In der Pandemie haben die Finanzminister Geld für die massiven Hilfsprogramme organisieren müssen. Die Schuldenbremse ist ausgesetzt. Saar-Finanzminister Peter Strobel sieht das Land dennoch gut aufgestellt, keine neue Haushaltsnotlage und das „Jahrzehnt der Investitionen" nicht in Gefahr.
Herr Strobel, Sie haben dieser Tage die aktuelle Steuerschätzung vorgestellt. Was sagt die über die Finanzsituation des Landes?
Steuerschätzungen sind unsere wichtigsten Bezugsgrößen, wenn es darum geht, in die Haushaltsplanung einzusteigen und die mittelfristige Finanzplanung fortzuschreiben. Die Steuerschätzung vom November zeigt ein ganz erfreuliches Bild, dass nämlich die Einnahmen perspektivisch steigen und zwar deutlich schneller als gedacht. In diesen Tagen zeigt sich, dass Corona nicht vorüber ist und man sehen muss, was noch alles auf uns zukommt. Die Steuerschätzung zeichnet derzeit ein zuversichtliches Bild.
Wie ordnen Sie die überraschend positiven Zahlen aus der November-Schätzung ein, wie viel Risiko steckt da noch drin?
Die Steuerschätzung ist immer eine Momentaufnahme. Dort wird der Versuch unternommen, die Einnahmen auf Basis der erwarteten wirtschaftlichen Entwicklung zu prognostizieren. Wie man jetzt an den Unterschieden zwischen der Mai-Steuerschätzung und der November-Steuerschätzung erkennen kann, liegen dazwischen dann auch schon mal erhebliche Verschiebungen. Aktuell sind die Unterschiede besonders groß, weil die Mai-Steuerschätzung noch unter dem Eindruck eines Lockdowns stand, von dem keiner wusste, wie er sich auswirkt. Nachdem jetzt die Wirtschaft, insbesondere im Dienstleistungssektor, noch mal in die Gänge gekommen ist, sind die Prognosen gerade für 2022 positiv, obwohl der Industriesektor derzeit mit Lieferengpässen zu kämpfen hat. Die Autos, die jetzt nicht ausgeliefert werden, weil noch Bauteile fehlen, werden nächstes Jahr ausgeliefert. Kurzum, es wird Nachholeffekte geben, die Lieferengpässe lösen sich auf, und auch die Industrie kommt in die Gänge.
„Privater Konsum hat uns geholfen"
Muss man angesichts der aktuellen Entwicklung nicht noch mal mit einem Rückschlag rechnen?
Was uns immer über die Zeit hinweg geholfen hat, war der private Konsum. Die Leute konnten natürlich weniger in Restaurants gehen, aber sie haben es sich zu Hause angenehm gemacht. Der private Konsum hat funktioniert und mit dem Dienstleistungssegment dafür gesorgt, dass die Wirtschaft nicht noch mehr gelitten hat. Wenn es jetzt Regularien gibt, 3G, 2G und andere Maßnahmen, dann wird es natürlich wieder Auswirkungen geben. Aber das Ganze wird – das ist zu hoffen – nicht mehr so stark einbrechen. Die Entwicklung hat gezeigt, dass die deutsche Wirtschaft relativ robust dasteht, und wenn die Industrieproduktion nochmal dazu kommt, werden wir sicher an frühere Zeiten anknüpfen können.
Kurz vor der Pandemie hatte das Land das Ziel der Schuldenbremse gerade erreicht, bestätigt durch den Stabilitätsrat – dann Corona und ein Nachtragshaushalt von zwei Milliarden Euro. Wo steht das Land jetzt?
Wenn man sich die Perspektive betrachtet: Wir kommen aus dem Jahr 2010 mit einem jahresbezogenen Defizit von 1,25 Milliarden Euro. Das Saarland hat die Obergrenzen der Nettokreditaufnahme in den Jahren des Sanierungsprogramms durchgehend eingehalten und mit dem Abbau seiner Altschulden begonnen. Die Sanierungserfolge haben den saarländischen Landeshaushalt gestärkt und seine Resilienz erhöht. Das bestätigt uns auch der Stabilitätsrat anerkennend.
Dann kam im Jahr 2020 Corona, und die vorgegebene Obergrenze der Nettokreditaufnahme im Jahr 2020 wurde aufgrund der finanziellen Belastung des Landeshaushalts durch die Folgen der Covid-19-Pandemie verfehlt. Vor dem Hintergrund dieser besonderen Ausnahmesituation hat der Stabilitätsrat diese Verfehlung aber für zulässig erklärt.
