Die Parlamente aufmischen und vielfältiger machen – das möchte die Initiative „Brand New Bundestag". Drei Kandidaten sind bereits auch mit ihrer Hilfe 2021 in den Bundestag gewählt worden, zehn hatte sie unterstützt.
Sie wollen, dass der Bundestag und auch die Landtage diverser werden, also vielfältiger, und nicht mit noch mehr Beamten, Juristen und Lehrern besetzt. Sie unterstützen gezielt Kandidaten, die sie für progressiv halten. – Die Initiative „Brand New Bundestag" mischt sich ein. Sie möchte den Kandidaten, für die sie sich einsetzt, möglichst die Ochsentour durch die Parteigremien ersparen, sie möchte ihnen Wege ebnen, die sie sonst nicht haben. „Eine alleinerziehende Mutter, die sich für ein Bundestagsmandat interessiert, kann garantiert nicht so viele Abendtermine wahrnehmen und Hände schütteln wie ein 40-jähriger Rechtsanwalt. Ihr wollen wir helfen, damit sie eine Chance hat", sagt Samuel Brielmaier, Marketing Koordinator bei der Initiative, die als Genossenschaft firmiert.
„Brand New Bundestag" (BNB) wurde 2019 von Eva-Maria Thurnhofer, Maximilian Oehl und Daniel Veldhoen nach einem USA-Besuch gegründet. Sie sahen eine Netflix-Doku über „Brand New Congress", eine linke, progressive Initiative, die Quereinsteiger in den Kongress bringt. Zusammen mit „Justice Democrats" hat sie es dort geschafft, Kandidaten, die nicht unbedingt den klassischen Weg einer Politikkarriere gegangen sind, in das Repräsentantenhaus zu wählen. Ihre prominenteste Kandidatin ist Alexandria Ocasio-Cortez (AOC), die es bei den Demokraten zu einiger Berühmtheit gebracht hat.
Parteizugehörigkeit ist nicht wichtig
Den Dreien ist klar: So etwas brauchen wir auch in Deutschland. Obwohl das Wahlsystem sich grundlegend von dem der USA unterscheidet: In den USA reicht es, sich zu den Vorwahlen (den Primaries) anzumelden, in Deutschland braucht ein Bewerber Unterschriften, möglichst die Unterstützung durch eine Partei und einen Platz auf einer Wahlliste. Doch genau dabei will BNB aktiv helfen, damit auch Unerfahrene durchkommen.
Bei den Kandidaten, die sie unterstützen, ist es egal, ob sie parteiunabhängig sind oder einer angehören, wobei Grüne, Linke und SPD als eher progressiv gelten. Nach Ansicht von BNB fühlen sich viele Menschen von der Politik nicht mehr repräsentiert und wahrgenommen. „Unsere Gesellschaft wird immer diverser, unsere Parlamente jedoch nicht. Gerade der Bundestag ist oft mehr mit dem Erhalt des Status quo beschäftigt, anstatt die rapiden gesellschaftlichen Veränderungen aufzugreifen und mit mutigen Entscheidungen die Zukunft zu gestalten. Bei vielen Menschen führt dies zu einer wachsenden Politikverdrossenheit. Dabei mangelt es nicht an Menschen, die politisch denken und sich engagieren. Der Politik mangelt es an breiten Bewegungen und neuen Perspektiven" , schreibt die Initiative auf ihrer Webseite.
BNB versteht sich als Antwort auf dieses Problem. Die Initiative will ein Bindeglied zwischen engagierter Zivilgesellschaft und institutionalisierter Politik sein, eine offene Bewegung, die „aktiv verschiedene Teile unserer Gesellschaft einbinden und Diversität fördern will". Progressiv heißt für BNB: der Einsatz für die Einhaltung des 1,5 Grad-Klimaziels, soziale Gerechtigkeit und ein vereintes Europa. In ihrem Programm steht: „Wir verstehen progressive Politik als zukunftsfähige Politik, ohne dabei Parteien zu bevorzugen. Wenn eine Gesellschaft zukunftsfähig aufgestellt werden soll, ist es klar, dass dann auch die Voraussetzungen geschaffen werden müssen, damit junge Menschen und die Kinder der Zukunft auch noch lebenswerte Lebensbedingungen vorfinden. Das bedeutet definitiv auch, dass die Stimmen der jungen Generation mehr gehört werden müssen. Vor allem unter dem Aspekt, dass der Großteil der Wählerschaft über 50 Jahre alt ist." Ihnen ist also durchaus bewusst, dass bei Wahlen in Deutschland durchweg die ältere Generation die Mehrzahl der Wähler stellt.
Eine Jury wählt die Kandidaten aus
Bei der Bundestagswahl 2021 und der Wahl zum Abgeordnetenhaus von Berlin 2021 trat die Initiative das erste Mal öffentlich in Erscheinung. Zehn Kandidaten für den Bundestag und einen für die Berliner Abgeordnetenhauswahl standen auf ihrer Liste. Drei, die ohne sie vielleicht nicht durchgekommen wären, haben dabei erfolgreich den Sprung ins Parlament geschafft: Rasha Nasr und Armand Zorn für die SPD, Kassem Taher Saleh für die Grünen. Der Berliner Kandidat kam nicht durch. Geholfen hat BNB ihnen in jedem Fall, sich gegen die Platzhirsche in der eigenen Partei durchzusetzen. Armand Zorn gewann einen Frankfurter Wahlkreis gegen den favorisierten CDU-Kandidaten. Er stammt aus Kamerun, hat Politik- und Verwaltungswissenschaft studiert und ist Unternehmensberater. Rasha Nasr zieht als erste Person mit Migrationshintergrund für die SPD Sachsen in den Bundestag ein. Sie kam über einen aussichtsreichen Listenplatz ins Parlament. Nasr ist Migrationsexpertin und arbeitet bei der SPD Dresden. Nasrs Eltern wanderten 1986 aus Syrien ein. Kassem Taher Saleh errang den vierten Platz auf der sächsischen Landesliste der Grünen. Es ist seine erste Wahl überhaupt, er hat erst seit 2018 die deutsche Staatsbürgerschaft. 2002 kamen er und seine Familie als Flüchtlinge ins sächsische Plauen. Kassem ist studierter Bauingenieur.
„Als wir anfingen, haben wir gesagt, wir wären zufrieden, wenn wir mit einer Person reinkommen. Es ist unglaublich, dass es drei geworden sind", erklärte Mitbegründer Oehl nach der Wahl. Die Menschen, die sie unterstützen, werden sorgfältig ausgewählt, erklärt Samuel Brielmaier. Wer sich bei der Initiative meldet oder vorgeschlagen wird, muss sich regelrecht bewerben, ein Interview und ein Auswahlgespräch bestehen und sich einer Jury stellen, die aus west- und ostdeutschen Journalisten und Aktivisten besteht. Wer ausgesucht wurde, dem steht ein breites Angebot an Unterstützung zur Verfügung: strategische Beratung, Rhetorik, Reden schreiben, Workshops, Interviewtraining und finanzielle Mittel aus Crowdfunding. „Fördermitglieder, Spenden, Stiftungen helfen uns mit Geldern aus", erläutert Samuel Brielmaier. Beim Bundestagswahlkampf hatte BNB rund 200 ehrenamtliche Helfer." Sie sind nicht alle geblieben, aber für die drei Landtagswahlen im Saarland, Schleswig-Holstein und in Nordrhein-Westfalen 2022, bei denen BNB mitmischt, seien bereits 50 gemeldet. Wer kandidiert, ist noch geheim.