Dank der Generation Z und des Videoportals Tik-Tok feiert die schrill-bunte Bling-Bling-Mode der Nullerjahre ein Comeback. Einstige Modesünden wie Nicki-Anzüge mit Strass-Steinen, bauchfreie Bra-Tops, Glitzergürtel, Low-Waist-Schlaghosen und Blocksträhnen sind wieder angesagt.
Als der damals 29-jährige Jungdesigner Nicola Brognano im Februar 2020 zum Kreativchef des italienischen Traditionslabels Blumarine ernannt worden war und sich gleich daran gemacht hatte, die zwischen Romantik und Sex-Glamour angesiedelte Marken-DNA mit Chiffonkleidern, federleichten Strickteilen und der Rose als Firmensymbol ziemlich radikal zu verändern, war es hausintern zu heftigen Diskussionen gekommen. In den vergleichsweise wenigen Medienkommentaren war Brognano nach eigenem Bekunden harsch kritisiert worden. Aber dank der Rückendeckung durch Marco Marchi, dem Inhaber des florierenden Contemporary-Labels Liu Jo, der Ende 2019 das anno 1977 auf Capri von Anna Molinari gegründete Label Blumarine samt den Ablegern Blugirl, Anna Molinari und Be Blumarine erworben und seinem neuen Fashion-Konzern Eccellenze Italiane eingegliedert hatte, konnte Brognano sein Ding machen. Das darin bestand, die gesamte Kollektion nach und nach in Richtung einer neuen Zielgruppe auszurichten, die von der Konkurrenz aus seiner Sicht noch viel zu wenig bedient wurde: die Generation Z, der überwiegend diejenigen zugerechnet werden, die zwischen 1997 und 2010 geboren wurden und die damit die direkten Nachfolger der Generation Y oder der Millennials sind, die Anfang der 80er- bis Mitte der 90er-Jahre das Licht der Welt erblickt hatten.
Brognano hatte die jüngsten modischen Vorlieben der Generation Z genauestens verfolgt, wobei er deren liebste Spielwiese namens TikTok besonders im Auge behalten hatte. Und dabei war ihm aufgefallen, dass ausgerechnet die auf dem schmalen Grat zwischen Geschmack und Geschmacklosigkeit wandelnde schrill-bunte Bling Bling-Fashion der Nullerjahre zunehmend zur neuen Style-Vorlage geworden war. Die Sehnsucht nach nostalgischen Outfits, nach einem Retro-Charme der 2000er-Jahre, was sich auch in stetig steigenden Nachfragen auf Vintage- oder Resell-Portalen wie Rebound oder Tradesy abgezeichnet hatte. Zudem hatte sich der Appetit der Generation Z auf cleveres Trödeln und upgecycelte Mode der Nullerjahre längst auch bei der globalen Fashion-Suchmaschine Lyst deutlich bemerkbar gemacht.
Warum die Girlies der Generation Z sich ausgerechnet den schrägen Look der damaligen Stilikonen wie Paris Hilton, Nicole Richie, Christina Aguilera, Jennifer Lopez, Lindsay Lohan (besonders im Teeniestreifen „Girls Club" oder „Mean Girls"), die Mitglieder von „Destiny’s Child", (die damals noch nicht so bekannt waren), Britney Spears, Avril Lavigne, Mariah Carey und Ashley Tisdale zum Vorbild auserkoren haben, wird wohl für immer ihr wohlbehütetes Geheimnis bleiben. Auch wenn eine Vielzahl von Psychologen oder auch Fashion-Insidern darin eine Flucht aus dem stressigen Jetzt in vermeintlich bessere Zeiten ausgemacht haben will. Ein Erklärungsansatz, der angesichts der Terroranschläge vom September 2001 oder dem Dräuen der globalen Finanzkrise ziemlich absurd erscheint.
Bruch mit dem Klassischen
Die Jahrtausendwende als viel beschworener Aufbruch in ein neues Wunderuniversum konnte bislang noch nicht bestätigt werden. In der Mode gab es allerdings einen kurzzeitigen Bruch mit dem Klassischen. Plötzlich waren schrille Farben, viel Glitzer und reichlich nackte Haut angesagt, wodurch die Fashion insgesamt jünger, rebellischer und durch Verwendung metallischer Stoffe auch futuristischer wirkte. Damals hatten das allerdings viele für ziemlich geschmacklos und für eine Modesünde gehalten. Dafür steckte das Internet noch in den Kinderschuhen, von Instagram, Facebook oder Twitter war noch gar nichts zu sehen. Kaum anzunehmen, dass die Generation Z wirklich die mediale Steinzeit bewusst zu ihrem Traumjahrzehnt auserkoren hat.
