Die leuchtende Farbenpracht gotischer Kathedralfenster bewundert der Saarländer gerne in Frankreich. Dabei lebt er selbst in einem Land mit der wohl weltweit höchsten Dichte an Glasmalereien.
Über viele Jahrzehnte entstand im Saarland in sakralen und profanen Gebäuden ein vielfältiges gläsernes Kulturvermögen, das sich so selbstverständlich in den Alltag integriert, dass es kaum Beachtung findet.
In einem großen Vergleich konnte dieser Schatz erstmals festgestellt werden: In den Jahren 2004 bis 2021 führte die Forschungsstelle Glasmalerei des 20. Jh. e.V. unter meiner Leitung eine vollständige Erfassung der Glasmalerei in Nordrhein-Westfalen, Limburg/NL, Luxemburg, dem rheinland-pfälzischen Teil der ehemaligen preußischen Rheinprovinz und dem Saarland durch. Rund 150.000 Werke in über 10.000 Gebäuden wurden dokumentiert.
In diesem Zusammenhang fiel das Saarland durch vielerlei Superlative auf: als Bundesland mit den prozentual zur Einwohnerzahl meisten Kirchengebäuden, die wiederum aufgrund ihrer Größen jeweils mehr gestaltete Fenster aufweisen als Kirchen in anderen Gebieten (zum Beispiel die Kirche Allerheiligen in Sulzbach mit über 50 Glasmalereien). Es ist das Land mit dem jüngsten Bestand an Glasmalereien. Die meisten Kunstverglasungen, nämlich 71 Prozent, entstanden nach 1945, wovon die Jahre bis 1960 die absolute Boom-Zeit waren. Aber auch aus der Zeit zwischen den Weltkriegen haben sich viel mehr Kirchenfenster erhalten als in anderen Gebieten. Die Werke der 1920er und 1930er Jahre ergänzen damit das Geschichtsbild, das an anderen Orten zerstört wurde.
Vielerlei Superlative
Glasmalerei – da geht es nicht nur um Bilder; Glasmalerei ist eine Kunstform, die in ihrer Komplexität schwer zu umschreiben ist. Glasmalereien sind nie Werke, die für sich allein gesehen werden können. Sie sind Teil der Architektur, sind Lichtquellen, sind Bildträger. Sie bestimmen den Charakter des Raumes, tragen zum Raumerlebnis bei. Sie sind aber auch Geschichte, geben uns eine Vorstellung vom Sakralempfinden unserer Vorgenerationen.
Das Wichtigste ist jedoch, dass Glasmalereien von den gläubigen Bürgern des Ortes, der Kirchengemeinde, initiiert und gespendet wurden. Und das Faszinierendste dabei ist, dass so vielfältig wie die Menschen sind, auch die Kirchenräume gestaltet wurden. Jedes Kirchengebäude hat Charisma, jeder Kirchenraum umfängt den Eintretenden durch seine Lichtstimmung und hebt ihn aus der Alltagswelt heraus.
Schon seit Jahrhunderten haben sich die Menschen zusammengetan, um derartige Festsäle zu bauen, errichtet als das Höchste, Beste, Schönste, was sich die Gesellschaft vorstellen und leisten konnte, für den Akt des religiösen Feierns, aber auch als Mittelpunkt des gesellschaftlichen Zusammenlebens. Diese Räume wurden feierlich geschmückt und dekoriert. Die Glasmalereien bildeten dabei immer die Krönung und den Abschluss der Innengestaltung.
Und um diese Gestaltungen wurde in der Gemeinde gerungen. Was soll dargestellt werden, sollen die Fenster Heils-, Lokalgeschichten oder Heiligenviten beschreiben, wesentliche Glaubenszeugnisse symbolisieren oder den Raum in freier Gestaltung schmücken? Wer soll die Kirchenfenster entwerfen und ausführen, welche Bedeutung haben sie im Kirchenraum, welche Lichtführung ist gewünscht? Wie können die Fenster finanziert werden? All diese und noch viele Fragen mehr wurden in Gremien gemeinschaftlich diskutiert. Und so sind die Ergebnisse, die heute zu sehen sind, als auf demokratischem Wege entstandene Werke zu betrachten. Sie sind Ausdruck des Kulturbedürfnisses der gläubigen Bürger, Teil des heiligen Festsaals, der nicht dem Bischof oder dem Bistum gehört, sondern der Kirchengemeinde, die ja auch im Grundbuch steht.
Die Anliegen der Kirchengemeinde, Hilfe und Trost in den Kirchenfenstern finden – welche Heilige könnte dies besser bezeugen als die hl. Barbara, die Schutzpatronin der Bergleute, die nirgendwo häufiger in Kirchenfenstern dargestellt wird als im Saarland. Überhaupt sind Heilige ein beliebtes Thema der Kirchenfenster.
