Steffen Baumgart hat den 1. FC Köln in kurzer Zeit quasi wach geküsst. Doch die Euphorie um den Trainer schlug auch schnell in gesteigerte Erwartungen um. Vielleicht auch, weil die Anfänge dieser Geschichte viele an eine der erfolgreichsten Verbindungen im deutschen Fußball erinnert.
Die Vergleiche waren schnell bei der Hand. Dass ein Trainer, ja eine einzelne Person, einen Verein so schnell so sehr wiederbelebt hat wie Steffen Baumgart den 1. FC Köln, hat es im deutschen Fußball zuletzt vor 13 Jahren gegeben. Damals übernahm ein gewisser Jürgen Klopp Borussia Dortmund, machte den BVB drei Jahre später zum deutschen Meister und holte ein Jahr später sogar das Double. Normalerweise verfallen dermaßen Gehuldigte schnell in Abwehr-Haltung, bezeichnen solche Vergleiche als überzogen oder zumindest verfrüht.
Nicht so Steffen Baumgart. Der „Klopp von Köln" zu werden, sei doch „ein schönes Ziel", sagte der 49-Jährige schon Ende September: „Es wäre doch auch interessant, mit einem anderen Verein dem FC Bayern näherzukommen. Dortmund war im ersten Jahr mit Jürgen Klopp auch Zwölfter. Und warum soll es nicht möglich sein, sich nach und nach zu entwickeln?"
Die Statistik war allerdings falsch. Im ersten Jahr unter Klopp war der kurz zuvor noch fast pleite gegangene BVB tatsächlich Sechster geworden. Doch Dortmund hatte natürlich auch ganz andere Voraussetzungen. Dem Kader, den Klopp damals übernahm, gehörten Spieler wie Roman Weidenfeller, Mats Hummels, Christian Wörns, Robert Kovac, Dede, Jakub Blaszczykowski, Florian Kringe, Sebastian Kehl oder Alexander Frei an. Und der BVB hatte kurz vor dem Beinahe-Kollaps in finanzieller Hinsicht auch schon ganz oben gestanden. In der Saison vor Klopps Verpflichtung waren die Dortmunder 13. geworden, hatten aber immerhin im Pokalfinale gestanden.
Offene, leidenschaftliche Spielweise
Wird der 1. FC Köln also 2024 deutscher Meister? Und holt 2025 das Double? Unwahrscheinlich. Dennoch ist das, was Steffen Baumgart rund ums Geißbockheim geleistet hat, bisher aller Ehren wert. Er hat einem auf Strecke meist ziemlich unansehnlich spielenden Bundesligisten mitten in einer Phase des Zweifels nach der Last-Minute-Rettung in der Relegation eine offensive, leidenschaftliche Spielweise eingeimpft. Er hat die Fans mitgenommen, ist bei Sponsoren und Medien beliebt. Das Team spielt trotz der riskanten Spielweise bisher erfolgreicher als im Vorjahr. Und er hat sich nicht über die Abgänge wie von Abwehrchef Sebastiaan Bornauw (Wolfsburg) oder U21-Europameister Ismail Jakobs (Monaco) beklagt, sondern im eigenen Kader nach Potenzialen gesucht, die brachlagen. Und diese gefunden. Anthony Modeste, im Vorjahr ohne Bundesliga-Treffer und im Winter in einer – ebenfalls torlosen – Leihe nach St. Etienne weggeschickt, trifft wieder wie in besten Zeiten und sagt über den Trainer: „Den lieb ich!" Mit acht Treffern hat Modeste bisher ein Tor weniger erzielt als der – zuletzt allerdings verletzte – Dortmunder Wunderstürmer Erling Haaland. Und liegt hinter diesem und Weltfußballer Robert Lewandowski auf Rang drei der Bundesliga-Torschützenliste.
Solche Fälle braucht Baumgart auch, um den Glauben zu schüren, dass eine solche Leistungs-Explosion bei (fast) allen möglich ist. Glaube, Leidenschaft, Motivation – das waren auch bei Klopp mit die wichtigsten Komponenten seiner Arbeit. Wie einst Klopp wurde auch Baumgart selbst schnell zum Gesicht des Vereins und der Mannschaft. Und wie Klopp wird ihm das offenbar auch von den allerwenigstens geneidet. Seit Baumgart in Köln ist – und das ist erst seit etwas mehr als vier Monaten – war er Gast im ZDF-„Sportstudio" oder im „Kölner Treff" und gab das Titel-Interview im Magazin „11 Freunde". Er wurde zum Champions-League-Experten bei den Übertragungen von Amazon. Er wurde für den „Fußballspruch des Jahres" ausgezeichnet, bekam einen eigenen Bierdeckel für den Spruch, bekam von einem Ballermann-Sänger für Karneval einen „Baumgart-Marsch" geschrieben und machte eine unscheinbare Schiebermütze zu einem dauerausverkauften Hit im Fanshop.
Baumgart spricht die Sprache der Spieler und der Fans, ist authentisch und schafft es, Dinge griffig und verständlich zuzuspitzen. Als der frustrierte Modeste im Sommer ein ausführliches Gespräch mit dem neuen Coach führte, merkte er nach eigener Auskunft „sofort, dass das einer ist, mit dem ich in den Krieg ziehen würde". Die Fans forderten rund um die Bundestagswahl: „Baumgart wird Kanzler".
