Je länger die Verhandlungen, desto nervöser die Atmosphäre. Vor dem Abschluss müssen vor allem die Grünen ihrer Basis einiges erklären.
Auf dem grünen Landesparteitag in Brandenburg lässt die Vorsitzende Annalena Baerbock ihren Emotionen einmal freien Lauf. In ihrer politischen Heimat berichtet die 41-Jährige freimütig von dem seit nunmehr sechs Wochen langen heftigem Ringen bei den Koalitionsverhandlungen für eine Ampel aus SPD, Grüne und FDP. Sie gipfelt in der Feststellung: „Wir hatten die Nase auch mal richtig voll, weil wir das Gefühl hatten, für den Klimaschutz sind nur die Grünen verantwortlich." Baerbock, ganz offensichtlich mit ihrem politischen Latein am Ende, tut damit etwas, was sich die Verhandler bislang strengstens verboten hatten, nämlich irgendetwas über die Koalitionsgespräche rauszulassen, erst recht keine Inhalte. „Wenn drei Parteien erstmalig zusammenkommen und miteinander ringen, dann ist das schwierig, weil es Themenfelder gibt, da kommt man aus komplett anderen Welten", so die Bilanz der grünen Co-Chefin zum damaligen Zeitpunkt.
Aus einer „komplett anderen Welten"
Dass Baerbock ausgerechnet auf dem Landesparteitag ihrem Herzen freien Lauf lässt, kommt nicht von ungefähr. Dass die Parteitage von SPD und FDP einen ausgehandelten Koalitionsvertrag absegnen werden, gilt als ausgemacht. Doch gerade bei den Grünen wird es schwierig, eine Mehrheit zu organisieren, zumal es dort eine Mitgliederbefragung geben soll. Und der Gegenwind gegen die zukünftige Ampelkoalition ist gerade bei der grünen Basis nicht zu unterschätzen. Da gilt der Baerbocksche Grundsatz wenig, wenn man sich wirklich bemühe, könne etwas Neues entstehen.
Die Parteivorderen Annalena Baerbock und Robert Habeck stehen unter anderem deshalb im Kreuzfeuer der Kritik, weil sie ihr Ziel von Tempo 130 auf den Autobahnen aufgegeben haben. „Das hätte man niemals so früh bei den Verhandlungen den anderen Parteien einräumen dürfen", bringt es die „Fridays for Future"-Aktivistin Luisa Neubauer gegenüber FORUM auf den Punkt. Es ist vor allem die Grüne Jugend, die momentan gegen den ausgehandelten Koalitionsvertrag aufbegehrt. Beim Delegiertentreffen am letzten Novemberwochenende gab es ordentlich Rabatz. „So schaffen wir die Klimawende nicht", prangte ein Spruchband am Eingang des Treffens der Grünen Jugend.
Gerade die unter 30-Jährigen bei den Grünen gerieren sich zunehmend als Klimaradikale. Es ist am Ende die Konsequenz der eigenen politischen Verfehlung, denn die Grüne Jugend hat Fridays for Future komplett verschlafen. Jetzt versucht man, die Schüler-Bewegung doch noch auf der Klimaspur zu überholen. Sinnbildlich dafür stehen die beiden Grünen-Jungstars aus dem Bundesvorstand, die gerade per Mandat in den Bundestag eingezogen sind: Jamila Schäfer und Ricarda Lang. Die beiden Frauen haben sich nun zur Speerspitze gegen den ausgehandelten Koalitionsvertrag aufgeschwungen. Für die zukünftige Ampel-Regierung könnten die beiden Twens in der Grünen Bundespartei zu einem echten Problem werden. Denn neben Fridays for Future machen auch Nabu oder BUND Front gegen den Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP.
Bei Beginn der Koalitionsverhandlungen am 21. Oktober wurde noch das ambitionierte Ziel ausgegeben, dass SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz in der Nikolauswoche ab 6. Dezember zum Kanzler gewählt und seine Regierung im Bundestag vereidigt wird. Dass dem so sein wird, hatte bereits Grünen-Urgestein Katrin Göring-Eckart Mitte November infrage gestellt. Es gehe nicht um Schnelligkeit, sondern um Inhalte, stellte Göring-Eckart klar. Flankiert wurde sie auch von Ex-Umweltminister Jürgen Trittin. „Wir müssen sehr genau auf die Inhalte beim Klimaschutz achten", so Trittin gegenüber FORUM.
