Das neue Kabinett steht, außer bei der SPD sind die Namen der Minister bekannt. Sieben Posten beanspruchen die Sozialdemokraten, fünf die Grünen und vier die FDP.
Es war nicht leicht: die Parität zwischen Frauen und Männern musste gewahrt werden – wenn es so bleibt, sind acht Frauen im Kabinett. Die neuen Bundesländer sollten berücksichtigt werden – das gelang weniger gut. Bisher kommt nur Steffi Lemke aus dem Osten. Und mit Cem Özdemir ist in letzter Minute auch noch jemand mit Migrationshintergrund hineingerutscht. Der Kanzler ist Hamburger, Nordrhein-
Westfalen stellt die meisten Minister.
Kanzler: Olaf Scholz (SPD)
Der Hamburger war schon alles Mögliche – außer Kanzler. Der 63-Jährige amtierte von Mai bis Oktober 2001 als Innensenator von Hamburg, von Oktober 2002 bis März 2004 war er SPD-Generalsekretär, von November 2007 bis Oktober 2009 Bundesminister für Arbeit und Soziales und von März 2011 bis März 2018 Erster Bürgermeister von Hamburg. Drei Monate, von Februar bis April 2018, führte er die Partei kommissarisch. Scholz hat Jura studiert und ist seit 1985 als Rechtsanwalt zugelassen. Als Juso gehörte er zur marxistischen Stamokap-Fraktion. In Hamburg ist er bekannt für seine erfolgreiche Wohnungsbaupolitik. In die Kritik geriet er nach dem G-20 Gipfel 2017, als in der Hansestadt schwere Krawalle ausbrachen, auf die niemand vorbereitet war. Im Falle des insolventen Zahlungsdienstleisters Wirecard wurde ihm vorgeworfen, dass die ihm unterstehende Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) versagt habe. Als er am 10. August 2020 auf Vorschlag der Parteivorsitzenden Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans zum Kanzlerkandidaten ernannt wurde, gab ihm kaum jemand eine Chance.
Kanzleramtsminister: Wolfgang Schmidt (SPD)
Wolfgang Schmidt (geboren 1970 in Hamburg) ist der Mann hinter Olaf Scholz. Von März 2011 bis März 2018 war er Staatsrat der Hamburger Senatskanzlei und Bevollmächtigter der Freien und Hansestadt Hamburg beim Bund, bei der Europäischen Union und für Auswärtige Angelegenheiten. Schmidt gilt als enger Vertrauter des Kanzlers und ist ihm als persönlicher Referent und später Büroleiter in der Zeit des Generalsekretärs Olaf Scholz gefolgt. Er war Büroleiter der SPD-Bundestagsfraktion und begleitete Scholz ins Ministerbüro des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (bis 2009/2010).
Außen: Annalena Baerbock (Bündnis 90 / Die Grünen)
Kanzlerin ist sie nicht geworden, dazu hat sie sich zu viel entschuldigen müssen. Doch Außenministerin ist ja auch ein schöner Beruf – und dann noch als erste Frau in diesem Amt. Parteivorsitzende ist sie seit Januar 2018 gemeinsam mit Robert Habeck. Mit dem Spitzenduo Baerbock/Habeck erreichten Bündnis 90/Die Grünen mit 14,8 Prozent der Zweitstimmen das beste Bundestagswahlergebnis der Parteigeschichte. Baerbock (41) stammt aus Hannover, ist seit 2013 Mitglied des Deutschen Bundestages und war davor Vorsitzende des grünen Landesverbands Brandenburg. Sie studierte von 2000 bis 2004 im Diplomstudiengang Politikwissenschaft an der Universität Hamburg und erlangte dort das Vordiplom. Im Nebenfach belegte sie Öffentliches Recht/Europarecht. Danach wechselte sie an die London School of Economics and Political Science und legte dort 2005 eine Masterprüfung ab. Diese Angaben musste sie mehrfach korrigieren und präzisieren. Ihr im März 2021 erschienenes Buch „Wie wir unser Land erneuern" geriet wegen Plagiatsvorwürfen schnell in die Kritik. Regierungserfahrung fehlt ihr ganz, auch das war ein Vorwurf im Wahlkampf. Andere wenden ein, dass gerade das eine Chance für einen frischen Wind in der Politik sei.
