Corona hat bei den Füchsen Berlin wieder zugeschlagen. Trotz zahlreicher Ausfälle musste der Club gegen Hamburg antreten und zog sich achtbar aus der Affäre. Der Ärger aber bleibt.
Eigentlich lief bei den Füchsen Berlin wieder alles in die richtige Richtung. Die schmerzvolle Niederlage im Topspiel gegen den SC Magdeburg war mental weitestgehend abgehakt. Das Team präsentierte sich in der Liga gegen den Bergischen HC (32:17) und in der European League gegen Pfadi Winterthur (35:29) in Torlaune. Die Rückkehr der zuletzt verletzten Leistungsträger Viran Morros, Paul Drux und Fabian Wiede erhöhte zusätzlich die Stimmung. Doch dann schlug Corona zu – und schlagartig war es vorbei mit der guten Laune beim Handball-Bundesligisten.
„Für uns ist es sportlich eine Katastrophe", sagte Geschäftsführer Bob Hanning, der einen solchen Fall in seiner langen Zeit im Profihandball auch noch nicht erlebt hat: „Ich hätte mir nie träumen lassen, dass man gesund zu einem Spiel hinfährt und binnen 24 Stunden eine so hohe Infektionskette hat."
Das war passiert: Die Füchse ließen am Samstag vor dem angesetzten Auswärtsspiel bei den Rhein-Neckar Löwen Schnelltestungen durchführen – aber nicht nur, weil das Land Baden-Württemberg dies in seiner aktuellen Corona-Schutzverordnung vorschreibt. Im Laufe des Tages hatten sich mehrere Spieler „unwohl" gefühlt, wie der club mitteilte. Nach Auswertung der Tests lautete das bittere Ergebnis: Sieben Spieler waren positiv. Als Konsequenz begab sich das komplette Team nach Rücksprache mit Prof. Dr. med. Bernd Wolfahrt von der Berliner Charité in häusliche Quarantäne.
Ärger auf die Liga-Verantwortlichen
Das Ligaspiel bei den Löwen sowie das European-League-Rückspiel bei Pfadi Winterthur wurden auf zunächst unbestimmte Zeit verschoben. Doch beim Heimspiel gegen den HSV Hamburg mussten die stark dezimierten Füchse trotz der Ausfälle von insgesamt zehn Profis antreten. Einen Antrag auf Spielverlegung lehnte die HBL ebenso ab wie den Einspruch der Berliner. „Kampflos werden wir uns nicht ergeben", versprach Hanning. Der Kader wurde mit Jungfüchsen und Spielern der zweiten Mannschaft aufgefüllt – und am Ende reichte es für einen 34:30-Erfolg. „Ich bin überglücklich, dass wir das mit dieser Aufstellung gemeistert haben", sagte Trainer Jaron Siewert.
Der Ärger auf die Liga-Verantwortlichen war trotzdem groß. „Euer Ernst?", twitterte Sportvorstand Stefan Kretzschmar: „Das ist eure Entscheidung? Ohne zehn Spieler ‚dürfen‘ wir am Sonntag gegen Hamburg spielen? Interessant. Motto: ‚Wir statuieren ein Exempel‘? Da fällt mir gerade nichts mehr ein und mir fehlt ‚ein wenig‘ die Verhältnismäßigkeit." Der frühere Weltklasse-Handballer dankte ohne jede Ironie den Hamburgern, „die hätten aus Fairnessgründen einer Verlegung nämlich zugestimmt". In der Diskussion brachte er sogar sein eigenes Comeback ins Gespräch – doch das war natürlich nicht ernst gemeint, wie der Hashtag #galgenhumor verriet.
Kretzschmars Kommentar wurde tausendfach gelikt und diskutiert, auch Ex-Fuchs Silvio Heinevetter mischte sich ein („Zweierlei Maß"). HBL-Geschäftsführer Frank Bohmann sah sich sogar dazu veranlasst, auf Instagram eine Antwort an Kretzschmar und indirekt an alle Handball-Fans zu verfassen: „Du kennst das Thema, und populäre Postings können die Regeln, denen Ihr zugestimmt habt, auch nicht ändern. Hier sind alle gleichermaßen zu behandeln, auch wenn Berlin besonders schillernde Manager hat."