Das ist ein ganz schöner Hype um einen fast 50-Jährigen, der als Trainer erst ein Jahr in der Bundesliga trainiert hatte. Allerdings war dies damals ein Husarenstück gewesen. Den eigentlich in die vierte Liga abgestiegenen und nur durch einen Lizenzentzug verschonten SC Paderborn hatte Baumgart in zwei Jahren in die Bundesliga geführt. Er war dort als Letzter zwar sang- und klanglos wieder abgestiegen, wegen des ansehnlichen Fußballs seines Teams und seiner Art aber vielen nachhaltig aufgefallen. Als er im Frühjahr ankündigte, Paderborn zu verlassen, sollen außer dem FC auch andere Traditionsvereine wie Schalke oder der HSV heftig an ihm interessiert gewesen sein.
Als er in Köln ankam, überraschte der neue Coach erst mal mit der Aussage, es würde ihm nicht reichen, nur gegen den Abstieg zu spielen. Kurz darauf gab er Rang zwölf als Saisonziel aus und vermutete, wenn es nur Platz 15 werde, würde er im kommenden Sommer wohl gar nicht mehr hier sein. Dazu träumte er öffentlich vom Einzug ins Pokalfinale. Und er ließ den Worten Taten folgen. Auch dank eines für Köln diesmal glücklichen Spielplans. Drei Heimsiege gegen die schwächelnde Hertha und die beiden Aufsteiger Bochum und Fürth legten in der Liga schnell punktemäßig ein Fundament, im Pokal ist angesichts eines Heimspiels gegen Zweitligist Hamburg das Viertelfinale greifbar.
Doch schon bald wurde Baumgart auch so ein bisschen das Opfer seines eigenen Hypes. Als sein Team gegen Europacup-Teilnehmer Union Berlin Mitte der zweiten Halbzeit 1:2 hinten lag, hatten einige Fans lautstark begonnen zu pfeifen. Und Baumgart erzählte ohne Rücksicht auf seine eigenen Beliebtheitswerte nach dem Spiel in jedem Interview offenherzig über seine Gemütslage. „Angepisst" sei er, enttäuscht und verärgert.
Die Frage bei Baumgart ist auch die, ob so etwas Kalkül ist. Ob er bewusst selbst ins Risiko geht, um seine Spieler zu schützen. Ob er diese Dinge sagt, um gegen die kippende Stimmung anzugehen, bevor sie eben völlig kippt. Oder ob er tatsächlich so kerzengerade ist, dass das alles nach solchen Eindrücken einfach raus muss. Man ist, auch in diesem Geschäft, durchaus geneigt, Letzteres zu glauben.
„Haben einen Weg zu gehen und müssen uns entwickeln"
Den Fans schrieb der Trainer indirekt sogar Lernbedarf zu. „Wir haben einen Weg zu gehen und müssen uns entwickeln. Sie können das auch", sagte er. Man stelle sich vor, der stets kritisch beäugte Vorgänger Markus Gisdol hätte sich gewagt, so etwas öffentlich zu sagen. Es hätte durchaus passieren können, dass die Fans von Baumgart abrücken. Wenn man sie erziehen und ihnen das Pfeifen verbieten will, reagieren viele Anhänger oft eingeschnappt. Ob Baumgarts Ansehen beim Anhang nachhaltig leidet, wird sich erst in einigen Wochen klar sagen lassen, und es wird auch von der Entwicklung der Mannschaft abhängen. Der erste Shitstorm blieb jedenfalls nicht nur aus. In den sozialen Netzwerken lautete der häufigste Kommentar in den Stunden danach: „Er hat doch recht."
Man glaubt diesem Menschen und diesem Trainer eben. Und so wie Klopp es schaffte, in Mainz, in Dortmund und auch in Liverpool den Fans das Gefühl zu geben, den Verein komplett aufzusaugen, so hat das auch Baumgart in wenigen Wochen im Rheinland geschafft. Er geht an der Seitenlinie mit. Beobachtet knifflige Szenen gerne in der Hocke mit auf den Oberschenkel abgestützten Armen wie ein Wrestler oder Ringkampfrichter. Er tigert die Seitenlinie auf und ab, gestikuliert, brüllt, klatscht, zetert und jubelt. Und trägt dabei selbst bei einstelligen Graden gerne ärmelfrei. So einer lebt den Fußball.
Und er kündigte auch schon mal an, sich nicht von seinem Weg und seinem Spektakel-Fußball abbringen zu lassen. „Zwei, drei Jahre sah der Fußball hier anders aus. Jetzt sieht er so aus, dass er Spaß macht. Dabei werden Fehler gemacht", sagte er und stellte klar: „Ich werde das weiter einfordern und hoffe, dass die Jungs weiter das Vertrauen in diesen Fußball haben. Und in der ein oder anderen Situation nicht nach draußen hören. Wenn einer ein Problem mit diesem Fußball hat, übernehme ich die Verantwortung."