Der Tierschutzverein für Berlin (TVB) feierte in diesem Jahr seinen 180. Geburtstag und ist einer der ältesten in Deutschland. Angefangen hat alles mit einem Pferd.
Es hört sich fast wie ein Märchen an. Ein sehr langes mit vielen schönen und tragischen Geschichten rund um eine große Liebe – die zwischen Mensch und Tier. Die Energie, die Berliner Tierschützer zum Wohle der Vier, Zwei- und manchmal auch Drei-Beiner über viele Jahrzehnte aufgebracht haben, ist ungebrochen. Die Gründung des Tierschutzvereins für Berlin geht auf den evangelischen Pfarrer Albert Knapp (1798–1864) zurück, der die Notwendigkeit eines Vereins zum Schutz der Tiere mit christlichen Werten begründete.
Preußischer Beamter engagierte sich
In Berlin nahm an einem Sommertag des Jahres 1841 die Geschichte des institutionalisierten Berliner Tierschutzes durch ein Pferd seinen nun fast zwei Jahrhunderte andauernden und alle Kriege und Krisen überdauernden Lauf. Als der preußische Beamte C. J. Gerlach auf dem Berliner Mühlendamm Zeuge wurde, wie ein Kutscher sein Pferd brutal verprügelte, waren er und Passanten zwar zur Stelle, aber ohne entsprechende Paragrafen im preußischen Strafgesetz kam der Kutscher ungestraft davon. Gerlach gründete daraufhin eine „Vereinigung zum Schutz der Tiere". 1851 wurde diese im Preußischen Strafgesetzbuch mit der obersten Prämisse „Grausamkeiten gegen Tiere mit allen zu Geboten stehenden Mitteln zu verhindern" aufgenommen. Seit dem 18. August 1872 hieß der Verein „Deutscher Tierschutzverein zu Berlin". Im gleichen Zuge bekam er die Corporationsrechte durch Kaiser Wilhelm I. verliehen. Die Mitgliederzahl stieg stetig. 1894 wurden die ersten sogenannten Straßeninspektoren eingestellt, die Kettenhunde befreiten, geschundene Zugpferde retteten und Aufklärungsarbeit zur richtigen Tierhaltung betrieben. Bis in die 30er- Jahre hielt man sich Kühe, Schweine und Hühner auf den Hinterhöfen in Remisen. Auch Hunde wurden vor kleine Wagen gespannt, um Milchkannen oder Kartoffeln zu transportieren. Die Liebe zu Tieren als Haus- und nicht nur als Nutztier begann geschichtlich im Zuge der Industrialisierung, als immer mehr Menschen vom Land in die Städte zogen. Für den Deutschen Tierschutzverein zu Berlin, den Vorgänger des TVB, ermöglichte das großzügige Vermächtnis des Restaurators Moore 1898 von 60.000 Mark (400.000 Euro) eine Verortung. Für 45.000 Mark erstand der Verein ein brachliegendes Grundstück in der Dessauerstraße in Lankwitz und weitere 100.000 Mark flossen in den Aufbau des modernsten und großflächigsten Tierheims seiner Zeit. Am 22. Juni 1901 eröffnete das tierische Ersatz-Zuhause auf Zeit seine Tore. Neben einer modernen Tierarztpraxis bot die Einrichtung eine Pension für Privattiere und eine Art Hunde-Salon. Vom Krallenschneiden über Entlausung, Vollbäder mit Fell-Föhnen bis zur Höhensonne wurden die Hunde rundum versorgt. Rund 12.000 Mitglieder machten die Lankwitzer Stätte bald zum staatlich finanziell unabhängigen Verein. Gutes Wirtschaften und der unermüdliche Einsatz von Belegschaft und Vorständen retteten das durchgängig geöffnete Tierheim Lankwitz durch den Ersten Weltkrieg, die Inflation und die Jahre des Hungers. Durch großzügige Spenden gab es 1929 sogar eine Premiere, bei der nun auch Katzen in einem Tierheim in größeren Gruppen gehalten werden konnten: 80 geräumige Boxen mit Ausläufen werden eingeweiht. Zur gleichen Zeit gründeten sich erste Schuljugendgruppen. Viele Kinder aus der Nachbarschaft halfen regelmäßig aus, säuberten Gehege, spielten mit Katzen, gingen mit Hunden Gassi und versorgten die Ponys. Es war lange die einzige Möglichkeit, mit Tieren in Kontakt zu kommen. Auch den Zweiten Weltkrieg überlebt die Daueranlaufstelle für in Not geratene Tiere. Das erste Reichstierschutzgesetz von 1933 sollte schließlich als erstes deutsches Verfassungsgesetz zum Schutz von Tieren beschlossen werden. Im Kontext der NS-Ideologie eine ambivalente Situation, die in den TVB-Chronologien ausführlich erklärt wird.