Als selbst die Computer-Jahresumstellung von den 1900er- auf die 2000er-Zahlen ein Riesenproblem gewesen war, für das das Kürzel „Y2K-Bug" (englisch für: „Year 2 Kilo" = Jahr 2000) gebräuchlich werden sollte. Mittlerweile wird nun dieses auch zur Bezeichnung des Nullerjahre-Revivals als „Y2K-Fashion" verwendet. Auch hat die schon mit der britischen Sängerin Dua Lipa eine neue Stilikone geboren, die bei der jüngsten Grammy-Verleihung in funkelndem Strass samt filigran eingearbeiteten Schmetterlings-Details erschienen war. Daneben tummeln sich die blutjunge Olivia Rodrigo, Addison Rae oder Rina Sawayama neben den üblichen Verdächtigen wie Kendall Jenner oder Bella Hadid nicht nur in Klamotten im Stil der Nullerjahre, sondern haben sich auch die entsprechenden Accessoires, Frisuren oder Beauty-Applikationen zugelegt.
Selbst Paris Hilton oder Kim Kardashian sind wieder in ihre Nicki-Anzüge im Look der 2000er-Jahre geschlüpft, schließlich hat Kim dank ihres eigenen Brands Skims eine Kollektion von samtig-kuscheligen Velours-Tracksuits auf Lager und braucht daher nicht mehr auf die Pieces mit den den Po akzentuierenden Glitzersteinen der legendären Marke Juicy Couture zurückzugreifen, die natürlich ebenfalls gerade ein Comeback nach Jahren des Abgleitens in Trashiges mit neuen Nicki-Trainingsanzügen oder Bandanas, Crop-Tops, Wickelröcken oder Handtaschen aus Velours feiert. Sogar die inzwischen 52-jährige Jennifer Lopez präsentierte sich bei ihrem kürzlichen Urlaub an der Côte d’Azur an der Seite ihres Ex-Gatten Ben Affleck in Y2K-Outfits. Was sich wohl nur eine J. Lo erlauben kann.
Weil ansonsten für den Nullerjahre-Look schon eine gewisse Altersbegrenzung eingehalten werden sollte, sprich sich am besten nur Mitglieder des Generation Z-Clubs (vielleicht auch noch einige späte Millennials) damit einkleiden sollten. Auch wenn dies in keinem der zahlreichen, ausnahmslos wie gewohnt unkritischen, den Trend unisono bejubelnden Beiträgen in Magazinen oder Onlineportalen ausdrücklich bislang erwähnt wurde. Einzige Ausnahme die Herren-Zeitschrift „Esquire", die ihren Lesern, die sich in Nachfolge der Backstreet Boys oder der von Justin Timberlake angeführten Band NSYNC für die maskuline Y2K-Variante mit Ed Hardy-Shirts, baggy geschnittenen Fubu-Jeans, Glitter-Denim-Jacken oder Air-Force 1-Nike-Sneaker erwärmen möchten, als Mitmachkriterium das früheste Geburtsjahr 1998 ins Stammbuch geschrieben hatte.
Während sich die Mehrzahl der Designer in ihren aktuellen Winterkollektionen darauf beschränkt hat, nur Key-Pieces der Nullerjahre meist in Knallfarben und mit jeder Menge Strass überzogen wie Bandeau-Tops mit schmalen Trägern, Wasserfall-Tops, bauchfreie Bras oder cropped Tops, Low-Rise-Trousers (vor allem Jeans) ohne oder am besten mit Schlag, baggy Denim-Trousers, All-over-Jeans-Looks, Satin-Kostüme mit XXL-Schlitzen, Pastell-Minis, Cargohosen, Samt-Trainingsanzüge, Skorts (Rock-Shorts-Hybride), freizügige Korsetts (gottlob nicht auch noch sichtbar getragene Tangas), klobige (Plateau-) Schuhe, Perlenketten, leuchtend-bunte Haarclips, Scrunchies, Pelzkragen oder auffällige Faux Fur-Details, Tiaras, Choker, Triangel-Kopftücher, Glitzergürtel, Bucket Hats (zum Glück nicht auch noch Trucker-Kappen), Sonnenbrillen mit bunten Gläsern oder Baguette-Bags zu präsentieren und auch gelegentlich Kombinationen mit 2000er-Frisurentrends wie Blocksträhnen (die inzwischen vornehm Chunky Highlights oder Money Pieces genannt werden) oder Space-Buns zu durchsichtigem Lipgloss aufzuzeigen, geht Blumarine unter Nicola Brognano voll aufs Ganze. Das Label ist mit seinem Wintersortiment so etwas wie die Goldader des Y2K-Trends.