Die Situation ist auch deshalb so ärgerlich, weil der Club für den 8. Dezember eine Booster-Impfung für die Spieler arrangiert hatte. Um wen es sich bei den Infizierten handelt, gab der Club auf persönlichen Wunsch der Spieler nicht bekannt. Allerdings versahen die Füchse die entsprechende Mitteilung mit dem wichtigen Hinweis: „Alle Spieler und Verantwortliche der Füchse Berlin sind mindestens doppelt gegen Covid-19 geimpft." Die Verläufe seien „unterschiedlich", verriet Hanning, aber aufgrund der Impfungen glücklicherweise „nicht schwerwiegender".
Jaron Siewert war in den ersten Testungen nicht direkt vom Virus betroffen, trotzdem setzte die Situation dem Trainer arg zu. Er versuchte sich in den eigenen vier Wänden, auch aus Schutz von Freundin Nina und dem zweijährigen Sohn Emil so gut es geht zu isolieren. „Unser Sohn geht gerade nicht in die Kita, ich habe eine soziale Verantwortung, will nicht noch eine Infektionskette lostreten", sagte der 27-Jährige der B.Z. Aus Trainersicht blieb Siewert zunächst nichts anderes übrig, als mit den gesunden Profis wieder auf das Video-Coaching zurückzugreifen, das sich schon in der vorherigen Team-Quarantäne bewährt hatte. „Da haben wir gute Erfahrungen im letzten Jahr gemacht", sagte er. Wann Siewert wieder alle Profis zum normalen Trainings- und Spielbetrieb bitten kann, war zunächst offen. „Selbst, wenn wir bisher milde Verläufe haben, kann ich gar nicht abschätzen, wann ich wen wieder einsetzen kann", so Siewert, der auch vor einem „Von-Null-auf-Hundert"-Restart warnte: „Ich rechne nicht damit, dass nach der Quarantäne alle sofort fit sind, da müssen wir sehr vorsichtig sein. Mir fehlt die halbe Mannschaft."
Trotzdem sind die Füchse jetzt wieder zurück auf dem Parkett, und ihnen steht ein Marathon-Programm bevor. Der Terminkalender ist auch ohne Nachholspiele eng getaktet, mit den Extra-Partien droht eine Überbelastung. „Für uns ist es nicht ganz so dramatisch, da wir nur in der Liga spielen", sagte HSV-Geschäftsführer Sebastian Frecke. Für international startende Teams wie Berlin bedeutet so eine Situation einen enormen Kraftakt – und eine Wettbewerbsverzerrung. Zumindest lassen sich Kretzschmars klare Worte so deuten.
Appell an die Politik
Verglichen mit den Problemen der Kinder und Jugendlichen in der Pandemie sind die Sorgen der Proficlubs aber noch harmlos, findet Hanning. Der Geschäftsführer der Füchse hat in einem Gastbeitrag für den Tagesspiegel einen eindringlichen Appell an die Politik gerichtet und vor einem erneuten Lockdown für diese Altersgruppe gewarnt. „Schließt Fußballstadien und Weihnachtsmärkte, sagt Konzerte und Weihnachtsfeiern ab, aber lasst die Kinder und Jugendlichen dieses Mal in Frieden", schrieb Hanning: „Vieles kannst du mit Geld retten – die Jugend nicht."
Hanning engagiert sich seit vielen Jahren im Nachwuchssport und erlebte hautnah die Folgen des ersten Lockdowns an der Basis mit. Die Sporthallen für den Kinder- und Jugendsport wieder abzuschließen, dürfe diesmal keine Option sein, so Hanning, „lieber sollten wir den Spielbetrieb in den Profiligen einstellen", sollte sich die Coronalage weiter verschlechtern. „Ich würde eher die Meisterschaft und die Champions League opfern, als die Jugendligen wieder dauerhaft auszusetzen", meinte der 53-Jährige.
Schon jetzt sei die Lage „dramatisch", Jugendmannschaften würden reihenweise abgemeldet werden, weil „wir gerade Tausende von Mitgliedern verlieren". Hanning sorgt sich um den fehlenden Bewegungsmangel und den Mangel an sozialer Teilhabe einer ganzen Generation. Es stehe „die körperliche und seelische Gesundheit von Millionen Kindern und Jugendlichen auf dem Spiel".
Verglichen dazu ist ein Heimspiel gegen den eigenen Willen, weil zehn Profis fehlen, tatsächlich nur ein kleines Problem.