Lampen fürs Fahrrad leuchten teils heller als Autoscheinwerfer. Kritiker sehen erhöhte Unfallgefahr durch Blendung. Dabei sind die Vorschriften klar. Doch sie sind ausbaufähig und werden oft missachtet.
Mit der Winterzeit sehen sich viele Verkehrsteilnehmer auf einen Schlag in die Dunkelheit versetzt. Wenn sie nach der Zeitumstellung am Feierabend von der Arbeit nach Hause fahren, muss wieder das Abblendlicht eingeschaltet werden. Bei modernen Autos geschieht das automatisch. Auch die neuesten Scheinwerfer am Fahrrad sind mittlerweile mit Lichtsensoren ausgestattet, die den Wechsel vom Tagfahrlicht in den Abblendmodus regeln. Ein Rundum-sorglos-Paket?
Es gibt einen entscheidenden Unterschied zwischen Pkw und Fahrrad: Während verstellte Scheinwerfer bei Autos mit der Kfz-Hauptuntersuchung und Freiwilligen-Aktionen wie dem „Licht-Test" des Kfz-Gewerbes turnusmäßig entdeckt und die Mängel beseitigt werden, werden falsch justierte Scheinwerfer am Rad weniger beachtet. So etwas wie einen Fahrrad-Tüv für Gebrauchträder gibt es nicht.
Dabei hat die Fahrradbeleuchtung in den vergangenen Jahren eine galoppierende technische Entwicklung hingelegt. „Als Halogen-Technik noch gang und gäbe war, da waren Fahrradlampen Funzeln", sagt Marcus Wallmeyer, Gründer und Geschäftsführer des Fahrradlicht-Spezialisten Supernova Design mit Sitz in Gundelfingen. Vor rund 20 Jahren kam dann die LED-Technik ans Rad. „Heute messen sich die Leuchten mit Autoscheinwerfern." Und darin liegt ein Problem.
„3.000 Lumen beim Fahrrad blenden definitiv sehr"
Barend Wolf, Referatsleiter Fahrzeugtechnik beim Deutschen Verkehrssicherheitsrat (DVR) in Berlin beobachtet „ein Wettrüsten": „Wenn Autos immer heller werden, dann müssen die Radfahrer offenbar nachziehen." Anne Kliem von der Stiftung Warentest, die im vergangenen Jahr Frontleuchten für Fahrräder unter die Lupe genommen hat, sagt: „Radfahrer kämpfen um Gleichberechtigung, dass sie gesehen werden, aber das ist mitunter gefährlich." Denn von den Hightech-LED-Leuchten kann eine Blendgefahr ausgehen.
Grundsätzlich sind LEDs gewöhnungsbedürftig. Das menschliche Auge empfindet das bläulich-weiße Licht heller als gleich helles gelbliches Licht. „Das ist für die Beleuchtung der Fahrbahn ein erwünschter Effekt, kann aber auf empfindliche Personen störend wirken", sagt Roland Huhn vom Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club (ADFC) in Berlin. Verschärfend gegenüber LED-Scheinwerfern beim Auto komme bei Fahrradleuchten hinzu: Sie sind in der Bauform sehr klein, und kleine Lichtaustrittsflächen würden als besonders unangenehm empfunden. Das habe ein Test des ADAC ergeben. Schon bei 1.500 bis 2.000 Lumen komme es zu starken Blendeffekten, wenn der Scheinwerfer klein ist, heißt es beim Autofahrerclub in München: „3.000 Lumen bei einem Fahrrad blenden definitiv sehr."
„Um unerwünschtes Blendempfinden zu verringern, müssten Scheinwerfer – bei gleicher Lichtstärke – eher größer werden", sagt Huhn. Grundsätzlich sei es aber „ein Beitrag der Radfahrenden zu einem besseren Verkehrsklima, im Dunkeln mit Licht zu fahren". Doch die Scheinwerfer werden tendenziell kleiner und noch heller. Supernova nimmt zum ersten Quartal 2022 einen neuen sensorgesteuerten Pedelec-Scheinwerfer für 449 Euro ins Verkaufsprogramm, der in der Variante für S-Pedelecs vorläufigen Herstellerangaben zufolge schon im Abblendmodus bis zu 1.400 Lumen Lichtstrom liefern wird. Einen Unterschied zum Auto gibt es dann wirklich kaum noch.
„LED-Abblendlicht bei Autoscheinwerfern liegt immer unter dem Grenzwert von 2.000 Lumen", sagt Peter Wagner, Fachreferent für Fahrzeugprüfung beim Tüv Nord in Dortmund. Nur, wenn eine automatische Niveaueinstellung und eine Scheinwerferreinigungsanlage vorhanden sind, dürfen es mehr sein.
