Bei „19 grams" kommen direkt gehandelte Single-Origin-Kaffees in die Maschinen. Im Café nahe dem Alex gibt’s „Disco Italo" und „Wild at Heart" zum Vor-Ort-Trinken oder in die Tüten für Zuhause. Neuester Coup der Röster ist ein alufreier Kapselkaffee-Adventskalender.
In einer großen Pappschachtel 24 Dosen. Ein Mitarbeiter, wenige fixe Handgriffe: die Dose aufgeschraubt, die Bohnen in die Mühle geschüttet, Dose unters Mahlwerk. Unter dem Auslass füllt sie sich blitzschnell mit gemahlenem Kaffee. Respekt! Die Kaffee-Adventskalender bei „19 grams" werden tatsächlich in Handarbeit hergestellt. Die Single-Origin-Kaffees werden Dose für Dose vermahlen. Im Nebenraum der Rösterei bestücken weitere Mitarbeiter Espresso-Test-Boxen mit jeweils fünf Dosen. Der späte Oktober ist Hauptsaison für das Vorweihnachtsgeschäft, das mit der Auswahl und dem Einkauf von 24 Kaffees von 24 Farmern in 24 Ländern mehr als ein halbes Jahr zuvor beginnt. Die Endfertigung der drei Adventskalender mit Espresso, Filterkaffee sowie erstmals Kapselkaffee läuft kurz vor dem Versand im November auf Hochtouren.
Später am Tag erwartet Partner Gerrit Peters von „19 grams" eine ecuadorianische Delegation, die sich einen Überblick über nachhaltige Perspektiven für Kaffee-Farmer im eigenen Land verschaffen will. Denn so flott sich ein Espresso aus „Italo Disco"-Bohnen oder ein Cappuccino aus einem „Wild at Heart" trinken lassen, so langfristig sind Kaffeeanbau und -verarbeitung. Ein Strauch wächst sieben Jahre von der Anpflanzung bis zur ersten Ernte. Zudem ist das global gehandelte Produkt ein im Sinne der Nachhaltigkeit vielfach fragwürdiges Produkt.
Doch „19 grams" geht seit beinah 20 Jahren abseits des Massenmarktes sehr fokussiert mit Strauch, Kirsche und Bohne um. Es kommen ausschließlich die aromatischeren, aber auch pflegeintensiveren Arabica-Bohnen als Single Origins direkt von den Farmen in die Röstmaschine. „Wir kaufen nur Kaffees, die um den Faktor vier bis fünf teurer sind als die an der Börse gehandelten", sagt Gerrit Peters. „Nur so können wir Qualität, Handernte und gute Arbeitsbedingungen durchsetzen." Die Bohnen kosten nicht 5,99 Euro pro Pfund, sondern je nach Farm, Aufwand und Abnahmemenge zehn bis 40 Euro je 250-Gramm-Tüte.
„Kaffeebranche ist ein Frauengeschäft"
Australier gründeten „19 grams" anno 2002 als „Tres Cabezas" am Boxhagener Platz. „Am Boxi gab’s damals gar keinen Markt für Specialty Coffees", sagt Peters. „Tres Cabezas wurde von Italienern gerettet, die in ein nahes Hostel kamen und guten Kaffee trinken wollten." Heute beinah unvorstellbar, aber vor knapp 20 Jahren war Berlin selbst im hippen Friedrichshain eher Entwicklungsland als Genießer-Hotspot für Gefiltertes, Gebrühtes und Getropftes in der Tasse.
Ein Bewusstsein für verschiedenste Sorten, die Auswirkungen von Boden, Klima und Anbauweise auf Bohnen, Aromen und Zubereitungsweisen entstand vor allem in den vergangenen zehn Jahren. Menschen aus Ländern ohne langjährige Kaffeetradition wie Großbritannien, den USA und Australien trieben die „Third Wave"-Kaffeekultur mit ihren hohen qualitativen und ethischen Ansprüchen voran.
In Deutschland hatte Kaffee „definitiv den falschen Start", sagt Gerrit Peters. „Unter Bismarck wurde Kaffee als billiges, rein quantitatives Produkt eingeführt, das die Arbeiter wachhalten sollte." Anders lief es in Ländern wie etwa Österreich, die über die Türken und den Mokka zur eigenen Kaffeehauskultur fanden. „Totgeröstete" Robusta-Bohnen im Monokulturanbau werden aber in der Tasse bitter. Sie müssen mit Milch und Zucker überhaupt erst trinkbar gemacht werden. Schöne Grüße von Omas Filterkaffee mit Kondensmilch! „Unser Kaffee bei ‚19 grams‘ hat damit gar nichts zu tun", sagt Peters. „Das Problem ist, dass er unter dem gleichen Namen läuft."
Richtig spannend wird’s bei Projektkaffees wie dem „Café des Mamas", einem Red Bourbon Arabica aus dem Gicumbi District im Norden von Ruanda. Er schmeckt nach Blaubeeren, Mango und Kokoszucker. Und es steckt viel Frauenarbeit in ihm, verrät ein Text auf der Tüte: „Die Kaffeebranche ist ein Frauengeschäft. Frauen arbeiten in der Regel hinter den Kulissen – als Pflückerinnen, Sortiererinnen, Farmerinnen. Sie machen meist die richtig schweren Jobs und werden am schlechtesten bezahlt." Wer den in Kooperation mit Radrennprofi Rick Zabel vertriebenen „Café des Mamas" kauft, fördert Frauenbildung und eine Qualitätssteigerung des Kaffees über das Projekt.
