Der Kampf gegen die Pandemie ist die erste Bewährungsprobe für Olaf Scholz
ie überwältigende Zustimmung der Ampelparteien zum Koalitionsvertrag unterstreicht: Olaf Scholz sollte mit Rückenwind ins Kanzleramt getragen werden. An hochfliegenden Versprechungen hat es bisher nicht gemangelt. SPD, Grüne und FDP haben mit dem Regierungsmotto „Mehr Fortschritt wagen" eine große Reformfanfare ertönen lassen. Sie wollen das Land aus dem Zustand des permanenten Krisenmanagements unter Angela Merkel (Finanzkrise, Griechenlandkrise, Eurokrise, Flüchtlingskrise, Coronakrise) reißen. Und Scholz selbst hat immer wieder den Sound des Machers verbreitet: „Wer bei mir Führung bestellt, muss wissen, dass er sie dann auch bekommt."
Führung ist das Wort der Stunde. Allerdings werden von der Politik derzeit nicht pompöse Projekte verlangt, es kommt auf handfeste Krisenbewältigung an. Die Regierungstauglichkeit von Rot-Gelb-Grün entscheidet sich zunächst und zuallererst an den Resultaten im Kampf gegen die Pandemie.
Die Ampel startet mit einer schweren Corona-Hypothek in die neue Legislaturperiode. Denn keine Partei – weder innerhalb der Ampel noch außerhalb – hat sich hier mit Ruhm bekleckert. Die deutsche Politik war mit ihrem Hü-Hott-Kurs aus Lockerung und Lockdown stets hinter der Welle. Das trifft auch auf den bisherigen Vizekanzler Scholz zu. Merkel hatte mit dem analytischen Blick der gelernten Physikerin immer wieder für mehr Einschränkungen plädiert, konnte sich aber im Föderalismus-Dickicht zwischen Bund und Ländern nicht durchsetzen. Vor allem die FDP wollte sich als Bannerträgerin der Freiheit profilieren, lehnte schärfere Maßnahmen ab und träumte sogar schon von einem „Freedom Day" im Stil des britischen Premierministers Boris Johnson. Doch angesichts nach oben schießender Infektionszahlen und der immer akuter werdenden Notlage auf den Intensivstationen legten die Liberalen – aber nicht nur sie – eine 180-Grad-Kehrtwende hin.
Die Politik hat begriffen, dass sich die Stimmung in der Bevölkerung gedreht hat. Mit Blick auf die tückische neue Virusvariante Omikron stehen nun Wachsamkeit und Vorsicht im Vordergrund. Ungeimpfte müssen nun deutliche Beschränkungen hinnehmen. Da die Impfquote mittelfristig ein Schlüssel im Kampf gegen die Pandemie ist, hat die Ampel mit der Bundestagsabstimmung über eine allgemeine Impfpflicht ihre erste Bewährungsprobe. Bei diesem kontroversen Thema muss Scholz zeigen, dass er führen und eine Mehrheit hinter sich scharen kann. Insbesondere in der FDP gibt es noch viele Skeptiker, die den verordneten Piks als zu starken Eingriff in die individuellen Persönlichkeitsrechte betrachten.
Der neue Regierungschef muss bei der Anti-Corona-Kampagne vorangehen. Dabei hat er mit Gesundheitsminister Karl Lauterbach einen populären Mitstreiter, der wissenschaftliche Erkenntnisse auch einer breiten Öffentlichkeit mundgerecht erklären kann. Die Herausforderung: Falls es die Pandemie erfordert, hat Scholz die schwierige Aufgabe, für härtere Maßnahmen wie etwa Kontaktreduzierungen auch für mehrfach Geimpfte zu trommeln.
Das verlangt wesentlich mehr Überzeugungskraft und Durchsetzungsvermögen, als einen Koalitionsvertrag zu verhandeln. Bei Letzterem hatte sich der Sozialdemokrat als starker Moderator erwiesen. Er überließ den Partnern genügend Raum für Eigenprofil. Die Grünenpartei konnte als Vorantreiber der Klimapolitik auftreten, die FDP als Garant der Haushalts-Stabilität, die SPD als Wahrer der sozialen Gerechtigkeit.
Begünstigt wurde die bemerkenswerte Disziplin der Ampelparteien durch den Hunger aufs Regieren. Die SPD wollte sich endlich aus der tödlichen Umarmung der „Groko-Kanzlerin" befreien. Die Grünen witterten nach dem Ende der rot-grünen Ära 2005 und den langen Jahren auf den Oppositionsbänken wieder Morgenluft. Die FDP drängte es nach den im März 2017 geplatzten Jamaika-Gesprächen mit Macht ins Kabinett. Parteichef Christian Lindner verfolgt zudem einen strategischen Plan: Ihm schwebt vor, die Liberalen als Kraft der Mitte zu positionieren und im Wählerreservoir der verunsicherten und gelähmten Union zu fischen.
All dies sind kühne Ideen und Absichten. Wie weit sie tragen, bemisst sich aber an den Erfolgen oder Misserfolgen im Kampf gegen Corona. Das Kabinett Scholz startet seine Regierungsarbeit im Krisenmodus.