Und wer könnte die Anliegen der Kirchengemeinden besser umsetzen als die Künstler des Saarlands, die hier geboren oder ihren Wirkungskreis gefunden haben, wie Marianne Aatz, Peter Gitzinger, Boris Kleint, Wilhelm-Alois Kurz, György Lehoczky, Josef Nikolaus Schmitt, Ferdinand Selgrad. Dazu stoßen Künstler aus Frankreich wie Jacques le Chevallier, Gabriel Loire, Tristan Ruhlmann, Glasmaler aus Luxemburg wie Emile Probst, dann die große Künstlergruppe aus Trier, allen voran Jakob Schwarzkopf, aber auch Reinhard Hess, Rudi Schillings und Walter Bettendorf. Weitere wären noch zu nennen; leider kennen wir von etlichen Glasbildern die Entwerfer noch nicht, denn nur selten wurde über diese gespendeten Werke Buch geführt.
Die Heiligen als beliebtes Thema
Alle haben dazu beigetragen, dass im Saarland eine ganz vielfältige, unglaublich interessante Glasmalerei-Landschaft entstanden ist, die eigentlich zu den Topzielen jeder touristischen Veranstaltung gehören müsste. Die jüngsten Werke in der Benediktinerabtei St. Mauritius in Tholey mit den zugkräftigen Namen von Gerhard Richter und Mahbuba Elham Maqsoodi könnten dabei neue Dimensionen erschließen, die jedoch außerhalb der Tradition stehen.
Glasmalerei und moderner Kirchenbau – auch hier ist das Saarland führend. Und zwar nicht erst seit den französisch beeinflussten Betonkirchen der Nachkriegszeit, die mit ihren ungewöhnlich hohen, schlanken Türmen den Wettbewerb mit den Fördertürmen des Bergbaus suchen. Imposante Betonglaswände wie die in der Kirche St. Barbara in Saarbrücken-Dudweiler von Gabriel Loire, 1957, suchen in ihren handbeschlagenen Dallglasplatten vielfältigste Lichtbrechungen. Diese Werke scheuen nicht den Vergleich mit den viel häufiger besuchten Fensterwänden der Berliner Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche, die Gabriel Loire dort drei Jahre später herstellte. Bereits der Kirchenbau vor allem in der Zeit zwischen den Weltkriegen experimentiert mit großem Formenreichtum und mit entsprechend vielfältigen Glasmalerei-Ausstattungen. Hier sprudelte der damalige Reichtum des Saargebiets; Frankreich ließ nicht nur die wirtschaftliche Anbindung spüren, es ging ihm auch um eine kulturelle Einflussnahme.
Hilfe und Trost in den Darstellungen
Der überwiegende Teil der Kirchengebäude im Saarland gehört zur katholischen Konfession, ein knappes Fünftel zu den evangelischen Landeskirchen Rheinland und Pfalz. Die reiche Ausstattung mit Glasmalereien betrifft Kirchen beider Konfessionen. Viele Künstler wie György Lehoczky haben gleichermaßen für katholische wie evangelische Kirchen gearbeitet – ein Hinweis auf gelebte Ökumene, in der man im Saarland zum Beispiel auch in der gemeinsamen Verwendung der Kirchengebäude praktische Wege geht.
Die Spannbreite der Thematik zeugt von intensiver Auseinandersetzung mit dem, was man in den Kirchenfenstern dargestellt sehen wollte. So sind vielfach sehr detailreiche, starkfarbige Glasbilder entstanden, die sich auf das Alte und Neue Testament beziehen, vor allem in Chorfenstern. Symbole bereichern die Ausstattung oft in Kombination mit Ornamenten. Frei komponierte gegenstandslose Glasmalereien sind relativ selten, ebenso wie reine Ornamentfenster mit Rapportmustern.
Hervorzuheben ist ferner die Menge der modernen Glasmalereien in Verwaltungsgebäuden und Privathäusern, worin sich das Saarland wiederum als europäisch herausragend zeigt. Die Werke zeugen von einem großen Kulturbedürfnis der Bürger und Bezug zu ihren Künstlern.
Der Schatz der Glasmalerei im Saarland ist derartig immens, dass es noch vieler Jahre der Aufarbeitung und neuer Entdeckungen bedarf. Zu hoffen ist, dass alle Werke – sind sie doch wegen ihrer Zerbrechlichkeit ständig in ihrer Existenz bedroht – erhalten bleiben als geschichtliche Zeugnisse und zur Freude der Betrachter.