Beginn der zuckersüßen Mode
Brognano bezog sich dabei ausdrücklich auf die Nullerjahre-Looks von Britney Spears und Paris Hilton, die beide für ihn in seiner Kindheit die absoluten Traumfrauen waren. Und konnte mit seinen Kreationen neben Dua Lipa auch gleich weitere Promi-Ladys wie Ariana Grande oder Rihanna begeistern. Seit dem Sommer 2021 reitet er nun schon mit Blumarine auf der Y2K-Welle, ein Ende ist gar nicht abzusehen, wie schon die ersten Entwürfe für die Ressort-Kollektion 2022 und den Winter 2022/2023 zeigen. Es gibt kaum ein Nullerjahre-Piece, das sich nicht in irgendeiner Form bei Blumarine wiederfindet. Egal, ob es sich dabei um extrem niedrig geschnittene Hüfthosen mit weitem Schlag und überreichlichem Kristallbesatz, mikro-knappe Minis in Leuchtfarben, Fake Fur-Kragen an Grobstrick-Cardigans, Berets aus Satin, kristallgeschmückte Gürtel oder um ein mit einem funkelnden Rosensymbol verziertes Tüll-Bodysuit handelt. Und die riesige Nachfrage nach den Stilettos mit den kreuz und quer bis über die Kniekehlen reichenden Riemchen kann derzeit kaum gestillt werden.
Über allem schwebt der Schmetterling, den Brognano als funkelnde Zierde, beispielsweise in Gestalt einer Gürtelschnalle, neben der Rose zum neuen Markenzeichen seines Brands machen möchte. Der Butterfly war auch schon in den Nullerjahren von Alexander McQueen gern benutzt worden, auch Labels wie Moschino, Valentino oder Givenchy hatten sich seinerzeit des Motivs bedient. Christina Aguilera oder Mariah Carey waren einst im Insektenglanz aufgetreten, was nun natürlich Dua Lipa oder Bella Hadid nachahmen mussten. „Abgesehen von der Luxusmode hat der Schmetterling heute einen unbestreitbaren Kitschfaktor, der bei einem jugendlichen TikTok-Publikum Anklang findet in Form von temporären Tattoos oder aber Strassverzierungen", schrieb die deutsche „Vogue". Doch die Konkurrenz schläft nicht und will diesen neuen lukrativen Ugly-Trend keinesfalls alleine Blumarine überlassen. Allen voran Tom Ford, der einst Gucci in Sachen Sexy-Mode an die Spitze geführt hatte, sieht die deutsche „Vogue" als ernsthaften Herausforderer mit ultraknappen, tief sitzenden (Leder-) Hotpants zu Rollkragenpullovern oder Fliegerjacken. Ob er damit den Nerv der Generation Z treffen wird, bleibt allerdings abzuwarten.
Das Label Conner Ives dürfte da mit einer knallengen rosafarbenen Radlerhose zu einem gecroppten Glitzeroberteil oder einer Velours-Trouser mit strassbesetztem Shirt bessere Chancen haben. Gleiches gilt für KNWLS mit einer Nickihose zu einem Swimwear-ähnlichen Top samt reichlich Cut-outs, für Prabal Gurung mit knallroten Schlaghosen zu einem bauchfreien Top samt langer Perlenkette, für Laquan Smith mit freizügigem Korsett über einer engen Lackhose, für Dsquared2 mit einem Nietenlook auf Mini und streifenförmigem Oberteil, für Chanel mit einem bauchfreien Velours-Tracksuit oder für Alyx und Roberto Cavalli mit pastellfarbenen Miniröcken in Kombination mit funkelnden Haarreifen. Selbst die Metallic-Minis von Saint Laurent könnten nach dem Geschmack der Generation Z sein. Aber das alles dürfte wahrscheinlich erst der Anfang vieler künftiger zuckersüßer Modemomente sein. Zumal mit Versace, Anna Sui, Mugler, Vetements (beigefarbene Cargo-Pants für Sommer 2022), Alexandra Rich, GCDS, Courrèges, Ottolinger, Ashley Williams, Supriya Lele, House of Sunny, Maisie Wilen, Moschino oder Dion Lee gerade erst eine ganze Reihe weiterer Labels die Y2K-Fashion für sich entdeckt haben.