Mit einer Regierung vor Weihnachten hat die Ampel ihr erstes Versprechen eingelöst. Die internen Verteilungen zeigen eine austarierte Arithmetik mit drei starken Machtzentren.
Am Ende war Regierungschef Olaf Scholz dann doch noch in gewisser Weise von seinen neuen FDP-Koalitionspartnern in Sachen Frau/Mann-Parität ausgetrickst worden. FDP-Chef und Bundesfinanzminister Christian Lindner hatte seine Ministerriege zuerst zusammen: Eine Frau, drei Männer. Dann kamen die Grünen: Drei Frauen, zwei Männer. Divers entfiel auch bei den Grünen. Die FDP hatte sich nicht an die Parität gehalten.
Damit hatte Scholz die undankbare Aufgabe, viele seiner männlichen SPD-Ministeraspiranten zu vertrösten, sonst wäre die gesamte Parität in der neuen Regierung nicht mehr aufgegangen. Doch die Episode der Regierungsbildung ist bei den Grünen und vor allem den SPD-Genossen nicht gut angekommen. Wieder entstand der Eindruck, FDP-Chef Lindner würde eine gewisse Narrenfreiheit genießen, wie bei Tempo 130 auf den Autobahnen, was bei Beginn der Koalitionsverhandlungen als Erstes ohne Diskussion zu Lasten der Grünen kassiert wurde. Obendrein genießt der neue Bundesfinanzminister noch das dienstliche Privileg des Vetorechts innerhalb der Regierung. Christian Lindner kann Kabinettsbeschlüsse nicht nur torpedieren, sondern gleich ganz auf Eis legen. Dazu kommt für Lindner, dass er nicht wie Bundeskanzler Scholz oder der grüne Vizekanzler Habeck viel Rücksicht auf seine Parteibasis nehmen muss. Lindner ordnet an – und die Partei findet es toll. Immerhin hat er vier Ministerposten für seine Partei rausgeholt, was im Vorfeld keiner seiner Parteifreunde für möglich gehalten hatte. Vier Ministerposten, die sich obendrein ergänzen, mit denen man aber die Grünen und die SPD innerhalb der eignen Regierung im Zweifelsfall auch mal unter Beschuss nehmen kann, wenn es nicht im liberalen Sinne zu laufen droht.
Zahlenstreit um Parität
Da ist Bundesverkehrsminister Volker Wissing. Der 51-jährige Pfälzer wird sich zukünftig vor allem mit den Grünen innerhalb der neuen Regierung auseinandersetzen müssen, die ja das gesamte Klima-, Umwelt und Energieressort ministerial verwalten. Sein FDP-Parteifreund Marco Buschmann dagegen ist intern für die SPD zuständig. Der neue Bundesjustizminister war noch gar nicht im Amt, da hat ihm die Ampel-Regierung in Spe schon mal eine Steilvorlage für sein zukünftiges Tun geliefert: Die Impfpflicht, zuvor lange ein absolutes FDP-No-go. Wenn die Impfpflicht tatsächlich vom Bundestag abgesegnet wird, was sehr wahrscheinlich ist, wird Justizminister Buschmann von der FDP sehr genau darauf achten, wie die Umsetzung zum 1. März 2022 aussieht.
Die entsprechenden Gesetze müssen von einer absoluten Newcomerin im doppelten Sinne umgesetzt werden: Nancy Feaser. Die 51-jährige hessische SPD-Chefin ist nicht nur neu auf dem Berliner Politparkett, sie hat obendrein noch nie ein Ministerium geleitet, schon gar nicht so ein großes wie das Bundesinnenministerium. Nun soll Feaser ausgerechnet die Impfpflicht mit umsetzen, die erste Generalprobe für die neue Bundesregierung.
In der SPD regt sich dagegen nur ein bisschen Widerstand. Für Ex-SPD-Innenminister Otto Schily ist diese nicht mit dem Grundgesetz zu vereinbaren. Bei den Grünen gibt es da schon erheblich mehr Bauchschmerzen. Doch dabei geht es dort nicht nur um die Impfpflicht, es geht um die gesamte Verteilung der Ministerposten. Selbstverständlich hat man die Frau/Mann-Parität gewahrt. Doch bei genauem Hinschauen fällt auf, dass Robert Habeck nicht nur in den Koalitionsverhandlungen geholfen hat, auf ein passables Ergebnis zu kommen, der softe Grüne hat auch parteiintern mit dem neuen Politikstil richtig gut abgegriffen. Alle wichtigen Ressorts hat er unter sich: Vizekanzler, Klimaschutz, Wirtschaft, Energiewende und Transformation. Schlicht ein Superministerium, das eigentlich auch die FDP zumindest in Teilbereichen im Blick hatte. Der Clou für Habeck: Klimaschutz soll ähnlich wie Finanzen ebenfalls mit einem Vetorecht innerhalb der Bundesregierung ausgestattet sein. Damit ist gewährleistet, dass Habeck sogar noch mehr Einfluss im engsten Kreis des Kanzleramts hat als Christian Lindner. Superminister Habeck thront damit auch ohne den Titel als Vizekanzler nicht nur direkt hinter Olaf Scholz auf der Regierungsbank im Bundestag, er hat durch den Ressortzuschnitt auch das Sagen innerhalb der grünen Regierungsriege.