Angesichts der positiven Einnahmeerwartungen der aktuellen Steuerschätzung scheint Corona auf der Einnahmeseite des Landeshaushaltes überwunden. Auf der Ausgabenseite ist das nicht der Fall, und wie sich die Situation für den Landeshaushalt weiter gestaltet, hängt auch davon ab, wie wir den Übergang von der Notsituation hin zur Normalität meistern und da gilt das, was ich immer betont habe: Trotz der Sanierungserfolge ist die finanzielle Situation des Saarlandes weiterhin angespannt. Wir haben derzeit keine Haushaltsnotlage, aber wir haben trotz der positiven Erwartungen der Steuerschätzung Handlungsbedarfe in der Finanzplanung, mit denen wir umgehen müssen.
Das heißt, weniger finanztechnisch: Das Land ist handlungsfähig?
Das Land ist absolut handlungsfähig. Im Kernhaushalt sind die Dinge so geplant, dass wir auskömmlich arbeiten können, sodass gewährleistet ist, dass wir unsere üblichen Verbindlichkeiten bedienen. Der größte Posten dabei sind die Mitarbeiter des Landes, und wir haben das Sondervermögen Zukunftsinitiative I, das unsere Investitionsoffensive enthält. Wir haben solide gearbeitet im Bereich des Zinsmanagements und sind bei unseren Verbindlichkeiten mit ganz niedrigen Zinsen unterwegs. Und ganz zentral: Wir halten uns an die Vorgaben des Sanierungshilfengesetzes. Insofern sind im Finanzbereich die Weichen so gestellt, dass sich das Land entwickeln kann, und wir die geplanten Investitionen auch auf den Weg bringen können.
„Situation bleibt weiter angespannt"
Wie viel Risiko steckt in der Entwicklung der aktuellen Inflationsraten, die sich auch in Forderungen bei Tarifverhandlungen niederschlägt?
Es ist für uns natürlich erheblich, auf was man sich da einigt. Wir haben eine gewisse Vorsorge getroffen. Ob diese Vorsorge ausreicht, werden wir sehen. Grundsätzlich ist das Thema Inflation für uns natürlich zweiseitig zu betrachten. Auf der einen Seite haben wir natürlich höhere Preise, eine Inflation führt aber auch zwangsläufig zu höheren Steuereinnahmen. Ansonsten haben wir die Folgen wie allen anderen auch zu tragen, beispielsweise beim Thema Bau mit höheren Kosten.
Sie haben die positiven Entwicklungen für das Land dargestellt, gleichzeitig für die Gemeinden aber Einbruch bei den Gewerbesteuern prognostiziert. Woran hängt das?
Für die Jahre 2021 und 2022 haben die Kommunen mit Mehreinnahmen zu rechnen. Erst ab 2023 gibt es Einbrüche bei der Gewerbesteuer, die aber durch die positive Entwicklung beim Kommunalen Finanzausgleich kompensiert werden. So der aktuelle Stand der Steuerschätzung.
Was die Situation der Kommunen aber insgesamt angeht, haben wir enorme Anstrengungen unternommen. Wir haben den Saarlandpakt geschlossen, der eine enorme Entschuldung der Kommunen darstellt. Um die Wirkung dieser Entschuldung nicht zu gefährden, haben wir angesichts der pandemiebedingten Steuerausfälle des Jahres 2020 gesagt, wir erstatten als Land über die Maßnahmen des Bundes hinaus die Hälfte der Gewerbesteuer. Das Land hat sich sogar frühzeitig auf teilweise Erstattung der Ausfälle bei Gewerbesteuer und Einkommensteuer für die Jahre 2021 und 2022 festgelegt, die aktuell aufgrund der positiven Prognosen für die Jahre 2021 und 2022 voraussichtlich so nicht erforderlich sein werden. Wir haben außerdem gesagt, dass wir den kommunalen Finanzausgleich in der Höhe stabilisieren, wie er 2019, also vor der Pandemie, war, nämlich bei 700 Millionen. Das ist es uns wert, weil wir den eingeschlagenen Weg der Stabilisierung der saarländischen Kommunen sichern wollen.
Sie haben den Saarlandpakt in Höhe von einer Milliarde angesprochen. Offen ist weiter die andere Milliarde, also die Forderung an den Bund, sich an den Hilfen für hochverschuldete Kommunen zu beteiligen. Haben Sie Signale, ob da etwas von der neuen Koalition zu erwarten ist?
Ich erwarte natürlich, dass das in Berlin noch mal auf den Tisch kommt. Olaf Scholz hat als Bundesfinanzminister immer die Bereitschaft signalisiert, an der Stelle etwas zu tun. Im Übrigen haben wir beim Bundesfinanzministerium schon mal hinterlegt, wenn es irgendwann einmal zu Hilfen aus Berlin kommt und der Bund die Hälfte übernimmt, dass die Milliarde, die wir bereits übernommen haben, als unser Anteil berücksichtigt ist. Auch deshalb habe ich schon eine Erwartungshaltung.
In der vergangenen Legislaturperiode ist das an der Union gescheitert.
