyarbeit im Sinne der Pflegebedürftigen und der Berufsgruppe organisieren, aber so sind wir als Pflegende immer ein Anhängsel", sagt Vogler.
Was also tun? Um mögliche Lösungsansätze zu finden, sprachen wir neben dem Pro Seniore Zukunftsbeirat und dem Pflegerat auch mit Institutionen und Verbänden, die ganz klare Forderungen an die neue Bundesregierung richten. Ihr Appell: „Nicht zu handeln ist keine Option!"