Finanzen: Christian Lindner (FDP)
Um das Amt wurde zwischen Robert Habeck (Bündnis90/Die Grünen) und Lindner (FDP) gerungen – ist es doch das einflussreichste der Bundesregierung. Das Finanzministerium verwaltet das Geld des Bundes und kann daraus politische Macht ableiten. Lindner wollte es von Anfang an, die Grünen steckten zurück und bekamen Klima und Wirtschaft sowie den Vizekanzler. Lindner stammt aus Wuppertal und ist 42 Jahre alt. Schon mit 18 war er als Unternehmensberater tätig. Mit 16 trat er in die FDP ein. Von 2000 bis 2009 und von Mai 2012 bis Oktober 2017 gehörte er dem Landtag in NRW an. Von Oktober 2009 bis Juli 2012 war er Mitglied des Bundestages, von Dezember 2009 bis Dezember 2011 auch Generalsekretär der Bundes-FDP. Lindner zog als Spitzenkandidat seiner Partei bei der Bundestagswahl 2017 erneut in den Bundestag ein und wurde Vorsitzender der Fraktion. Im November 2021 wurde er im Bundesvorstand für das Amt des Bundesministers für Finanzen nominiert.
Klima und Wirtschaft: Robert Habeck (B’90 / Die Grünen)
Jetzt musste er zum zweiten Mal zurückstecken: Als Kanzlerkandidat hat ihn Annalena Baerbock ausgestochen, als Finanzminister Christian Lindner, der fast die Ampelkoalition hätte platzen lassen, wenn er nicht Finanzminister geworden wäre. Robert Habeck ist dafür – kleiner Ersatz – Vizekanzler geworden. Das Ministerium, das er leiten wird, hat jedoch einen breiten Zuständigkeitsbereich. Klima ist das Herzensanliegen der Grünen und Wirtschaft ist vor allem Transformation: Energie, Digitales, Nachhaltigkeit.
Habeck (Jahrgang 1969) zog 2009 über die Landesliste der Grünen in den Landtag von Schleswig-Holstein ein und wurde Fraktionsvorsitzender. Von 2012 bis 2018 amtierte er als stellvertretender Ministerpräsident und Minister für Energiewende, Landwirtschaft, Umwelt und Natur im Kabinett Albig sowie im Kabinett Günther. Nach der Wahl zum Bundesvorsitzenden trat er von seinem Ministeramt zurück.
Eigentlich ist der in Lübeck geborene Habeck Schriftsteller. Mit seiner Ehefrau Andrea Paluch bildet er seit 1999 ein Autorenduo. Neben Kinderbüchern und Übersetzungen englischer Lyrik veröffentlichten sie mehrere Romane und auch ein Theaterstück. Der Roman „Der Tag, an dem ich meinen toten Mann traf" wurde 2008 verfilmt.
Verkehr: Volker Wissing (FDP)
Mit Weinbau und Landwirtschaft kennt er sich aus, jetzt muss er sich in das Thema Verkehr einarbeiten: Volker Wissing, geborener Pfälzer, war von 2016 bis 2021 im Kabinett Malu Dreyer (SPD) Minister für Wirtschaft, Verkehr, Landwirtschaft und Weinbau sowie stellvertretender Ministerpräsident. Mit Ampeln hat er Erfahrung: Mit Malu Dreyer zusammen leitete er die erste Ampel-Koalition in Rheinland-Pfalz. Seit dem 19. September 2020 ist er Generalsekretär der FDP. Am 24. November 2021 nominierte ihn seine Partei für das Amt des Bundesministers für Verkehr und Digitales. Wissing ist Jurist. Nach dem Abitur in Band Bergzabern studierte er Jura in Saarbrücken und in Freiburg im Breisgau. 1997 erfolgte seine Promotion zum Dr. jur. an der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster, anschließend war er erst Richter beim Landgericht Zweibrücken, dann Staatsanwalt in Landau. Er gründete 2014 die Kanzlei „Wissing Rechtsanwälte".
