Politik braucht Symbole, erst recht, wenn es um die ganz großen Ziele geht. Der Besuch von EU-Kommissar Thierry Breton im Saarland hatte viel von dieser Symbolik – aber auch eine Reihe sehr konkreter Botschaften.
Besuche besonders hochrangiger politischer Gäste kennen eingespielte Abläufe. Schnittbilder fürs Fernsehen und für Fotografen bei der Ankunft und nach Gesprächen hinter verschlossenen Türen kurze Statements mit meist sehr allgemein gehaltenen Botschaften. So lief es auch bei der Visite von Thierry Breton ab. Aber nicht nur. Der EU-Kommissar für Handel und Industriepolitik, einer der einflussreichsten Männer auf EU-Ebene, suchte einen offenen Austausch über das, was sich die EU als große Ziele gesetzt hat. Was übrigens auch ein Ziel der EU-Kommission unter der Präsidentin Ursula von der Leyen ist: Mehr Offenheit und Transparenz, mehr Dialog.
Für das „Bürgerforum zur Zukunft Europas" hätte sich kaum ein besserer Platz als der Landtag finden lassen können, steht der Plenarsaal des Landtags doch für Debatte – und Kontrolle der Regierung.
Breton hörte sich vom Platz des Ministerpräsidenten aus Fragen, Sorgen und Forderungen aus dem Saarland an. Positionen von Profis aus der Wirtschaft, den Gewerkschaften, aber vor allem von der jungen Generation, Schüler, Studierende, Auszubildende.
Die hatten sich in einem intensiven Workshop darauf vorbereitet, dem hohen Vertreter aus Brüssel ihre Botschaften mit auf den Weg nach Europa zu geben. Mobilität, beste Bildung und viele Themen im Zusammenhang mit Klimaschutz standen auf ihren Listen aus dem Zukunftsworkshop. Und am Schluss die zentrale Botschaft über allem: „Wir wollen, dass die Jugend mehr in die Debatte um eine nachhaltige Zukunft einbezogen wird". Dass diese Zukunft in Europa liegt, daran ließen die jungen Leute keinen Zweifel, umso mehr treibt sie um, wie dieses Europa der Zukunft in sehr konkreten Fragen aussieht, vor allem in den Feldern, auf denen sich die großen Wandlungsprozesse abspielen.
Europäischer „Green Deal" braucht auch einen „Social Deal"
Damit waren bereits die Grundlagen gelegt für das, was Verantwortliche aus Wirtschaft und Gewerkschaften zu diesen komplexen Transformationsprozessen an Forderungen mitgebracht hatten. Wobei sie unisono unterstrichen: Gelingen kann das alles nur mit Europa. Und das Saarland als Industrie- und Automobilstandort steht brennglasartig für die Herausforderungen der Transformation und der Umsetzung des europäischen Green Deals.
Alexander Wortberg, Standortleiter ZF im Saarland, betonte: „Die Zukunft ist elektrisch", und die Ziele, hier insbesondere die der Klimapolitik, seien „Allgemeingut". Nur für die Umsetzung fand er deutliche Worte in Richtung des EU-Kommissars: Das Verbot des Verbrenners müsse noch mal überdacht werden, Regelungen für Plug-ins gefunden werden, fordert der Getriebehersteller. Letztlich könne der Green Deal der EU nur ein Erfolg werden, wenn er wirtschaftlich und sozial ein Erfolg werde.
Karl-Ulrich Köhler (Stahl Holding Saar) skizzierte die Herausforderungen auf dem Weg zu grünem Stahl von der Saar und bekräftigte gleichzeitig die Bedeutung der Industrie für die Zukunft Europas.
Womit er einerseits Eugen Roth als Präsidenten des Interregionalen Gewerkschaftsrates („Europa nur als Dienstleistungs- und Finanzmarktstandort hätte keine Zukunft") hinter sich weiß, aber ebenso EU-Kommissar Breton, der beteuerte, der Kampf um neue Fabriken sei sein tägliches Geschäft. Industrie, Transformation und Green Deal heißen für ihn relativ schlicht: Wir brauchen mehr (grüne) Energie, und am Ende muss stehen: „Null CO2 und mehr Strom für alle".
In Sachen Energie gab es jedenfalls eine konkrete Botschaft in die Großregion. Eugen Roth hatte unter dem Stichwort „Modelllabor für beste Ideen", auf das grenzüberschreitende Wasserstoffprojekt („mosaHYc") hingewiesen. Das ist in Brüssel offensichtlich angekommen und auf Interesse gestoßen, Breton jedenfalls unterstrich, dass dafür mit Unterstützung aus der europäischen Hauptstadt zu rechnen ist. Das dürften auch die Vertreter der jungen Generation aufmerksam registriert haben, hatten sie doch ebenfalls in Sachen Energie gefordert, die unterschiedlichsten Wege weiter zu entwickeln.
Herausforderung für eine ganze Generation
Auch in einem weiteren Punkt liegen die Überlegungen in der EU-Spitze mit den Forderungen an der Basis offenbar gar nicht so weit auseinander, zumindest, wenn es um die grundsätzliche Ausrichtung geht. „Der Green Deal muss auch ein Social Deal sein", fordert Simone Bubel, Gewerkschaftssekretärin der IGBCE. Strukturwandel sei bekanntlich gerade im Saarland „kein Fremdwort". Umso entscheidender sei deshalb auch, die Menschen mit ihren Erfahrungen daran zu beteiligen. Ganz ähnlich hatte Eugen Roth argumentiert. Es führe kein Weg an der ökologischen Transformation vorbei, aber wenn man keinen Social Deal mache, werde es auch keinen Green Deal geben können. Breton daraufhin: „Ich bin mit Ihnen einverstanden". Klingt scheinbar lapidar, ist aber aus dem Mund eines EU-Kommissars mit diesen Zuständigkeiten nicht gerade eine Selbstverständlichkeit und damit auch ein ziemlich sicherer Hinweis, dass diese Botschaften in Brüssel angekommen sind.
Es war nicht der einzige Punkt, an dem klar wurde, wie ernst es Brüssel mit den zentralen Zielen meint. „2050 klimaneutral – müssen wir unbedingt erreichen", betonte Breton. Für den Weg dorthin dürfe es „keine Denkverbote" geben, sagte er, auch an die junge Generation gerichtet.
Die großen Herausforderungen seien keine Aufgabe für die nächsten Jahre, sondern für eine ganze Generation. „Wir haben ehrgeizige Ziele", ob das im Bereich Energie, Digitalisierung oder Transformation einschließlich der Sicherung von Wertschöpfungsketten angesichts globaler Entwicklungen ist. Und mit Blick auf die Kritik am Umgang mit der Pandemie betonte Breton, Europa werde der erste Kontinent sein, der vollständig geimpft sei und zugleich anderen dabei helfe. Von wegen Europa sei abwesend! Europa sei ein Kontinent, der aus Krisen zusammengewachsen ist, der Krisen überwunden und sich in Krisen bewährt habe.