Union Berlin hat dem Stadtrivalen Hertha BSC sportlich etwas den Rang abgelaufen, der Sieg im einseitigen Derby war ein weiterer Beleg dafür. Doch eine neue Zielsetzung verweigern die Eisernen vehement.
Noch in der Kabine tippte Max Kruse auf seinem Handy eine Nachricht für seine Follower auf Social Media. „Berlin bleibt rot-weiß!", schrieb der Angreifer von Union Berlin. Und genau so ist es: Nach dem mit 2:0 gewonnenen Stadt-Derby gegen harmlose Herthaner dürfen sich die Eisernen als größte Nummer unter den Fußballclubs der Hauptstadt bezeichnen. Die Fans taten dies („Stadtmeister, Stadtmeister! Berlins Nummer eins!") –
die Protagonisten nicht: „Wir tun gut daran, Bescheidenheit und Demut beizubehalten", sagte Trainer Urs Fischer: „Das ist nur eine Momentaufnahme, die sieht gut aus. Dafür haben wir auch hart gearbeitet." Doch der Schweizer fügte mit einem Lächeln auch an: „Wir dürfen diesen Sieg erst einmal genießen. Und ich genieße ihn im Moment wirklich."
Spätestens am Sonntag (28. November, um 15:30 Uhr) ist der Prestigesieg gegen den Stadtrivalen aber wieder Vergangenheit, dann zählt nur noch das Auswärtsspiel bei Eintracht Frankfurt. Dann will der Tabellenfünfte einen weiteren Schritt gehen – aber nicht Richtung Europacup. Das nach außen formulierte Ziel bleibt trotz 20 Punkten aus zwölf Spielen „Klassenerhalt". „Warum sollten wir uns etwas anderes aufschwatzen lassen? Das müssen wir nicht!", betonte Fischer. Auf die Frage eines Journalisten, ob die Spiele bis zur Winterpause daher „Bonusspiele" seien, reagierte der Trainer verwundert: „Puh, da bin ich ganz weit weg von." Denn selbstredend wollen Fischer und die anderen Unioner mehr.
Taiwo Awoniyi als Publikumsheld
„Bescheidenheit ist immer gut, aber natürlich will man soweit es geht nach oben", weiß Rekord-Nationalspieler Lothar Matthäus. Der Sky-Experte ist begeistert von den Köpenickern, die sich anschicken, nach den Plätzen elf und sieben, sich auch in ihrer dritten Bundesligasaison tabellarisch zu verbessern. Union verfüge über „sehr viele erfahrene Spieler" und agiere „sehr stabil". Der Club wisse, „wo er herkommt, hat eine DNA."
Und Union hat einen Torjäger mit einem Lauf. Taiwo Awoniyi erzielte gegen Hertha nach einem Fehler von Marton Dardai früh das wegweisende 1:0 (8.), auf den Rängen schallte es „Schalalala, Taiwo Awoniyi". Der besungene Held fühlt sich geehrt. „Es zeigt mir die Liebe, die sie mit mir teilen", sagte der nigerianische Nationalspieler. „Aber sie tun es für alle Spieler, nicht nur für mich." Für die Unterstützung von den Rängen wollte sich Awoniyi mit vollem Körpereinsatz bedanken. „Wenn du dieses Trikot trägst", meinte er, „musst du kämpfen." Awoniyi und Co. kämpften – und siegten. Das sei „sehr wichtig", sagte Unions neuer Bundesliga-Rekordtorschütze, „jetzt können unsere Fans mit erhobenen Köpfen durch die Stadt laufen."
Glückselig verließen die meisten der 20.012 Zuschauer die Alte Försterei, die erstmals seit dem 1. März 2020 wieder komplett gefüllt war – und das in Zeiten von Rekord-Inzidenzzahlen. „Jeder Fußballer spielt am liebsten vor vollem Haus, aber die Gesundheit geht immer vor", sagte Innenverteidiger Marvin Friedrich, der von einer „schwierigen Situation" sprach. Der Verein wollte freiwillig nicht auf das volle Haus verzichten, auch wenn die Entscheidung darüber nicht leichtfertig gefallen war. „Es treibt uns genauso um wie die Menschen außerhalb des Stadions. Ist es richtig, ist es nicht richtig?", sagte Club-Präsident Dirk Zingler: „Wir haben uns entschieden, es im Rahmen der Verordnung so zu machen, wie der Gesetzgeber es vorgibt."
Ob im Heimspiel gegen RB Leipzig erneut 20.000 Fans erlaubt sind, ist mehr als fraglich. „Es sieht so aus, als ob die Maßnahmen strenger werden", sagte Kruse, der allerdings nur wenig Verständnis für eine Einschränkung bei 2G hätte: „Dafür sind wir ja geimpft, um genau solche Events zu erleben."