Während es also bei den Grünen noch um Grundsätzliches geht, ist man bei SPD und FDP längst einen Schritt weiter und schaut schon mal, wer denn was werden könnte in der neuen Bundesregierung. Grundsätzlich gilt, dass es weiter 16 Ministerien geben soll. Wobei ein Ministerium wegfallen und durch ein neues ersetzt werden soll. Das Entwicklungsministerium soll dem Außenministerium einverleibt werden, nach FORUM-Informationen sind die Transportwagen bei zwei Berliner Umzugsunternehmen schon bestellt. Im bisherigen Entwicklungsministerium an der Kreuzberger Stresemannstraße soll dann das neu gegründete Klimaministerium einziehen. Novum: Der Energiesektor soll dem Wirtschaftsministerium entzogen und bei Klima eingegliedert werden. Dazu kommt, dass das Klimaministerium bei Entscheidungen der Bundesregierung eine Art Veto-Recht haben soll, ähnlich wie das Finanzministerium.
Das Machtzentrum der Ampel-Bundesregierung
Als ziemlich sicher gilt, dass Grünen-Co-Chef Robert Habeck Klimaminister und dazu Vizekanzler werden soll. Die Finanzen wird FDP-Chef Christian Lindner übernehmen, ebenfalls mit Veto-Recht ausgestattet. Damit ist auch schon das zukünftige Machtzentrum der neuen Ampel-Regierung umrissen. Scholz (SPD), Habeck (Grüne), Lindner (FDP).
Grünen-Chefin Annalena Baerbock soll Außenministerin werden und dürfte damit im zukünftigen Machgefüge der Bundesregierung nur noch eine untergeordnete Rolle spielen. Dieser politische Deal soll auf eine Absprache zwischen ihr und Habeck vom Februar dieses Jahres zurückgehen. Laut Habeck hatte die Absprache gelautet: „Du machst Kanzlerkandidatin, wenn es nicht klappt, werde ich Vizekanzler". Doch das erboste vor allem die Frauen bei den Grünen, allen voran Katrin Göring-Eckart und Claudia Roth. Denn der designierte Bundeskanzler Olaf Scholz hatte klar die Parole ausgegeben, die 16 Ministerien paritätisch besetzen zu wollen. Doch nun wären mit ihm selbst, Lindner und Habeck drei Männer in Führungspositionen. Die SPD beansprucht acht Ministerien, die Grünen sollen nun fünf und die FDP vier Ministerien bekommen. Bei der SPD ist auf jeden Fall Svenja Schulze gesetzt, allerdings ist noch nicht klar ist, wie ihr Ressortzuschnitt sein wird, denn das Umweltministerium hat sich ja eigentlich erledigt. Aber Schulze könnte dann das ressortmäßig gerupfte Wirtschafsministerium/Bau und Wohnen übernehmen.
Ebenfalls als gesetzt gilt Hubertus Heil als Arbeitsminister, dort wird sich von den inhaltlichen Zuweisungen wenig ändern. Als Innenministerin wird Christine Lambrecht (bislang Justiz) gehandelt. Bildungs- und Forschungsministerin könnte Klara Geywitz werden. Sie war vor zwei Jahren zusammen mit Olaf Scholz bei der Wahl zum SPD-Vorsitz angetreten. Das Personaltableau bei den Grünen ist wie schon beschrieben nicht ganz so einfach. Frauen, Männer und Diverse sollen bei der Postenvergabe gleichbehandelt werden. Für Cem Özdemir und Anton Hofreiter könnte es also ein Kopf-an-Kopf-Rennen um das Verkehrsministerium geben. Die Grüne Jugend beansprucht ebenfalls einen Posten.
Bei der FDP ist die Lage dagegen überschaubar: Parteichef Christian Lindner und sein parlamentarischer Geschäftsführer im Bundestag Marco Buschmann sind gesetzt. Doch vor deren Ernennung muss der Koalitionsvertrag erstmal unterschrieben werden – und da kommt es dann vor allem auf die Grünen an.