Die hochalpinen, schön und abseits gelegenen Baitèls in der Lombardei sind ein alpenweit einmaliges „Übernachtungskonzept" für Skitourengeher und andere Bergsportler. Der Clou: In den urigen Hütten kann jeder schlafen – ohne Voranmeldung und ohne Gebühr.
Klar, kann man nach der Skitour zum Schlafen wieder ins Tal hinunter. Am Berg zu nächtigen ist für viele aber deutlich aufregender. Dafür stehen sommers wie winters ja auch einige Möglichkeiten zur Wahl: Alpenvereins- und Selbstversorgerhütten, Berggasthöfe, Gipfelhotels, Igludörfer. Und dann gibt es noch rund ein Dutzend, allesamt in einsamer Lage befindliche, sogenannte Baitèls. Diese finden sich im Hochtal von Livigno in der lombardischen Provinz Sondrio, ihr Konzept gibt es so kein zweites Mal. Das Besondere: Die kleinen, ehemaligen Schäferbehausungen können von jedermann genutzt werden. Dazu bedarf es weder einer Voranmeldung noch werden Gebühren fällig. Salopp gesagt: Man taucht in den rund um das norditalienische Outdoor-Dorado verteilten Behausungen einfach auf, die sich links und rechts des Tals auf 2.000 bis 3.000 Meter Höhe befinden, und richtet sich häuslich ein, falls frei. Wobei das ungeschriebene Gesetz gilt, nach dem Aufenthalt alles wieder so zu hinterlassen, wie es vorgefunden wurde. Das Prinzip kennen erfahrene Alpinisten von „Biwakschachteln", doch im Gegensatz dazu taugen die Steinhütten nicht nur für Notübernachtungen. Schließlich sind die für vier bis zehn Personen ausgelegten Baitèls viel uriger und netter eingerichtet. Und während Biwakschlafplätze wirklich nur für den Notfall gedacht sind und Zuwiderhandlungen durchaus mit Geldstrafen geahndet werden können, muss bei den Baitèls niemand mit Sanktionen rechnen – auch nicht bei schönstem Kaiserwetter.
Das Konzept gibt es so kein zweites Mal
Wer nun denkt, dass es angesichts der Gratis-Schlafgelegenheit – okay, Spenden sind erwünscht – zu Massenanstürmen kommt, der irrt. Das verhindern allein die teils mühsame und nur fußläufig oder per Mountainbike respektive Tourenski zu bewältigende Anreise sowie der dann doch eher überschaubare Komfort. Geheizt wird mit Holz, Strom gibt es ohnehin keinen, ebenso wenig Dusche und WC. Es gibt lediglich sehr rustikale, etwas abseitig gelegene „Trockentoiletten". Genächtigt wird auf einfachen Pritschen oder im Schlafsack auf Isomatten. Diese müssen Gäste ebenso selbst mitbringen wie Lebensmittel. Basiswerkzeug, Geschirr, Mokkakanne und Rotwein finden sich aber fast immer vor Ort, ebenso wie eine Flasche lokaler Taneda-Schnaps – eine nette Geste des Baitèl-Vereins, der sich für die Instandhaltung verantwortlich fühlt. Genau genommen handelt es sich um mehrere ehrenamtliche Gruppen aus Livigno. Jede Gruppe ist jeweils für ein Baitèl zuständig und sorgt dafür, dass diese sich in einem ordentlichen Zustand befindet und über genügend Feuerholz verfügt. Dieser Service ist nicht ganz uneigennützig, kommen doch die Einheimischen selbst gern hierher. Allerdings sehen sie die Hütten, die im Übrigen so wohlklingende Namen tragen wie „Baitèl del Pasicanet", „Baitèl da l’Abless" oder „Baitèl dal Moton da l’Al", weniger als Unterkunft für die Nacht, sondern eher als Ziel eines Tagesausflugs, bei dem sie sich mit viel gutem Essen im Rucksack treffen und es sich gut gehen lassen. Das geht bestens: Manche Häuschen verfügen zudem über eine eigene Quelle sowie einen Grillplatz, manche auch über einen Gasherd. Über was sämtliche Baitèls verfügen: eine attraktive Lage fernab des Rummels. Panoramaaussicht und Einsamkeit inklusive.
Einen Belegungsplan gibt es nicht
Wobei das Hochtal, das sich auf 1.800 Metern Höhe zwischen Ortler-Alpen, Veltlin und Bernina erstreckt, ohnehin etwas ab vom Schuss liegt. Seiner Weltabgeschiedenheit verdankt Livigno denn auch den Zollfrei-Status, den Napoleon einst einführte. Dieser Vorteil – heutzutage gibt es in der Region rund 250 Duty-Free-Parfümerien und Boutiquen (Gucci und Prada lassen grüßen) sowie Uhren-, Sport-, Elektronik- und Modegeschäfte –
in Kombination mit einem attraktiven Wander-, Bike- und vor allem Skirevier sorgt dann doch für einen gewissen Urlauberboom. Was Brettljünger besonders lieben: Als eines der wenigen Skigebiete Italiens erlaubt Livigno das Fahren abseits der Pisten – und die kommen ja bereits auf stattliche 115 Kilometer. Vor einigen Jahren wurden dann noch aufregende, neue Tiefschneehänge ausgewiesen und gleichzeitig ein innovativer Datendienst für größtmögliche Sicherheit bereitgestellt. Da informieren große Tafeln am Start aller Freeride-Abfahrten über das zu erwartende Hanggefälle und geben Aufschluss über die Charakteristiken der Routen. Zudem informiert eine App in Echtzeit über die aktuelle Schnee- und Lawinensituation und wird so zum unverzichtbaren Begleiter beim Tiefschneefahren. Unter dem Namen „My Livigno" steht die App kostenlos zum Download bereit und bietet auch Nicht-Freeridern im aktiven Bergsportort eine Fülle an nützlichen Urlaubsinformationen. Einen Belegungsplan für die Baitèls findet man dort freilich nicht, das würde der Grundidee zuwiderlaufen. Und so kann es also durchaus passieren, dass man in „seinem" Baitèl spontanen (und garantiert gucci- und pradafreien) Besuch bekommt. Wer auf derartige Überraschungsbegegnungen auf engem Raum partout keine Lust hat, sollte sich vielleicht lieber eine andere Unterkunft suchen.