„Opposition ist Mist", hat der damalige SPD-Parteivorsitzende Franz Müntefering 2004 einmal gesagt. Von wegen „Mist". Ohne Opposition keine Demokratie und ohne Demokratie keine offene Gesellschaft.
Im politischen Sinne gehören zur Opposition in einem Parlament wie dem Bundestag oder einem Landtag alle gewählten Abgeordneten, die nicht zur Regierung zählen. In der vergangenen Wahlperiode des Deutschen Bundestages gehörten die Abgeordneten der Union (CDU/CSU) und der SPD zur Regierungsfraktion mit Angela Merkel als Bundeskanzlerin. In der Opposition waren die FDP, Linke, AfD und Grüne. In diesem Bundestag sitzen die CDU/CSU, die Linke und die AfD auf den gern zitierten „harten Bänken" der Opposition. Hart wird es vor allem für die Union, die sich 16 Jahre lang an die Sessel der Macht gewöhnt hatte.
In einem Parlament gibt es also zwei Lager. Auf der einen Seite befindet sich der größere Zusammenschluss von Politikern meist mehrerer Parteien, die die Regierung bilden (Koalition). Auf der anderen Seite steht die kleinere Opposition, zu der auch mehrere Zusammenschlüsse von Abgeordneten (Fraktionen) verschiedener Parteien gehören können.
Aufgabe der Opposition ist es, Probleme und Widersprüche der Regierungspolitik im Parlament aufzuzeigen. Da die Opposition immer die mögliche Regierung von morgen ist, stellt sie ihre personellen und sachbezogenen Alternativen im Plenum vor. Eine Opposition, die keine Chance hat, sich von den Wählern als alternative Regierung wählen zu lassen, ist keine. Sie kann dann nur immer wieder gegen die Regierung anrennen, so wie das in Belarus oder in Russland der Fall ist: Dort wird die Opposition zwar bis zu einem gewissen Grad geduldet, aber bei den Wahlen regelmäßig ausgeschaltet.
Ohne Opposition also keine echte parlamentarische Demokratie. Nur wenn der Wähler zwischen mindestens zwei Alternativen im Wettbewerb miteinander stehenden Parteien entscheiden kann, sind Volkssouveränität, Gewaltenkontrolle und Demokratie gewährleistet.
Die wichtigsten Kontrollmittel
• Der Bundestag kann als gesamtes Organ über das Budgetrecht die Finanzpläne der Regierung kontrollieren. Das ist ein ganz altes Recht, das bereits in den ersten Parlamenten in England und Frankreich im 16. Jahrhundert zum Teil gewaltsam erstritten wurde: Der König durfte nur so viel ausgeben wie das Parlament bewilligt.
• Er kann Fragen an die Bundesregierung richten. Die Geschäftsordnung unterscheidet zwischen vier Frageformen: der Großen Anfrage, der Kleinen Anfrage, der Schriftlichen Frage und der Mündlichen Frage. Schriftliche und mündliche Fragen sowie Kleine Anfragen sind meistens nur für die politische Szenerie von Bedeutung. Ab und zu tauchen ihre Ergebnisse in den Nachrichten auf, so zum Beispiel hat die Linke im letzten Bundestag immer wieder Kleine Anfragen nach dem Rüstungsexport oder dem Einfluss von Interessenvertretern formuliert. Dagegen muss über eine Große Anfrage im Parlament debattiert werden, sie ist also viel öffentlichkeitswirksamer. Am meisten genutzt wurde im 19. Bundestag die Kleine Anfrage (insgesamt: 11.700), Große Anfragen kamen nur 35-mal vor.
• Seit den 70er-Jahren gibt es immer mittwochs nach der Kabinettssitzung die sogenannte Regierungsbefragung. Die Grundidee war, dass die Regierung nicht nach der Kabinettssitzung einfach in die Pressekonferenz geht, und das Parlament erfährt erst aus der Zeitung, was die Kanzlerin gesagt hat. Die Fragen werden nicht vorher eingereicht, sondern müssen spontan beantwortet werden. Doch die Regierung schickt oft nur ihre Staatssekretäre. Das kann schnell langatmig und aktenstaubig werden. Die Opposition könnte öfter darauf bestehen, dass der oder die Kanzlerin oder Ministerin selbst erscheint, damit dieses Mittel mehr Öffentlichkeit bekommt.
