Maden, Gestank und Leichenflüssigkeit: Desinfektor Thomas Kundt ist einer von bundesweit rund 170 Tatortreinigern. Seine Erlebnisse hat er in einem Buch verarbeitet.
Mord und Totschlag, Herzinfarkt, Suizid oder Versterben durch Altersschwäche. Mal kommt der Tod auf leisen Sohlen, manchmal aber auch dramatisch. Worüber man nur selten spricht: Nach dem Ableben eines Menschen muss der Ort des Geschehens meist gesäubert werden. Es ist ein Job für sogenannte Desinfektoren, die als Tatortreiniger unterwegs sind. Laut einer IHK-Statistik üben diese Arbeit bundesweit etwa 170 Berufstätige aus – als Selbstständige oder Beschäftige von Reinigungsfirmen.
Einer von ihnen ist Thomas Kundt. In seinem kürzlich erschienenen Buch „Nach dem Tod komm ich" (dtv) schildert der 41-Jährige auf beeindruckende Art und Weise seinen Job. Der habe jedoch nicht ausschließlich mit dem Tod zu tun, wie er sagt. „Ich werde auch gerufen, wenn die Wohnung eines Messies ausgeräumt werden muss. Das kann schweißtreibend sein und mehrere Wochen dauern", plaudert der Leipziger überraschend locker über seine Arbeit. In einer Wohnung habe er mal 14 Tonnen Müll entsorgt!
Sein düsteres Expertenwissen bringt Thomas Kundt mit fast schon unbekümmerter Leichtigkeit rüber. Im Buch schreibt er (mit Unterstützung von Autor Tarkan Bagci) von Tatorten, an denen er in Pantoffeln steckende Zehen fand, aber auch von persönlichen Dingen Verstorbener, die viel über deren Schicksal verraten. Es sind bewegende und emotionale Geschichten. Da ist die Ex-Sekretärin, die ein Verhältnis mit ihrem Chef hatte und laut einem Briefverkehr ein Leben lang darauf wartete, dass ihr Vorgesetzter seine Gattin für sie verlässt. Offenbar vergeblich. Oder da ist die Frau, die einen Mordanschlag nur knapp überlebt, deren blutüberströmte Wohnung aber gesäubert werden muss.
Beim allerersten Einsatz half ihm seine Mutter
Kundt spricht vom ehemals hohen Funktionär eines „Volkseigenen Betriebs" der DDR, der von seinem Umfeld völlig vergessen und verlassen starb. Fotos in der Wohnung zeigten den Mann am Rednerpult und in teuren Autos. Der Lauf der Zeit hätte aus wertvollen Möbeln Sperrmüll gemacht und dem hohen Kader seinen Wohlstand genommen. „Wohnungen sogenannter Wendeopfer reinige ich öfter. Es sind Menschen, die keinen Anschluss mehr fanden, obwohl sie hochgebildet und qualifiziert waren", so der Sachse. Der berichtet von Tausenden Fliegen und Maden in und an Toten sowie eingetrocknetem Blut am Mobiliar. „Ohne Maske und Schutzanzug geht da nichts", sagt der Mann, dessen Mutter ihm beim allerersten Einsatz half. Zwischenfälle gibt’s während der Einsätze immer wieder. So sei ein Bestatter mal in Leichenflüssigkeit ausgerutscht und habe noch tagelang danach gestunken, ist vom Tatortreiniger zu erfahren. Besonders Hunde, aber auch andere Tiere mit feinem Gespür, würden noch Tage nach Einsätzen einen großen Bogen um Tatortreiniger machen. Ob er sich im achten Berufsjahr manchmal noch ekelt? Das komme vor, insbesondere bei der Desinfektion von Wohnungen, in denen Alkoholkranke lebten. Die hätten oft Probleme mit dem Darm- und Verdauungstrakt. Häufig werde er auch in Altenheime und Hospize gerufen: „Hier geht es aber meist um reine Raumdesinfektion, nicht um die klassische Arbeit als Tatortreiniger", erklärt Thomas Kundt.
Der arbeitet hauptsächlich in Leipzig und dem Umland der City. Unterschiede zwischen Stadt und Land gebe es beim Desinfizieren nach Todesfällen kaum. „Was sich unterscheidet, ist die Zahl der Menschen, die in Vereinsamung sterben. Auf dem Land passiert das seltener, weil man hier noch mehr aufeinander achtet", schildert der Familienvater im Gespräch mit FORUM seine Erfahrung. Eine überraschende Antwort gibt es auf die Frage, wie viele Frauen den Beruf ausüben. „Ich schätze, das ist in etwa pari-pari verteilt. Schon bei uns im Unternehmen, bei zehn Angestellten, entspricht die Frauenquote der der Männer", betont Thomas Kundt, der als Freiberufler anfing und später eine Firma gründete.