Die harten Jungs der deutschen Metal-Band Blind Guardian dagegen haben sich mit dem „Majesty Roast" eines Kaffees aus dem Chikkamagaluru-Distrikt in Karnataka in Indien angenommen. Der Aufdruck auf der Tüte verheißt Noten von Kakao, Haselnuss und Marzipan. Meine Siebträgermaschine zu Hause freut sich!
Ich habe mich für drei größere Probiertüten für zu Hause entschieden. Es gilt dranzubleiben, denn Kaffee verliert bei längerer Lagerung. Innerhalb von sechs Monaten sollte Kaffee getrunken sein; auf jeder Tüte ist das Röstdatum aufgedruckt. Die jetzt in den Versand gehenden Adventskalender sind bei „19 grams" geradezu alte Hüte: Seit acht Jahren wird die Espresso-, seit zwei Jahren die Filtervariante angeboten. So richtig neu und einzigartig ist in diesem Jahr der Nespresso-kompatible Kapsel-Kalender. Er ist das Einsteigermodell für diejenigen, die mit schlechtem Alu- und Ökogewissen ihre Maschinen in den Schränken versteckt halten oder für die es zwischendrin schnell gehen soll.
„Wir versuchen die großen Kalender im Kleinen zu spiegeln", sagt Peters. Zwei Probleme mussten gelöst werden: Es sollten kompostierbare Kapseln mit 6,7 bis 6,8 Gramm Kaffee gefüllt werden. Üblich sind fünf. „Das schmeckt oft flach. Das wollten wir nicht." Ein Hersteller in Bayern produziert nun die alufreien „19 grams"-Kapseln mit der gewünschten Kaffeemenge. Der „Kleine" ist für 26,90 Euro zu haben, die großen Geschwister kosten 79,90 Euro. So erklärt sich auch der Unternehmensname: 19 Gramm Kaffee kommen in Australien für einen doppelten Espresso in den Siebträger.
„Bei Zubereitung geht’s um Präzision"
Der italienische Fotograf und ich trinken vor Ort Cappuccino. Der „Wild at Heart"-Espresso dafür ist die einzige Mischung aus zwei Sorten „damit er mit Milch funktioniert". Noten von Karamell, Schokolade und Erdbeere grüßen unter der Milchhaube. Wir wollen im gläsernen Café dazu noch ein, zwei Gerichte probieren. „19 grams" bietet herkunftsgemäß eine Bistroküche mit australischem Twist. Ein hausgemachtes Granola aus knusprigen Flocken wird mit fermentierter Feige serviert. Sie steuert süß-säuerliche Noten zum Spätstück bei. „In Australien wird viel fermentiert", erfahren wir. Eggs Benedict auf einer dicken Scheibe Bauernbrot werden von selbst gemachter Hollandaise und ausgelassenen dicken Bacon-Scheiben sowie Kresse getoppt. Produktbewusst, qualitätvoll und einfach köstlich: Die Qualität des Essens entspricht definitiv der der Kaffees.
Nach hoher Qualität verlangen ebenfalls die Menschen von überall her, die zum Arbeiten nach Berlin kommen. „Große Start-ups müssen mehr bieten als nur den Paycheck", sagt Peters. Sie sind ein weiterer Motor für den Geschäftskunden-Absatz. „19 grams" beliefert nicht mehr allein Restaurants, sondern auch zahlreiche Firmen. Der Onlineverkauf, anfangs ein Nebenbei-Geschäft, nahm ebenfalls im Endverbrauchersegment Fahrt auf. „Unser Onlineumsatz hat sich in der Corona-Krise verdreifacht und stabil gehalten." Es gibt unterschiedliche Abo-Modelle: Ob „Orang Utang" oder „Endless Summer" – diverse Sorten sind in verschiedenen Portionierungen, Mahlgraden und Lieferintervallen bestellbar.
Wer noch mehr über Kaffee erfahren und der eigenen Maschine oder dem eigenen Filter nicht unwissend entgegentreten will, kann Barista-, Filter- oder Sensorik-Trainings bei den Profis besuchen. Was viele unterschätzen: In erster Linie spielt die Kontrolle über die qualitätsbestimmenden Faktoren Wasser, Temperatur, Mahlgrad, das Verhältnis von Kaffee zu Wasser sowie den Druck beim Espresso eine Rolle auf dem Weg zum wohlschmeckenden Heißgetränk. „Kaffeezubereitung ist wie Backen, nicht wie Kochen", sagt Gerrit Peters. „Es geht nicht um Kreativität, sondern um Präzision." Kein Wunder, dass ein von dieser strengen Linie in Teilen abweichendes Training am beliebtesten ist: „Unsere Latte-Art-Kurse sind der Renner. Ein Herz auf dem Schaum ist ein unmittelbares Ergebnis."