• Im 19. Bundestag wurden drei Untersuchungsausschüsse eingerichtet: zum Terroranschlag auf dem Breitscheidplatz vor fünf Jahren, zum Mautskandal von Verkehrsminister Andreas Scheuer und zum Finanzdienstleister Wirecard. Zusätzlich hat der Verteidigungsausschuss sein Recht wahrgenommen, als Untersuchungsausschuss zu arbeiten (es ging um die Beraterverträge unter Ministerin Ursula von der Leyen). Ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss kann durch die Opposition als politisches Druckmittel genutzt werden. Die Minderheit hat das Recht, in gleicher Weise wie die Ausschussmehrheit an der Untersuchung mitzuwirken, insbesondere Beweisanträge zu stellen und Zeugen zu laden. Daher gilt der Untersuchungsausschuss als „scharfes Schwert" der Opposition.
• Darüber hinaus existiert zu jedem Ministerium ein Ausschuss des Bundestages. Die Ausschüsse bestehen aus 15 bis 42 Abgeordneten und spiegeln die Zusammensetzung der Fraktionen im Plenum wider, sodass die Mehrheitsverhältnisse entsprechend sind. Die Ausschussmitglieder werden von den Fraktionen bestimmt. Das geschieht gerade im neu gewählten Bundestag. Nur im wichtigen Haushaltausschuss steht der Vorsitz traditionell dem Oppositionsführer zu. Das heißt: Er bestimmt die Tagesordnung und setzt die Schwerpunkte in der Sitzung. Die Arbeit der Ausschüsse hat der ehemalige Verteidigungsminister Peter Struck einmal so charakterisiert: „Es gibt kein Gesetz, das den Bundestag so verlässt, wie es eingebracht wurde."
• Schließlich kann der Bundestag (wieder als gesamtes Organ) über das konstruktive Misstrauensvotum dem Bundeskanzler das Misstrauen aussprechen und ihn abberufen, wenn er nicht mehr das Vertrauen des Parlaments genießt. „Konstruktiv" heißt das Kontrollmittel, weil es nicht ausreicht, nur den Kanzler abzuwählen, sondern die Parlamentarier müssen sich auch auf einen neuen Regierungschef einigen. Hat die Mehrheit der Abgeordneten der Bundeskanzlerin das Misstrauen ausgesprochen, ersucht der Bundestag den Bundespräsidenten, den Bundeskanzler zu entlassen und den gewählten Nachfolger zu ernennen. Der Bundespräsident muss diesem Ersuchen entsprechen. In der Geschichte der Bundesrepublik gab es bislang zwei konstruktive Misstrauensvoten. 1972 versuchte der CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende Rainer Barzel Kanzler Willy Brandt abzulösen, scheiterte aber knapp. 1982 verließ die FDP die Koalition mit Kanzler Helmut Schmidts SPD und ging ein Bündnis mit der CDU/CSU ein. Gemeinsam wählten sie Helmut Kohl zu Schmidts Nachfolger.
Es geht um das Ansehen des Bundestages
Damit sind die Rechte der Opposition – verglichen mit anderen Demokratien – ziemlich einmalig, meint Wolfgang Zeh, Verwaltungswissenschaftler und 2002 bis 2006 Direktor des Deutschen Bundestages. Ein Viertel der Mitglieder des Bundestages kann einen Untersuchungsausschuss einsetzen. Ein Drittel kann zu jeder Zeit eine Sondersitzung des Bundestages erzwingen oder eine abstrakte Normenkontrolle beim Bundesverfassungsgericht erwirken. Eine Normenkontrollklage ist die Überprüfung einer Rechtsnorm auf ihre Verfassungsmäßigkeit durch das Bundesverfassungsgericht. Solch einen Antrag können nur die Bundesregierung, eine Landesregierung oder ein Viertel der Mitglieder des Bundestages stellen. Zuletzt ging es bei diesen Klagen um den ZDF-Staatsvertrag und Luftsicherheitsgesetz.
Viel hängt vom Verhalten der Regierung ab, wenn es um das Ansehen des Bundestages geht. Wenn im Bundestag nur noch Fensterreden gehalten werden und nicht gestritten wird, weil alles bereits entschieden ist, schaut keiner mehr zu. Wenn die Regierung den Eindruck vermittelt, das Parlament sei lästig, dort würden ihre „guten" Gesetzentwürfe verpfuscht, ist das problematisch. Zumal eine solche Haltung den alten deutschen Antiparlamentarismus bedient: Die im Parlament reden nur, jetzt muss endlich gehandelt werden!
In den 20er- und 30er-Jahren war vom Reichstag als „Schwatzbude" die Rede. Noch heute wird gelegentlich kritisiert, dass die Regierung das Parlament von oben herab behandelt. Die Opposition hat hier die besondere Aufgabe, dem Parlamentarismus zur Popularität zu verhelfen, etwa indem sie selbstbewusst einfordert, dass die Regierung nicht nur ihr, sondern auch der Öffentlichkeit gegenüber verständlich und nachvollziehbar Rechenschaft ablegt.