Justiz: Marco Buschmann (FDP)
Buschmann, der erste Parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Fraktion im Bundestag, hat sich als scharfer Kritiker der Corona-Politik der bisherigen Bundesregierung profiliert. Von Juni 2012 bis April 2014 war er Generalsekretär der FDP Nordrhein-Westfalen und von Juni 2014 bis September 2017 Bundesgeschäftsführer. Er hat sich mit modernen Methoden der Wahlkampfführung auf digitaler Basis hervorgetan. Buschmann (Jahrgang 1977) stammt aus Gelsenkirchen und ist von seiner Ausbildung her Jurist. Seine Kariere begann er bei den JuLis, den Jungen Liberalen, für die er programmatisch tätig war. 2009 zog er im zweiten Anlauf in den Bundestag ein. 2013 schied er wieder aus, weil die FDP an der Fünfprozenthürde scheiterte. Buschmann arbeitete in mehreren Ausschüssen und gilt als enger Vertrauter von Parteichef Lindner. Nur wenigen Parteifreunden dürfte Lindner so umfassend vertrauen wie dem langjährigen Wegbegleiter aus Nordrhein-Westfalen.
Digitalisierung und Bildung: Bettina Stark-Watzinger (FDP)
Eine „Bildungsrevolution" für Deutschland will sie. Soziale Herkunft und Bildungserfolg müssen entkoppelt, digitales Lernen in den Lehrplänen bleiben und der Bund braucht mehr Verantwortung für Bildung. Die Kultusministerkonferenz rügt sie als „bürokratisch und träge". Starke Worte von Bettina Stark-Watzinger, geboren 1968 in Frankfurt/Main. Sie studierte von 1989 bis 1993 Volkswirtschaft an den Universitäten in Mainz und Frankfurt am Main, war danach Trainee in einer Frankfurter Privatbank, erreichte dort eine erste Management-Position und ging für neun Jahre nach Großbritannien. In der FDP hat Stark-Watzinger eine steile Karriere hingelegt. 2017 wurde sie in den Bundestag gewählt. Dort profilierte sie sich als Finanzpolitikerin und stieg in der Fraktion auf. Seit März 2021 ist sie Landesvorsitzende der hessischen FDP, zuvor rückte sie bereits zur Parlamentarischen Geschäftsführerin der FDP-Fraktion auf. In der Bildungspolitik will sie das „Kooperationsverbot" durch ein „Kooperationsgebot" zwischen Bund und Ländern ersetzen. Das geht allerdings nur über eine weitgehende Grundgesetzänderung.
Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Anne Spiegel (B’90 / Die Grünen)
Dass sie vom Fach ist und von ihrem Ressort etwas versteht, zeigt ihre Karriere. Von Mai 2016 bis Mai 2021 war sie Ministerin für Familie, Frauen, Jugend, Integration und Verbraucherschutz des Landes Rheinland-Pfalz, ab Januar 2021 zusätzlich Ministerin für Umwelt, Energie, Ernährung und Forsten. Anne Spiegel, 1980 in Leimen (Baden) geboren, gehörte von 1999 bis 2002 dem Landesvorstand der Grünen Jugend Rheinland-Pfalz an und danach dem Bundesvorstand. Sie hat Politik, Philosophie und Psychologie an der TU Darmstadt, der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, der Universität Mannheim und der Universität Salamanca in Spanien studiert. 2007 legte sie ihren Abschluss als Magistra Artium an der Universität Mainz ab. Sie ist von Beruf Sprachtrainerin. Im April 2018 ging sie als erste Ministerin in Rheinland-Pfalz in den Mutterschutz, um ihr viertes Kind zur Welt zu bringen. Spiegel nahm ihr Baby im November 2018 mit in eine Sitzung des Bundesrates.
Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz: Steffi Lemke (B’90 / Die Grünen)
Steffi Lemke sah man im Fernsehen immer an Wahlabenden, wenn die Grünen mit beteiligt waren. Sie war war elf Jahre lang, von 2002 bis 2013, Bundesgeschäftsführerin von Bündnis 90/Die Grünen. Lemke, geboren 1968 in Dessau, machte eine Ausbildung als Zootechnikerin, hat an der Humboldt-Universität studiert und ist von Beruf Diplom-Agraringenieurin. Sie gehörte 1989 zu den Mitbegründern der Grünen Partei in der DDR. Von 1993 bis 1994 arbeitete sie im Grünen-Landesvorstand in Sachsen-Anhalt mit. Sie war von 1994 bis 2002 sowie seit 2013 Mitglied des Deutschen Bundestages. Im Parlament arbeitete sie als Mitglied und Obfrau im Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit. Als Umweltministerin will sie sich besonders für den Artenschutz einsetzen.
Ernährung und Landwirtschaft: Cem Özdemir (B’90 / Die Grünen)
Der Realo hat sich durchgesetzt. Lange galt Anton Hofreiter als sicherer Kandidat für dieses Ministerium. In letzter Minute, kurz vor dem Start der Mitgliederbefragung, schafften es die Realos, ihren Favoriten Özdemir zu küren. Ob er schlussendlich auch Minister wird, entscheidet die Basis. Özdemir ist der einzige Minister mit Migrationshintergrund im Kabinett und eine der bekanntesten Persönlichkeiten der Grünen. Er war von November 2008 bis Januar 2018 Bundesvorsitzender seiner Partei und gemeinsam mit Katrin Göring-Eckardt grüner Spitzenkandidat zur Bundestagswahl 2017. 2019 kandidierte Özdemir mit Kirsten Kappert-Gonther erfolglos für das Amt des Vorsitzenden der Grünen-Bundestagsfraktion. Sein Thema fand er in der eigenen Biografie: „Ich bin deutscher Staatsbürger türkischer Herkunft. Das Schwäbische ist mir noch näher als das Deutsche, und mit der türkischen Herkunft ist es ebenfalls nicht so einfach. Auch ‚Einwanderer‘ trifft den Kern nicht. Ich bin zwar gut zu Fuß, aber ich bin nie eingewandert, sondern hier geboren."
Özdemir war von 2004 bis 2009 Mitglied des Europäischen Parlaments. Kritisiert wurde er wegen der Annahme eines Privatkredits über 80.000 DM von einem PR-Berater 2002 und der privaten Verwendung dienstlich erworbener Bonus-Meilen. Bei der letzten Bundestagswahl errang Özdemir in seinem Stuttgarter Wahlkreis über 40 Prozent der Direktstimmen.
Staatsministerin für Kultur und Medien: Claudia Roth (B’90 / Die Grünen)
Ob sie davon geträumt hat, weiß man nicht, jedenfalls hat sie ihr Wunschamt erreicht. Claudia Roth, in früheren Zeiten einmal Bandmanagerin („Ton Steine Scherben"), gehört zum grünen Urgestein. Die 1955 geborene Allgäuerin war zuerst bei den Jungdemokraten, bevor sie 1987 den Grünen beitrat. Von 1989 bis 1998 war Claudia Roth Mitglied des Europäischen Parlaments, unter anderem als Vizepräsidentin des parlamentarischen Ausschusses EU-Türkei. 1998 wurde sie in den Deutschen Bundestag gewählt. Hier übernahm sie den Vorsitz des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe. 2001 wurde sie erstmals zur Bundesvorsitzenden von Bündnis 90/Die Grünen gewählt. Daneben war sie auch frauenpolitische Sprecherin der Grünen.
Seit Oktober 2013 ist sie Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages. Außerdem ist sie im Parlament Mitglied des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. – Claudia Roth polarisiert – entweder möge man sie oder man finde sie „richtig nervig", heißt es über sie. Sie wird gleichermaßen als sehr emotional wie auch als Parteisoldatin mit eiserner Disziplin beschrieben und gilt als das grüne Gewissen ihrer Partei.