Viktoria Berlin ist voll und ganz in der 3. Liga angekommen und sorgt weiterhin mächtig für Furore. Nach einem Hoch zu Beginn der Spielzeit kämpften sich die Berliner nun aus ihrem ersten Tief heraus.
Ein bisschen erinnert der Werdegang von Viktoria Berlin an den 1. FC Saarbrücken. Der Aufsteiger spielt einen begeisternden Fußball, ist aber hinten nicht immer „ganz dicht." Am Samstag treffen beide Teams im Ludwigsparkstadion aufeinander.
Sportliche Situation
Mit einem Augenzwinkern ließe sich die Viktoria als bester Aufsteiger der Historie bezeichnen, schließlich gaben die Hauptstädter in den elf Spielen vor dem Saisonabbruch im Nordosten nicht einen Punkt an ihre Gegner ab. In der neuen Liga angekommen, machte die Viktoria jedoch genau da weiter, wo sie vor langer Zeit aufgehört hat. Vor allem die beiden 4:0-Erfolge gegen den 1. FC Kaiserslautern und Eintracht Braunschweig sorgten für mächtig Aufsehen innerhalb der 3. Liga. Nachdem die Viktoria als Tabellenführer ordentlich Aufmerksamkeit generierte, folgte das eigentlich erwartbare Tal. Fünf Spiele ohne Sieg, unter anderem mit einer Niederlage gegen den TSV Havelse, markieren den derzeitigen Tiefpunkt der Saison, der jedoch überwunden schien, als gegen den BVB endlich wieder gewonnen werden konnte. Gegen den MSV gab es dann in Unterzahl eine unglückliche Niederlage. Warum diese ausführliche Aufzählung? Die Viktoria und der 1. FC Saarbrücken spielen eine ähnliche Saison, dennoch könnte die Stimmung nicht unterschiedlicher sein. „Wir sind in einem Lernprozess. Uns hat es an Effektivität gefehlt, aber in dieser Liga geht nichts über Effektivität. Das müssen wir noch lernen", erläuterte der Coach der Berliner, Benedetto Muzzicato, nach dem verlorenen Spiel in Duisburg. Allgemein kommt der Aufsteiger immer mehr in der Normalität der Liga an. Das Spiel gegen Duisburg war ein Spiegelbild dessen, was den Berlinern in den vergangenen Wochen fehlt: Effizienz. Fortschritte in diesem Bereich könnte der Aufsteiger demnach gut gebrauchen. Das Polster, das in der ersten Phase der Saison erspielt wurde, schrumpft immer weiter. Der vorangegangene 2:1-Erfolg im Neulings-Duell mit Borussia Dortmund II erwies sich zumindest in Duisburg lediglich als Strohfeuer. Viktorias Vorsprung auf den ersten Abstiegsplatz beträgt nur noch fünf Punkte. Doch die Spieler, allen voran Tolcay Cigerci, lassen sich dadurch nicht aus der Ruhe bringen: „Ich bin jetzt schon etwas länger in diesem Fußballgeschäft und habe vielleicht etwas mehr gesehen als manch anderer", sagte Cigerci. Wichtig sei, dass das Team Muzzicatos Ideen vertraue: „Der Trainer gibt uns was mit, und wir setzen es auf dem Platz um." Die Arbeit des Trainers ist der Grund, warum jeder Fan Vertrauen in die Mannschaft hat. Muzzicato gilt als riesiges Trainertalent, einige Erst- und Zweitligisten sollen sich bereits perspektivisch nach ihm erkundigt haben. Im Dezember startet für den Deutsch-Italiener der Fußballlehrer-Lehrgang. „Ich würde nicht unbedingt alles machen, wenn ich mich bei Viktoria wohlfühle und merke, dass sich der Verein gut entwickelt", betont er. Doch klar sei auch: „Es läuft sicher darauf hinaus, dass ich irgendwann den nächsten Schritt machen möchte." Ob das dann mit der Viktoria oder woanders ist, bleibt offen. Viktoria hat sich für 2025 das Ziel Zweite Liga gesetzt, bis dahin sollen die Infrastruktur und die Personalsituation verbessert werden.
Transferpolitik
Das Team um Trainer Benedetto Muzzicato setzte bei den Zugängen vorrangig auf etablierte Regionalliga-Spieler, unter denen Tolcay Cigerci aus Altglienicke hervorstach – der türkische Mittelfeldspieler hatte einige Einsätze in der Bundesliga und der Zweiten Liga absolviert. Bei einem genauen Blick auf die Kaderstruktur machten die Transfers Sinn – Erfahrung hatte der Club schon vorher im Kader, gerade das Mittelfeld um Björn Jopek, Bernd Nehrig und Christoph Menz ist gespickt mit viel Routine. Vor allem auf Tempo und entwicklungsfähige Spieler haben die Verantwortlichen von Viktoria Berlin gesetzt und damit bisher recht behalten. Trotz Investor wollen sie weiterhin kleine Brötchen backen: „Ich kann nicht kommen und sagen: Das ist der Muzzicato-Fußball, und das sind meine Wünsche", meint er. Nur weil Viktoria einen Investor im Boot hat, „heißt das nicht, dass viel Geld da ist und wir jeden Spieler verpflichten können." Der Club müsse „kleine Schritte machen –
und die machen wir."
Mannschaft
Im Tor hat Neuzugang Julian Krahl die Nase vorn, wurde aber schon mehrmals von Philip Sprint vertreten. Jakob Lewald und Patrick Kapp bilden die Stamminnenverteidigung, wobei Kapp im Spiel gegen den 1. FC Saarbrücken nicht mit an Bord sein wird, da er für zwei Spiele gesperrt wurde. Der erfahrene Björn Jopek zieht im zentralen Mittelfeld mit Christoph Menz die Fäden. Cigerci, der momentan mit Adduktorenproblemen ausfällt, ist ein Schlüsselspieler und Toptorjäger im System Muzzicato. In der Offensive sind Lukas Pinkert und Enes Küc weitestgehend gesetzt. Falcao steht als Mittelstürmer derzeit bei fünf Toren.
Stärken
Benedetto Muzzicato machte sein Versprechen wahr und lässt weiterhin offensiven und schnellen Fußball spielen. Seine Mannschaft agiert entweder im 4-3-3 oder 3-4-3 und läuft in einem hohen Pressing an. Seine Spieler und sein Trainerteam haben die Spielidee mittlerweile verinnerlicht, „seit Januar 2020 geht es bergauf. Wir entwickeln die Jungs und unseren Spielstil." Auch in der 3. Liga gegen qualitativ bessere Gegner will Viktoria dominant und frech auftreten. „Ich quatsche seit zweieinhalb Jahren vom offensiven, mutigen und attraktiven Fußball, wenn ich dann gesagt hätte: Männer, wir sind jetzt oben und machen etwas anderes – das wäre der falsche Weg", sagte er vor der Saison.
Schwächen
Wenn das Pressing nicht greift, steht die Viktoria hinten zu oft offen. Weiterhin münzen die Berliner ihre Überlegenheit noch zu selten in Tore um. Stichwort: Effizienz. In einigen Spielen haben die fehlende Chancenverwertung sowie schlechte Entscheidungen im letzten Drittel die Viktoria um ihren Lohn gebracht.