Im „Café Wintergarten" neben dem Varieté bringt Chefkoch Thomas Figovc seit Juni die hauseigene Gastronomie mit internationalen Schmankerln, besonderen Produkten und verfeinerten Klassikern aus seiner Heimat in Schwung.
Dass der „Wintergarten" an der Potsdamer Straße seit Jahrzehnten ein Ort des qualifizierten Amüsements und der Revuen mit Roaring-Twenties-Touch ist, wissen die meisten Hiesigen und Berlin-Besucher. Dass gleich neben dem Eingang sich mit dem „Café Wintergarten" ein vollgültiges gastronomisches Angebot etabliert hat, spricht sich dagegen gerade erst herum.
Der Besuch des Spiegelsalons, in dem Frühstück, Lunch und Dinner serviert werden, ist immer unabhängig vom Vorstellungsbesuch möglich. Pandemiebedingt ist das „Café Wintergarten" derzeit ausschließlich durchs Foyer betretbar. Wer im Art-déco-inspirierten Ambiente unterm imposanten Swarovski-Kristalllüster Platz nimmt, bekommt eine kulinarische Vorstellung, die Chefkoch Thomas Figovc mit seinem Team inszeniert hat, auf die Teller und Etageren.
Figovc, den alle der Einfachheit halber „Chef Thomas" nennen, lenkt die gastronomischen Geschicke vom Café-Betrieb über das Künstlercatering bis zum Theater-Dinner. „Durch die Pandemie bin ich nach Berlin zurückgekehrt", sagt der gebürtige Österreicher, der bereits vor 20 Jahren an der Eröffnung des „Adlon" mitwirkte und anschließend weltweit in Spitzenhotels kochte. Das Österreichische ist seine ganz persönliche Note, die er in die Karte einbringt. Von grundsätzlich erst einmal gar nicht so österreichischen Eggs Benedict bis Blaubeer-Kaiserschmarrn reicht das Spektrum.
Ich bleibe bei unserem Frühstücksbesuch an etwas anderem hängen: Was ist mit diesen superzarten, rohen Thunfischstücken los? Eine spürbare, aber nicht übergriffige Schärfe züngelt mich an. Kurz danach schalten die Geschmacksrezeptoren zurück aufs Produkt und registrieren: Avocado, Trüffel, Daikon-Rettich, Limettenöl und Saiblingskaviar. Es ist Cajun-Pulver, verrät Thomas Figovc, „das mexikanische Grillgewürz" auf Basis von schwarzem Pfeffer, Paprika, Zwiebeln und Knoblauch. Der Thun wurde mit dem Brenner abgeflämmt: „Der sieht gar keinen Herd." Wer auf der „Fluss & Meer"-Frühstücksetagere damit weltläufig angefüttert wurde und mehr möchte: Bitteschön, den „Cajun Thunfisch" gibt’s auch als eigenständigen Teller. Er steht, streng genommen, nicht auf der Frühstückskarte, die wochentags bis 12 Uhr und am Wochenende bis 14 Uhr gilt. Die reguläre Karte schließt dann erst an. Aber: „Wir sind ja da und machen das dann fertig." „Side oder Solo" heißt eine Rubrik beim Frühstück. Die Eggs Benedict auf Vollkornbrot eignen sich als Einzelgericht oder Zugabe zum Teilen. Sie werden mit Sauce Hollandaise und Spinat plus Grillgemüse serviert. Österreichische Kernigkeit rulez!
Vegetarisches „Aktiv und Gesund"-Frühstück
Thomas Figovc sammelte vor seinem Start in Berlin auf einer Reise durch das Kärntner Jauntal, das Lavanttal und die Südsteiermark besondere Produkte für das „Café Wintergarten". „Ich möchte Produkte anbieten, die hier sonst keiner hat." Naturprodukte wie der Kürbiskernlikör aus seiner Heimat Unterkärnten, „aus einer Region, in der Luft und Wasser verschmutzungsfrei sind", seien wahrer Luxus. Den sämigen grünen Likör mit fein gehackten Kernen stellt ein Bauer vor Ort her: „Der kümmert sich nicht groß um Marketing. Der macht gerade mal 500 Flaschen im Jahr. Davon nehmen wir jetzt schon 200." Wahrscheinlich werden es bald schon mehr sein, denn der Likör wurde zum Gäste-Liebling im „Café Wintergarten". Die touristisch unterentwickelte Region an der slowenischen Grenze verdiene es, bekannter zu werden: „Da gibt’s gute Produkte und ehrliche Leute", sagt Figovc über seine Heimat. „Ich bin nur ein Türöffner." Wir ordern zu einer mediterranen Frühstücksetagere mit italienischen und französischen Käse-Sorten von Reblochon bis Trüffel-Pecorino einen Teller Spinatknödel als „Side" hinzu. Die flachen „Buletten" auf der Basis von Kaspressknödel mit Quark, Taleggio und Tiroler Bergkäse werden mit Waldpilzgulasch und gebratenen Steinpilzen gereicht. Eine Liptauer Creme „mit einer eigens für uns hergestellten Gewürzmischung" schiebt mit würziger Extra-Cremigkeit nach. Köstliches Zeug und einen Besuch auch an jedem anderen Tag und zu jeder anderen Uhrzeit wert!