Doch warum gibt man mit Mitte 30 seinen sicheren Job als Finanzberater auf und tauscht Schlips und Kragen gegen Ganzkörper-Schutzanzüge, Eimer und Lappen? Thomas Kundt erklärt, dass er Antiquitäten sammelt und sich schon früher im Nachlass Verstorbener umsah. Ein aufregenderes Leben hatte er sich ohnehin gewünscht. Da kam die Anfrage eines Bekannten von der Mordkommission Leipzig gerade recht. „Ich war damals mit meinem gesamten Leben nicht glücklich und auch gerade frisch getrennt. Dabei ging’s mir mit meinem klassischen Bürojob eigentlich ganz gut", erinnert sich Thomas Kundt. Leichenreste wegräumen sei definitiv nicht sein Plan gewesen.
Heute schwört der Desinfektor auf seine Arbeit. Er berichtet darüber so bewegend, dass er bei Vorträgen mittlerweile ganze Säle füllt. Da fällt es schwer, das Thema zu wechseln. Als die Sprache auf seine Heimatstadt Leipzig kommt, gelingt das aber. „Jeder, der schon mal in Leipzig war, weiß, dass wir eine hervorragende Bausubstanz haben und in einer wunderschönen Stadt wohnen. Es gibt tausend Ecken, die Leipzig ausmachen: vom Völkerschlachtdenkmal, dem Uni-Riesen – auch besser bekannt als City-Hochhaus – bis hin zur Innenstadt. Dort liegen auch meine Lieblingsplätze, ganz besonders die Mädlerpassage." Natürlich darf auch das berühmte Zitat Johann Wolfgang Goethes nicht fehlen: „Mein Leipzig lob’ ich mir, es ist ein Klein-Paris."
„Ich bin ein lebensbejahender Mensch"
In der Messestadt besucht er gern Cafés und Restaurants, wie Kundt sagt. Beispielsweise zum Frühstück. Berufsbedingt gerate das Morgenmahl jedoch oft in Gefahr. Grundsätzlich gelte für Unternehmer und Selbstständige, selbst und ständig zu arbeiten. Das betrifft laut Thomas Kundt gerade die Wochenenden. „Von Berufs wegen muss ein Tatortreiniger in Sachen Essen übrigens nichts weiter beachten – zumindest wenn er beziehungsweise sie gesund ist und einen stabilen Magen hat", schmunzelt der Leipziger.
Wie die meisten Sachsen schwört er auf sein Bundesland, ist aber auch gern unterwegs. Reisen bilde schließlich und erweitere den Horizont, so Thomas Kundt. Nach Berlin und Brandenburg kommt er allerdings nicht so häufig, wie er auf Nachfrage erklärt. „Ich muss ganz ehrlich sein. Erst in den letzten anderthalb Jahren ist die Bundeshauptstadt für mich näher gerückt. Ich war eine Zeit lang in Berlin, um den Podcast ‚Was macht ein echter Tatortreiniger‘ aufzunehmen. Und ich besuche in regelmäßigen Abständen Rechtsmedizinerinnen und Rechtsmediziner. Natürlich habe ich mir bei meinen Stippvisiten auch Fernsehturm, Brandenburger Tor und Regierungsviertel angeschaut, freue mich aber auch immer wieder auf zu Hause." Berlin sei aber eine schöne Stadt, die er immer wieder gern besuche.
Auf die Frage, was er als Tatortreiniger verdient, weicht Thomas Kundt aus. Einheitlich geregelt sei das Honorar nicht. Seine Arbeit werde leistungsbezogen vergütet. Welche genauen Kriterien gelten, ist vom Leipziger nicht zu erfahren. Nur so viel: „Wer in dem Metier gute Arbeit leistet, kann auch gutes Geld verdienen. Ich will mich nicht beschweren."
Seitdem er durch seinen Job fast täglich mit dem Tod konfrontiert wird, weiß er sein eigenes Dasein mehr zu schätzen, sagt Thomas Kundt. „Ich lebe bewusster, seitdem sich mein Leben um Tod und Sterben dreht, bin aber grundsätzlich ein positiver, lebensbejahender Mensch. Pessimisten und Miesepeter könnten diesen Beruf sicher nicht ausüben."
Im Buch „Nach dem Tod komm ich" vertieft Thomas Kundt diese Gedanken. Die Lektüre macht klar, dass sein außergewöhnlicher Job als Desinfektor Stärke, Gelassenheit und Mut erfordern. Jeder Einsatz bringe eine neue Herausforderung, erklärt der Leipziger: „Niemals könnte ich behaupten, schon alles gesehen zu haben, denn jeder Tatort beweist mir das Gegenteil", so Thomas Kundt. Der Tatortreiniger macht einen Job, der die Vorstellungskraft vieler Leser übersteigen dürfte. Sein kurzweiliges Buch ist eine tragikomische Geschichte über den Tod, das Leben, vor allem aber übers Menschsein.