Seit der Flutkatastrophe im Juli sind die Bürgermeister an der Ahr im Dauereinsatz, so auch Guido Nisius, Verbandsbürgermeister von Adenau. Er glaubt nicht daran, dass viele Einwohner wegziehen möchten, fordert jedoch ein entschlosseneres Vorgehen im Katastrophenschutz.
Herr Nisius, die Verbandsgemeinde Adenau wurde hart von der Flut im Juli getroffen. Wie gravierend sind die Ausmaße aus heutiger Sicht?
Bei uns an der oberen Ahr sind sieben Ortsgemeinden an der Ahr betroffen. Aber das rein finanzielle Schadensausmaß ist bei uns nicht so gravierend wie ahrabwärts, in Altenahr. Bei uns beträgt der Schaden an der kommunalen Infrastruktur etwa 150 Millionen Euro. Das Technische Hilfswerk hat eine Wasseraufbereitungsanlage in Schuld erbaut, alte Brunnen reaktiviert und Hochbehälter gefüllt. Aber unser Wasserversorger hat mittlerweile in Rekordzeit die Trinkwasserleitung wiederhergestellt. Ein Problem bleibt die Abwasserbeseitigung. Es gibt noch viele Lecks. Das Wasser sammeln wir in Auffangbecken und pumpen es regelmäßig ab. Unsere Kläranlage sah auf den ersten Blick desaströs aus, aber wir konnten sie provisorisch wieder in Betrieb nehmen und ich denke, das Problem haben wir bis Ende des Jahres im Griff. Und unser Stromversorger meldet, dass 98 Prozent der Haushalte wieder am regulären Netz hängen.
Jetzt geht es auf den Winter zu. Wie richten sich die Betroffenen darauf ein?
Einwohner, die betroffen sind, sind bei Freunden, Verwandten oder in Ferienhäusern untergekommen, Handwerker sind gerade im Tal unterwegs und richten Heizungen ein. In der Ortsgemeinde Müsch wird ein provisorischer Nahwärmeverbund aufgebaut. Insofern sind wir bereits recht gut vorangeschritten.
Haben Sie derzeit einen Überblick darüber, wie viele Menschen noch in den betroffenen Ortschaften wohnen bleiben wollen?
Nein. Von meiner Warte aus gesehen stand zunächst bei vielen die Aussage „Hier bleiben wir nicht" im Raum. In den meisten Fällen aber ist es so: Der Eifler hängt an seiner Scholle. Die meisten können ja tatsächlich auch zurück. Natürlich gibt es auch viele Häuser, die dem Hochwasser zum Opfer gefallen sind, es gibt einige, die nicht mehr aufgebaut werden dürfen laut der neuen Hochwasserkartierung. Aber wir sind gerade dabei, Baugrundstücke neu auszuweisen, wo die Betroffenen dann neu bauen können.
Wo bekommen Sie die her?
In zwei Ortsgemeinden, Schuld und Insul, sind einige Häuser durch das Wasser völlig zerstört worden, die nicht mehr aufgebaut werden dürfen. In Insul hatten wir schon zuvor ein Baugebiet ausgewiesen, auf dem 27 neue Häuser entstehen sollten. Nach Einspruch von Naturschützern waren es dann noch 17. Jetzt ist eine Abwägung im Gange, was höher zu werten ist: eine Ausweichmöglichkeit für Betroffene oder der Schutz einer Pflanze. Hier will man uns offenbar entgegenkommen, wenn wir einen ökologischen Ausgleich schaffen, was hier im ländlichen Raum kein Problem sein dürfte. In Schuld haben wir eine Grabungsschutzzone wegen einer altrömischen Villa. Jetzt schauen wir, ob wir Teile der Ackerfläche nicht doch als Bauland ausweisen können. Auch Grundstücksbesitzer in anderen Gemeinden versuchen wir dazu zu bewegen, Baulücken zu verkaufen.
Wie haben Sie denn die Unglückstage, den 14. und 15. Juli, erlebt?
Wir sind in der Gemeinde Antweiler Träger einer Grundschule. Um halb zwei kam ein Anruf, ich solle mal vorbeikommen, die Schule stünde unter Wasser. Das hat mich stutzig gemacht, die Schule liegt an einem Berg. Als ich dort war, konnte ich sehen, dass regelrechte Sturzbäche von dort ins Tal flossen. Da wusste ich, dass sich hier etwas anbahnt. Ich bin dann sofort zurück nach Adenau, weil ich davon ausging, dass es bis zum Anruf der Feuerwehr nicht mehr lange dauert. So war es dann auch. Von da an waren wir in Adenau in der Einsatzzentrale gefordert: Mobilfunk ausgefallen, Festnetz, Internet, nichts funktionierte mehr, aber wir mussten trotzdem einen Einsatz koordinieren – ohne Strom im Tal. Am 16. Juli bin ich dann ins Tal gefahren. Ich sage es mal so: Die Bilder im Fernsehen im Vergleich zu dem, was man sieht, wenn man persönlich vor Ort ist, das sind zwei Paar Schuhe.