Im Handel wird die Aufwärtsspirale für gute Geschäfte teils noch befeuert. Dass im Beratungsgespräch rund um teure Fahrradscheinwerfer Sätze fallen wie „Man muss aufrüsten", kommt vor. Mancher Radler folgt der trügerischen Logik: Je heller, desto besser. Und bevorzugt hohe Lumen und Lux-Werte, die Messgrößen, mit denen Hersteller werben. Doch muss man wirklich „aufrüsten"? Oder trägt man mit den Ultra-Funzeln nicht eher zu erhöhtem Unfallrisiko durch Blendung bei?
„Eine konkrete Gefährdung kann man aus der Unfallstatistik nicht ablesen", sagt DVR-Experte Wolf. Allerdings würden Blendunfälle statistisch nicht explizit erfasst. Fakt ist, dass im Zweifel rechtliche Konsequenzen drohen: „Grundsätzlich gilt: Fahrradfahrende haften bei Unfällen, wenn sie ein Verschulden trifft", heißt es beim Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV). Mit einer privaten Haftpflicht-Versicherung sind sie also gut beraten.
In der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung (StVZO) steht: „Der Scheinwerfer muss so eingestellt sein, dass er andere Verkehrsteilnehmer nicht blendet." Außerdem müssen „lichttechnische Einrichtungen an Fahrrädern" gegen „unabsichtliches Verstellen unter normalen Betriebsbedingungen gesichert" sein.
Es kommt nicht nur auf Lux und Lumen an
Daran hapert es offenbar oft. Halterungen der seit 2013 alternativ zum Dynamolicht erlaubten Akku-Scheinwerfer halten teils nicht, was sie versprechen. Geht es über holprigen Grund, ist der Scheinwerfer nach wenigen Metern verstellt. „Das Bewusstsein für die Problematik ist bei vielen Radfahrern nicht verankert", sagt Anne Kliem. „Viele Leute achten nicht darauf und stellen die Lampen so ein, dass sie so weit wie möglich leuchten. Und damit den Autofahrern, aber auch anderen Radfahrern und Fußgängern direkt in die Augen." Roland Huhn vom ADFC hat beobachtet, dass viele Scheinwerfer geneigte Frontflächen haben. Ihnen sehe man es im ausgeschalteten Zustand nicht an, ob sie verstellt seien oder nicht.
Immerhin legen Spezialhersteller wie Supernova oder auch Busch und Müller mit Sitz in Meinerzhagen ihren Produkten eine Anleitung bei, wie die Leuchten richtig eingestellt werden. Und im Bundesverkehrsministerium überarbeitet ein Fachausschuss derzeit Technische Anforderungen an Fahrzeugteilen bei der Bauartprüfung im Sinne der StVZO. „Im Entwurf sind praktikable Regelungen für die Einstellung der Fahrradscheinwerfer enthalten", sagte eine Ministeriumssprecherin.
Supernova-Geschäftsführer Wallmeyer lässt sich das Schwärmen für die potenten Leuchten indes nicht nehmen. „Das ist ein Genuss, damit zu fahren, das bringt mehr Sicherheit." Ein Punkt, den auch Anne Kliem von der Stiftung Warentest macht: Neben der Sichtbarkeit für andere Verkehrsteilnehmer sei auch das „Sehenkönnen wichtig für ein Sicherheitsgefühl, wenn man möchte, dass mehr Leute auch nachts das Fahrrad als gleichberechtigtes Verkehrsmittel nutzen."
Für Käufer von Fahrradscheinwerfern hat sie Tipps: Es komme nicht ausschließlich auf Lux und Lumen an, also die Beleuchtungsstärke und den Lichtstrom – klar messbare Werte, die allzu oft zur Orientierung verleiten wie das teils überdimensionierte Drehmoment bei Pedelec-Motoren. Sondern auch auf ein möglichst gleichmäßiges Leuchtbild, sagt sie.
„Leuchtet die Lampe die Ränder mit aus, gibt es Verzerrungen, sind einzelne Bereiche zu hell?" Ein sehr heller Punkt direkt vor dem Fahrrad kann es erschweren, das zu erkennen, was weiter voraus liegt. Bei Akku-Leuchten empfiehlt sie, auch auf die Leuchtdauer, die Ladezeit und eine klare Anzeige für die Restkapazität zu achten – „damit man nicht plötzlich im Dunkeln steht." Auch mehrere Hundert Euro für eine Fahrradleuchte hinzublättern, hält sie zumindest für den Stadtverkehr für nicht notwendig: „Eine wirklich gute Leuchte mit 50 Lux bekommt man für 40 Euro. Das reicht aus, wenn man nicht gerade nachts mit dem Mountainbike im Wald fährt."