Nach der Niederlage im Hauptstadtderby und nur einem Punkt aus den letzten drei Partien steht Hertha BSC im Duell mit dem FCA schon wieder unter Druck.
Es gibt diesen Moment, der einem Spiel eine unverhoffte Wende widerfahren lassen kann – und dieser am vergangenen Sonnabend in der Alten Försterei hatte zweifelsohne das Zeug dazu. Der erste Durchgang des Berliner Derbys war zuvor recht einseitig verlaufen und der 1. FC Union lag bereits mit 2:0 in Führung – da aber setzte Hertha BSC zu einem Spielzug an, den Peter Pekarik am Ende per Kopfball krönte. Das Anschlusstor in der Nachspielzeit und somit unmittelbar vor dem Pausenpfiff – keine Frage, das hätte Hertha BSC für die zweiten 45 Minuten ganz neue Perspektiven eröffnet. Doch dann, die Mannschaften standen bereits wieder zum Anstoß nach dem Tor bereit, schaltete sich noch einmal der VAR ein. Nach minutenlanger Begutachtung seiner Entstehung wurde dem Treffer dann doch noch die Anerkennung verweigert – Krzysztof Piatek hatte bei der Eröffnung der Szene Zentimeter im Abseits gestanden. Statt des sprichwörtlichen „Dosenöffners" blieb das Behältnis also selbst in dieser Situation für Hertha BSC verschlossen – und das Team von Trainer Pal Dardai sollte im weiteren Verlauf auch nicht mehr das nötige Werkzeug finden, um der Derby-Niederlage zu entkommen.
Das Bemühen war den Blau-Weißen dabei nicht abzusprechen und deutlich erkennbar. Allein es fehlte die rechte Idee gegen den Lokalrivalen, der sich beizeiten in eine komfortable Position gebracht hatte und dann das Derby bis zum Schluss im Griff behielt. Abgesehen davon, dass die Köpenicker nun auf sieben Punkte den Blau-Weißen enteilt sind, haben sie sich also auch in der „Stadtmeisterschaft 2021/22" schon mal eine sehr gute Ausgangslage verschafft. Für den „doppelten Verlierer" Hertha BSC jedoch ist es eine delikate Situation, muss er doch weiter den sportlichen Erwartungen hinterherlaufen – und das nun mit einer Niederlage im Gepäck, die das Verhältnis zu den eigenen Fans zusätzlich strapazieren dürfte. Die kurze Unterbrechung gegen Ende der Partie, nachdem im Block der Hertha-Fans Rauchtöpfe entzündet und Böller auf den Platz geworfen worden waren, könnte bereits der erste Vorgeschmack auf ein gereiztes Binnenverhältnis zumindest bis zum Ende der Hinrunde gewesen sein. Besonders ernüchternd dabei ist die Erkenntnis, dass das Derby im Grunde verlief, wie es allgemein erwartet worden war. Der Rivale mit dem Selbstbewusstsein einer erneut starken Spielzeit ließ eigentlich – bis auf die erwähnte Situation vor der Halbzeitpause – keinen Zweifel über den Sieger der Veranstaltung an diesem Samstagabend aufkommen. Und Hertha BSC blieb letztlich nichts anderes übrig, als die sportliche Überlegenheit des Kontrahenten anzuerkennen.
Dabei hatten sich die Verantwortlichen im Vorfeld des Derbys PR-mäßig mal wieder ziemlich aus dem Fenster gelehnt: So waren stadtweit 300 Werbeflächen gemietet worden, an denen die blau-weiße Hertha-Fahne plakatiert wurde – unter anderem auch an einer elektrischen Stellfläche unmittelbar am Heimspielort des 1. FC Union. Eine Aktion, die einen Rivalen natürlich zusätzlich motivieren kann und die Fallhöhe bei einer Niederlage zusätzlich vergrößert. So verstärkt man auch den Druck auf die eigene Mannschaft, die sich ja immer noch in der Findungsphase bewegt. Richtig überzeugt schienen die Akteure jedenfalls nicht vom durch den Verein buchstäblich „plakativ" demonstrierten Selbstbewusstsein – das ließen die Erklärungen im Vorfeld des Spiels jedenfalls vermuten. Marvin Plattenhardt konnte mit der Rolle des „Sieggaranten", die ihm die „Sport-Bild" zuwies, etwa wenig anfangen. Stand der 29-Jährige gegen Union auf dem Platz, gewann Hertha BSC stets, hatte das Magazin herausgefunden – Plattenhardt wies jedoch darauf hin, dass an der Alten Försterei zuletzt zweimal nicht gewonnen werden konnte. Niklas Stark betonte dazu vor dem Hauptstadtduell: „Da ist keine Extra-Motivation nötig: Wir wissen, was auf dem Spiel steht" – obwohl klar war, dass der Widersacher im Gegensatz zum eigenen Team durch extreme Formstärke besticht. Gerüchte um Stark hatten im Übrigen für mediale Unruhe gesorgt: West Ham United habe wohl konkreteres Interesse an einer Verpflichtung des Innenverteidigers bekundet, wurde öffentlich spekuliert. Und das bereits zum Winter – obwohl der 25-Jährige nächsten Sommer ablösefrei zu haben wäre.
Derby ohne Stevan Jovetic
Im Derby hatte Stark die Blau-Weißen an Stelle des gesperrten Dedryck Boyata als Kapitän auf das Feld geführt, mit Vladimir Darida und Stevan Jovetic verzeichnete Pal Dardai dabei nur noch zwei weitere aktuelle Ausfälle. Während der Tscheche verletzt fehlte, hatte sich Jovetic – das war der zweite Aufreger im blau-weißen Lager während der länderspielbedingten Bundesligapause – bei der Auswahl Montenegros eine Corona-Infektion eingehandelt. Zwar wurde der 32-Jährige dort später frei getestet, nach seiner Rückkehr ergab eine von Hertha BSC zusätzlich durchgeführte Probe jedoch ein positives Ergebnis. Damit musste Pal Dardai ausgerechnet im Derby auf seinen neuen Hoffnungsträger im Sturm verzichten – schließlich hatte sich Herthas Trainer im vorangegangenen Spiel für einen Personalwechsel im Angriff entschieden und Jovetic den Vorzug gegenüber Piatek gegeben. Der Montenegriner bringe derzeit die passenderen Qualitäten für sein taktisches Konzept mit, erklärte der Ungar – was dieser dann ja auch mit einem Treffer gegen Bayer Leverkusen bestätigte. Nun fiel der besagte Hoffnungsträger aber nicht nur für das Derby und den allgemeinen Aufschwung aus – Jovetic bleibt wie Hertha BSC allgemein weiterhin ein Kandidat mit Licht und Schatten.
Ungeachtet dieser neuerlichen Baustellen und des „Derby-Katers" galt es in dieser Woche, den Blick einfach wieder nach vorne zu richten. Schließlich steht bereits am Sonnabend das nächste wichtige Spiel für Hertha BSC auf dem Programm – mit dem FC Augsburg gastiert auf dem neu verlegten Rasen im Olympiastadion eine Mannschaft, die in dieser Spielzeit bislang arge Probleme hatte. Die Ausgangsposition vor dem Spiel führt Dardais Schützlingen jedoch schmerzlich die eigene Lage vor Augen: nach dem 2:1-Sieg gegen Bayern München vergangenes Wochenende kann der FCA mit einem Dreier in Berlin die Blau-Weißen in der Tabelle sogar schon hinter sich lassen.