Die CDU-Bundestagsfraktion konnte sich nie hinter diesem Plan versammeln. Das war für die finanzschwachen Länder nicht schön anzusehen. Da ist das Saarland aber nicht allein. Auch für Hessen, Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen war das eine große Enttäuschung. Das sind die vier Flächenländer mit besonders finanzschwachen Kommunen aufgrund von Strukturschwächen und Soziallasten durch Strukturwandel, die von den Kommunen und Ländern nur indirekt zu verantworten sind.
Eine besondere Belastung für den Haushalt waren immer schon die Pensionslasten. Wie hat sich die Situation dort entwickelt?
Diese Kosten sind im Haushalt eingepreist und dargestellt, es sind auch Steigerungen in diesem Bereich vorgesehen, sodass also diese Lasten erheblich, aber finanziert sind. Trotzdem waren wir der Meinung, Pensionsrückstellungen aufzubauen, um einen Puffer aufzubauen für Jahre, in denen es nicht so gut läuft. Mir sind solche Sicherungsinstrumente immer sehr wichtig. Ich habe das auch für eine Zinsausgleichsrücklage und eine Konjunkturausgleichsrücklage vor drei Jahren auf den Weg gebracht. Und dann haben wir sehr schnell festgestellt, dass wir die kargen Mittel, die angespart worden sind, gleich wieder anzapfen mussten, um die Situation zu Beginn von Corona auffangen zu können. Die Herangehensweise, immer dann, wenn Überschüsse da sind, ein kleines Polster zu bilden, ist einem vorsichtigen Kaufmann zu eigen, und das habe ich mir beim Jobwechsel auch mitgenommen. Es ist sicher auch sinnvoll für einen Landeshaushalt, immer ein bisschen Sicherheit zu haben und nicht direkt mit dem Rücken an der Wand zu stehen, wenn es etwas enger wird.
„Bin von Natur aus nicht aufgeregt"
Sind Sie seit vielen Jahren der erste entspannte Finanzminister des Saarlandes?
Ich bin von Natur aus nicht aufgeregt. Wir haben hart dafür gearbeitet und mit Stephan Toscani und Annegret Kramp-Karrenbauer den Länderfinanzausgleich verhandelt. Dazu gibt es aber auch entsprechende Verpflichtungen: Das Sanierungshilfengesetz verpflichtet uns zu einer Tilgung von 80 Millionen Euro pro Jahr. Darüber hinaus gelten selbstverständlich die Vorgaben des Stabilitätsrates, an die wir uns halten müssen. Wir haben die Schuldenbremse in saarländischem Landesrecht verankert mit dem Haushaltsstabilisierungsgesetz. Insofern: Natürlich ist es schön, dass man sich Freiräume erarbeitet, aber die Bäume wachsen nicht in den Himmel. Dass wir in der Coronakrise das haben machen können, was wir getan haben, dafür steht der lange Weg der Konsolidierung. Deswegen kommt es nicht von ungefähr, es ist das Ergebnis einer langen und harten Arbeit. Das darf man, glaube ich schon so sagen.
Ein nach wie offener Punkt bleibt die Schuldenbremse, derzeit ausgesetzt wegen der Krise, aber weiter umstritten. Brauchen wir die Schuldenbremse in der alten Form?
Wenn man sich die Situation heute betrachtet, so erlaubt die Notsituation, die der saarländische Haushaltsgesetzgeber erklärt hat und die in Grundgesetz und unserem Haushaltsstabilisierungsgesetz ja für diesen Fall vorgesehen ist, dass Bund und die Länder in Summe auf diese Pandemie sehr angemessen reagieren konnten. Wir konnten Stützungsmaßnahmen für Wirtschaft, Vereine, Kunst und Kultur, Privathaushalte, für fast alle Lebensbereiche, die Testleistungen und vieles mehr auf Grundlage der Notsituation in der Schuldenbremse darstellen. Insofern hat sich das Instrument bewährt. Vergessen darf man auch nicht: Erst die Konsolidierung und die finanzielle Zurückhaltung auf dem Weg zur Einhaltung der Schuldenbremse hat uns in die Lage versetzt, angemessen reagieren zu können.
Was aber die Konstruktion der Schuldenbremse anbetrifft: Das Instrument bietet uns in Krisensituationen den Spielraum, durch eine angemessene Verschuldung reagieren zu können. In der konjunkturellen Normallage sorgt sie für Generationengerechtigkeit. Ich halte es für grundfalsch, über ihre Abschaffung und Aufweichung nachzudenken. Sie ist im Grundgesetz verankert und derzeit sehe ich keine Mehrheiten in Bundestag und Bundesrat, sie abzuschaffen. Insofern habe ich die Erwartung, dass wir ab 2023 die Notsituation hinter uns lassen und die Vorgaben von Schuldenbremse und Sanierungshilfengesetz wieder zum Maßstab nehmen.