Außenministerin Annalena Baerbock hat genau genommen kaum eine politische Entfaltungsmöglichkeit innerhalb der Bundesregierung. Das Schicksal teilt sie mit ihrem Vorgänger Heiko Maas. Außenpolitik wird seit Amtsantritt Angela Merkels 2005 im Kanzleramt gemacht. Das wird sich jetzt unter Scholz nicht ändern. In der Realität heißt das, auch wenn es etwas despektierlich anmutet, Baerbock bekommt von Kanzleramtschef Wolfgang Schmidt die Sichtweisen des Hauses für ihre Dienstreisen erläutert. Viel Raum für Eigeninitiative bleibt da nicht, und manchem Skeptiker fällt die Vorstellung schwer, sich die erste Außenministerin Deutschlands diplomatisch-zurückhaltend vorzustellen. Schmerzhafter als für Habeck dürfte für Baerbock der gemäß grünem Parteistatut notwendige Rückzug aus der Parteispitze sein. Während Habeck zu Hause an zentralen grünen Themen arbeiten kann, wird sie in der Welt unterwegs sein.
Triumvirat als Machtzentrum
Familienministerin Anne Spiegel hat zwar langjährige Ministererfahrungen in Rheinland-Pfalz sammeln können, doch auf Bundesebene muss sich die 40-Jährige erstmal zurechtfinden. Ganz anders Cem Özdemir. In den Koalitions-verhandlungen haben die Grünen das für sie neben Klima wichtige Landwirtschaftsressort bekommen, und Ex-Parteichef Özdemir hat sich durchgesetzt. Robert Habeck und Cem Özdemir sind auf neudeutsch „best buddies", und außerdem sind im Mai 2026 in Baden- Württemberg Landtagswahlen. Es gilt als ausgemacht, dass Cem Özdemir dabei der grüne Spitzenkandidat sein wird, immerhin hat er bei der Bundestagswahl als Direktkandidat in Stuttgart sagenhafte 40 Prozent geholt. Damit er nun in den kommenden Jahren als Bundestagshinterbänkler nicht in Vergessenheit gerät, übernimmt er das Landwirtschaftsministerium. Er kann sich bundesweit gut präsentieren, und wer weiß, vielleicht muss er ja vom grünen Landesvater Kretschmann bereits früher übernehmen. Özdemir kommt Klima-Superminister Robert Habeck kaum ins Gehege. Nur Umweltministerin Steffi Lemke könnte Habeck mit eigenen Ideen in die Quere kommen. Lemke gehört zum linken Flügel der Grünen und ist weder Habeck noch Baerbock politisch sonderlich wohlgesonnen. Auf der 53-Jährigen aus Dessau lastet nun der parteiinterne Auftrag, Habeck nicht zu mächtig werden zu lassen, was allerdings mit nur einem Ressortauftrag innerhalb ihres Ministeriums schwierig werden dürfte. Damit wird es wohl eine Klimaschutz-, Energie-, Wirtschafts- und Landwirtschaftspolitik aus einem Guss geben, und dafür steht ein Name: Robert Habeck.
Auch bei Finanzen, Verkehr, Justiz und Forschung wird es gradlinig zugehen, dafür sorgt Christian Lindner. Bei Kanzleramtsminister Wolfgang Schmidt laufen diese beiden Stränge dann zusammen. Es ist ein Treppenwitz der Berliner Politikgeschichte, dass ausgerechnet die Regierung, die sich großartig Gleichberechtigung auf die Fahnen geschrieben hat, im absoluten Machtzentrum von vier Männern dominiert wird.
Frauen sind in der neuen Regierung zwar zahlreicher vertreten als je zuvor in Merkel-Regierungen, aber die Fast-Parität (Kanzleramt eingerechnet) relativiert sich dann nochmal beim Blick auf das Gewicht der jeweiligen Ressorts. Eine Frau an der Spitze des Verteidigungsministeriums ist inzwischen fast schon üblich. Neu ist, dass Deutschland zum ersten Mal eine Außenministerin (Grüne) und eine Innenministerin (SPD) hat.