Es lief eine beispiellose Hilfswelle an, die auch an einigen Stellen abgewürgt wurde. Warum?
Ja, wir sind zunächst förmlich in Sachspenden erstickt. Bitte nicht falsch verstehen: Das war gut gemeint und sicher für viele auch hilfreich. Aber wir hatten irgendwann so viel zusammen, dass wir nicht mehr wussten, wohin damit, und mussten dann zum Nürburgring als Lager ausweichen. Dann kamen Menschen aus dem gesamten Bundesgebiet und aus den Nachbarländern, um zu helfen. Dafür sind wir dankbar. Das lief anfangs aber chaotisch, ohne Koordination, weshalb wir das Tal erst einmal sperren mussten, denn die Anfahrtswege waren verstopft. Und wir konnten nicht einfach jeden privaten Helfer in unüberschaubare Situationen, in einsturzgefährdete Häuser, zur mit Fäkalien und Öl verseuchten Ahr schicken. In Antweiler etwa haben wir eine Fliegerbombe gefunden, die musste erst entschärft werden. Aber die Hilfe war überwältigend, auch hier in den Gemeinden vor Ort. Man kennt sich, man hilft sich gegenseitig.
Mittlerweile hat, wie in Deutschland üblich, der Landkreis wieder die Leitung des Krisenstabes. Fühlen Sie sich davon gut unterstützt?
200 Kreisbedienstete waren selbst stark betroffen von der Flut. Daher hat es etwas gedauert, bis man mit dem Kreis wieder arbeiten konnte. Was den Krisenstab des Landes angeht, war es anfangs ein großes Chaos. Jeden Tag stand hier ein anderer Verantwortlicher, der uns mitgeteilt hat, wie wir unsere Arbeit machen sollten. Deshalb haben wir in den ersten Wochen oftmals an den offiziellen Strukturen vorbei gearbeitet und entschieden. Dazu stehe ich auch. Aber auch hier hat es nach einer Weile besser geklappt. Fairerweise aber muss man sagen: Eine Katastrophe solchen Ausmaßes hat noch keiner von uns erlebt, wir alle mussten lernen. Und hier in Adenau haben wir ohnehin einen krisenerprobten Einsatzstab – durch den Nürburgring, an dem viele Rettungsorganisationen seit Jahrzehnten Hand in Hand zusammenarbeiten. Man kennt sich über Jahre, gewachsene Strukturen vereinfachen die Kommunikation. Das hat uns in den ersten Wochen den Hintern gerettet.
Wie muss sich also der Katastrophenschutz ändern?
Alle Experten sagen: Selbst die besten Vorsorgemaßnahmen hätten dieses Ausmaß an Zerstörung nicht verhindern können. Was wir hätten gewinnen können, ist Zeit – und damit hätten wir Menschenleben retten können. Unsere politischen Forderungen sind daher ein umfassendes Hochwasserschutzkonzept für die Ahr, inklusive aller Nebenbäche von der Mündung bis zur Quelle. Hier machen wir uns zusammen mit dem Land Nordrhein-Westfalen auf den Weg. Als Verbandsgemeinde haben wir 2019 ein Vorsorgekonzept in Auftrag gegeben. Die zwingend notwendige Bürgerbeteiligung konnten wir lange wegen Corona nicht durchführen. Jetzt hätten wir das Konzept im Gemeinderat vorgestellt – aber da hatte uns das Ereignis schon überholt. Die Maßnahmen aber wollen wir in einer Hochwasserpartnerschaft umsetzen. Was die Kommunikation angeht, müssen wir redundant arbeiten: Digital ist nicht das Nonplusultra, das funktioniert ohne Strom nicht, wir brauchen Sirenen, und wir müssen die Warnungen zum Beispiel des Deutschen Wetterdienstes künftig immer ernst nehmen.
Wie gehen Sie persönlich mit dieser fordernden Zeit um?
Man funktioniert einfach. Da ist keine Zeit, sich groß Gedanken zu machen. Ich bin aber auch kein Mensch, der jammert. Ich sage mir: Nerven behalten. Nützt doch nix. Wir müssen strukturiert und sachlich an die Sache rangehen und abarbeiten. Jetzt geht es aber darum, denjenigen zu helfen, die vor Ort waren, als es passiert ist, auch den Rettungs- und Einsatzkräften. Das geplante Traumazentrum im Tal richtet sich an alle, Einwohner wie Rettungskräfte. Wir reden hier über lange Jahre, in denen wir das Erlebte verarbeiten müssen.