Erste Spendenfeste und Tierdemos
1943 wird das Tierheim in einer einzigen Bombennacht zerstört. Viele Tiere werden von den Helfern aus den Trümmern der Stadt geborgen, andere nicht nur amtlich gejagt: In den Straßen irrten an die 40.000 Ruinenkatzen umher. Der Hunger förderte das Skrupellose. Herumstreunende Hunde wurden getötet, ihr Fleisch – als Hammel deklariert – auf dem Schwarzmarkt verkauft. Auch nach dem Krieg kümmerte sich der Verein um ihren Schutz und eine gerechte Futterverteilung. Bereits 1949 konnte das Tierheim bis in die erste Hälfte der 1950er-Jahre hinein für 16 Millionen Mark vollständig neu aufgebaut werden, inklusive technischer Neuerungen für die Tierpflege, wie zum Beispiel spezielle Floh(staub)sauger gegen lästige Fellparasiten. Von der Kriegszeit blieben die wichtigen Tierschutzgesetze. Lankwitz sollte 100 Jahre Homebase bleiben, denn es kam Erna Graff. Ihre Lebensaufgabe widmete die ehemalige, resolute Opernsängerin bis in die 80er-Jahre als Vereinspräsidentin und Tierheimleiterin dem Tierschutz. Gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten Herbert Kramer sollte sie durch ein gutes Gespür für Öffentlichkeitsarbeit und Werbung den Tierschutz publik machen. Erste Spendenfeste, Führungen und kleine Tierdemos quer durch Berlin wurden zur festen Instanz. Stadtbekannte Prominenz wie Brigitte Mira, Paul Hörbiger oder Bürgermeister Willy Brandt unterstützten medienwirksam. In den exaltierten 60ern war das Halten exotischer Tiere – ob im Zirkus oder als „Deko" in Wohnzimmern – in Mode und in den Fokus der Tierschützer gekommen. Auch Massentierhaltung fand in Berlin ihren Anfang und sofortige Gegner: Die bis dato größte Legebatterie Europas befand sich 1967 mit 150.000 Hennen in einem zehnstöckigen Hochhaus mitten in Neukölln. Ein Anbau sollte die Kapazität auf 250.000 erweitern. Dank der Proteste wurde 1972 der Betrieb eingestellt. Als am 9. November 1989 die Mauer fällt, vermittelt das Heim 6.000 arbeitslose Mauerhunde. Nach Zusammenlegung mit dem Deutschen Tierschutzbund und dem Ostberliner Tierheim wird es eng in Lankwitz.
Tierschutzakademie für Kinder
2001 zieht das tierische Konglomerat in den Nordosten Berlins, nach Falkenberg. Eine ehemalige Schweinemastanlage transformiert sich in einen Ort lebenserhaltender Fürsorge für aktuell 1.300 Tiere. Mit seinen 16 Hektar ist es das größte und modernste Tierheim Europas mit eigenem Friedhof. Der Tierschutzverein für Berlin überlebte bis heute ausschließlich durch Bürgerengagement – Spenden, Nachlässe und Mitgliedsbeiträge. Viele Brücken wurden von früher ins Heute gebaut. Der unermüdliche Einsatz für eine Katzenschutzverordnung in Berlin geht bis in die Nachkriegszeit zurück. Nach einem zähen Ringen mit dem Gesetzgeber wurde die Berliner Katzenschutzverordnung erst 2021 endgültig durchgesetzt. Künftig müssen alle Freigänger-Katzen, die älter als fünf Monate sind, kastriert oder sterilisiert sein. Außerdem werden ein implantierter Mikrochip sowie die Registrierung des Chips zusammen mit den Halterdaten für freilaufende Katzen verpflichtend. Berlin hat aktuell 245 Futterstellen für streunende Katzen. Die enorme Nachfrage nach kleinen Haustieren hat durch Corona nicht nur viele Tierrückgaben (Kaninchenwelle) sowie unseriöse Hobby-Züchter auf den Plan gerufen, sondern auch dem illegalen, skrupellosen Welpenhandel erneuten Aufwind gegeben. Das Tierheim hat dieses Jahr wieder eine große Aufklärungskampagne gestartet. In Berlin ist es gesetzlich vorgeschrieben, dass Hunde, die jünger als ein Jahr sind, nur noch von sachkundigen Personen erworben werden dürfen. „Das Tierschutzkapitel bietet einen guten Ansatz, um in den nächsten Jahren Tierschutz in Berlin politisch zu stärken und voranzubringen. Einige unserer Forderungen, wie finanzielle Wertschätzung unserer Arbeit, Schaffung von Hundefreilaufflächen sowie ein Ausstiegsfahrplan aus Tierversuchen wurden darin berücksichtigt." Ganz oben stehe auch die „Abschaffung der Rasseliste", erklärt Eva Rönspieß, Vorstandsvorsitzende des TVB. Sybille Weigel, die in ihrem 41. Jahr die Dienstälteste im TVB ist und seit 1991 täglich die „Wortlosen" mit ihren 1.001 hochemotionalen Geschichten und Schicksalen in der Amtlichen Tiersammelstelle mit ganzem Herzen und einem ungebremsten Verantwortungsgefühl empfängt, wünscht sich einen gesunden und nicht fanatischen und oft denunzierenden Umgang mit den Tierbesitzern, die häufig durch widrige Lebensumstände ihre Lieblinge abgeben müssen. Das Schönste sei die Dankbarkeit in den Augen der Tiere zu sehen, ihre pure Freude am Leben zu sein. Ein Tier sei nun mal der treueste und ehrlichste Freund, aber auch ein Spiegelbild des Menschen. Nach Corona wird das Tierheim seine Öffnungszeiten reduzieren und den Fokus noch stärker auf die reine Beratung und Vermittlung setzen. „Das Tierheim ist kein Ausflugsort oder Zoo zum Durchschlendern. Der Krankenstand ist seit der auferlegten Corona-Ruhe deutlich gesunken. Viele digitale Angebote sind seitdem ins Leben gerufen worden. Die Online-Tierschutzakademie für Kinder hat just den Jugendpreis des Berliner Tierschutzpreises 2021 gewonnen." Annette Rost, Leiterin Marketing und Kommunikation, freut sich, wenn 2022 endlich wieder das große Tierschutz-Festival stattfinden wird und damit auch das Nachfeiern der Geschichte einer großen Berliner Tierliebe.