Eine „Steirische Gemüse-Ritschert", die bei den Hauptgängen und mit dem Label „Vegan" versehen auf der Karte steht, vereint Getreide, Gemüse und Ansprüche zeitgenössischer Küche in sich: Der Eintopf auf Perlgraupen- und Roter-Quinoa-Basis kommt mit Wurzelgemüse, warm gerösteten Sonnenblumenkernen, Räuchertofu und Bergkräutern daher. Ob Chef Thomas das vollmundige, kalt gepresste Sonnenblumenöl mit den ganzen Kernen dafür verwendet, das er ebenfalls aus Österreich mitbrachte? Wir werden es bei einem nächsten Besuch ausprobieren und herausfinden. Sämtliche Teller sind fair bepreist: Vegetarisches startet mit elf Euro, ein „Gentlemen’s Cut" vom Uckermärker Rinderfilet kommt mit 240 Gramm auf angemessene 32 Euro. Die Frühstücke liegen je nach Üppigkeit bei etwa sieben bis 17 Euro pro Nase – die Etageren sind immer für zwei Personen gedacht. Wir nehmen das Österreichische, „wie’s nicht jeder kennt", gern gezielt in den Blick. Ein Kaiserschmarrn muss unbedingt sein! „Der ist kein ganz normaler", kündigt Chef Thomas an. „Wir haben ihn mit Blaubeeren verfeinert." Tatsächlich, ein ungewohnt dunkler Schmarrn mit Früchtchen inside lockt unterm Puderzucker-Schneehauch zum Weggabeln. Der klassische Zwetschgenröster wurde für uns durch ein hausgemachtes Holunderbeerkompott, auf dem eine Kugel Vanilleeis thront, ersetzt. Die zarte Herbheit der schwarzen Beeren wird durch mitgekochte Pflaumen, Zucker und Zimt gefällig ergänzt. Freunde der österreichischen Mehlspeisen, nehmt dies! Oder alternativ einen Buchweizen-Palatschinken mit Preiselbeeren, Vanilleeis und einer Quark-Liaison.
„Es muss schmecken und nicht fancy sein"
Es geht aber auch ganz anders im „Café Wintergarten": Beim vegetarischen „Aktiv und Gesund"-Frühstück kommen neben Avocado-Toast, Gemüsesticks und Joghurt mit Früchten auch Mandelmilch-Porridge, hausgemachtes Granola und einer der drei frischen Smoothies nach Wahl auf den Tisch. So einen Rote-Bete-Apfel-Smoothie habe ich als Getränk gewählt. Er ist fein-sämig, nicht zu sättigend und nicht zu süß. Es bleibt noch Platz für einen Bissen vom Croissant oder vom Miniatur-Käse-Körner-Brötchen zu Prosciutto, Parmaschinken oder Bresaola. Der Brotkorb wird von Lindner Esskultur bestückt. Die Butter stammt selbstredend ebenso von „Butter Lindner", dito die Törtchen, die sich in der Vitrine zum gepflegten Konditern anbieten. Ein Gläschen Kürbiskern-Likör dazu gefällig?
Neuigkeiten und Überraschungen sind im „Café Wintergarten" gleichermaßen gefragt wie Bewährtes und Vertrautes. Die Gäste sind gemischt, ebenso ihre Vorlieben und Zeitfenster. Die einen kommen zum Lunch aus den umliegenden Büros. Auf der Mittagskarte stehen täglich je ein Gericht mit Fleisch und ein vegetarisches für acht oder sieben Euro zur Auswahl. Darf es ein rosa Roastbeef mit Remouladencreme und Bratkartoffeln sein oder lieber Quinoa-Laibchen mit salzigen Brotbröseln und Grillgemüse? Klingt alles gut und wird fix aufgetragen. Wer nachbestellen oder zahlen will, hat Spaß mit einem Gadget auf dem Tisch: Der Service wird per Knopfdruck über ein Klingel-Kästchen herbeigefunkt.
Zu den Vorstellungen sind die Gäste und ihre Geschmäcker sehr gemischt. Wer Gutbürgerliches schätzt, möchte ebenso abgeholt werden wie die Künstler, die überwiegend vegetarisch essen wollen. Demnächst kocht Thomas Figovc mit seinem Landsmann Johann Lafer: Am 31. Januar und 2. Februar 2022 heißt es „Lafer Live Genießen". „Johann Lafer wird auf der Bühne für einen sein Gourmet-Menü kochen", sagt Chef Thomas. „Und wir haben einen großen Bildschirm in der Küche und kochen dasselbe parallel für 300 Leute."
Ganz gleich in welchem Setting – Hauptsache ist und bleibt, dass jeder den „Wintergarten" glücklich und zufrieden verlässt, sagt Figovc: „Es ist mir wichtig, dass es richtig gut schmeckt. Dafür muss es nicht fancy sein."