Auf dem Erlebnishof Gerhardsbrunn finden ungewollte und gerettete Tiere ein sicheres Zuhause und spenden Besuchern Freude und manchmal auch Lebensmut. Ingmar Meth und Janne Bach haben den Hof ins Leben gerufen und mit vielen freiwilligen Helfern eine Oase geschaffen.
Es ist ein kalter, trüber Novembertag auf dem Erlebnishof in Gerhardsbrunn. Definitiv kein Wetter für Waschbären. Jochen und sein Kumpel Specki Chan haben sich tief in ihre Schlafhöhle oben im Baum eingegraben und würdigen uns keines Blickes, als wir das Gehege betreten.
Ingmar Meth versucht es trotzdem, steigt auf die Leiter und wirft eine Nuss nach der anderen nach oben, um die kleinen Bären rauszulocken. Jochen zeigt gerade mal seine runden Knopfaugen und die lustige Räubermaske. Etwas halbherzig versucht der Waschbär mit seinen kleinen Pfoten die Leckereien zu fangen. Zu mehr ist er heute nicht bereit. Ingmar lacht und lässt die putzigen Pelzknäuel weiterschlafen. Hier auf seinem Erlebnishof wird kein Tier zu irgendetwas gezwungen.
Vor rund drei Jahren hat der Homburger Tierarzt zusammen mit seinem Angestellten, dem Tierarzthelfer Janne Bach, den Hof ins Leben gerufen. „Ich wollte einen Ort schaffen, wo man Tieren hilft, die dann Menschen helfen". Inspiriert dazu hat ihn seine Mutter. „Sie wurde mit 42 Jahren überfahren, hatte ein schweres Schädel-Hirn-Trauma und seitdem kein Gedächtnis mehr", erzählt Ingmar. Der gebürtige Recklinghausener studiert zu der Zeit noch.
„Alle Tiere haben ein besonderes Schicksal"
Zusammen mit seiner Schwester sucht er für die Mutter etwas in Richtung tiergestützte Therapie. „Aber das gab es für diese Altersgruppe nicht." Ingmar nimmt seine Mutter bei sich auf und als er 2010 in einer Tierklinik im Saarland eine Stelle bekommt, nimmt er sie mit. Doch das angestellte Arbeitsverhältnis lässt wenig Flexibilität zu, macht es ihm schwer, für seine Mutter so da zu sein, wie er es sich vorstellt. Also macht Ingmar sich selbstständig, so kann er sich seine Zeit besser einteilen. Seine Gedanken kreisen weiterhin um die Idee eines Ortes für Menschen und Tiere. Als er schließlich den alten Bauernhof in dem idyllischen Örtchen Gerhardsbrunn, etwa 20 Autominuten von Homburg entfernt, entdeckt, ist der richtige Platz gefunden. Er holt Janne Bach mit ins Boot und gemeinsam machen sie sich ans Renovieren und Restaurieren, erschaffen aus dem alten Anwesen einen Platz für Tiere und Menschen. Und auch eine wunderbare Welt für Ingmars Mutter, die einen starken Bezug zu Tieren hat. Die mittlerweile 64-Jährige ist immer auf dem Hof dabei, sie strahlt, als sie uns begrüßt.
Mittlerweile haben rund 90 Tiere auf dem Erlebnishof ein Zuhause gefunden haben, die von Ingmar, Janne, seiner Freundin Sina und einigen freiwilligen Helfern, wie zum Beispiel den Nachbarskindern Lotta, neun Jahre, und Emely Müller, 13, versorgt werden.
Überhaupt sind es die Kinder, die Ingmar und Janne am Herzen liegen. Regelmäßig finden auf dem Hof Aktionen statt, es kommen verschiedene Gruppen zu Besuch. In der Beschäftigung mit Eseln, Pferden, Kühen, Schafen, Hasen, Hühnern, Waschbären, Katzen und Hunden werden viele Momente des Glücks und der Freude geschaffen.
Wie zum Beispiel heute. Trotz des nasskalten Wetters hat sich an einer Koppel unweit des Hofes eine bunte Schar von Kindern mit ihren Eltern eingefunden. Die Spannung unter den Kleinen ist groß, denn wie jeden Sonntag findet die Esel- und Pferdewanderung statt. Aufgeregt plappern die Kleinen durcheinander, können es kaum erwarten, dass die Tiere rausgebracht werden. Janne Bach verteilt Putzzeug, denn bevor es losgeht, sollen die Kinder die Esel und Ponys sauber machen. So nehmen sie erst mal Kontakt zu den Tieren auf und lernen, dass zur Tierliebe auch Pflege gehört. Die Vierbeiner genießen es sichtlich. Für die meisten hat sich hier ihr Leben schlagartig verbessert. Wie zum Beispiel für das kleine Shetlandpony Gerhard. Tierschützer konnten seinen früheren Besitzer mit viel gutem Zureden davon überzeugen, das Tier abzugeben. Der Mann hatte das Pony zehn Jahre in einem Verschlag gehalten, mit permanent an einen Pfosten angebundenen Beinen. „Wie ein Stück Müll in eine Box geparkt. Das Pony hatte noch nicht mal einen Namen", erzählt Ingmar und schüttelt den Kopf. Er nannte den Wallach Gerhard, nach Gerhardsbrunn. „Er war nie böse, scheu, er hat verstanden, dass es ihm nun besser geht."
Ein Renner unter den Angeboten des Hofs sind auch die Kindergeburtstage. Sehr bewegend sind zum Beispiel die Besuche der jungen Menschen aus den Behindertenwerkstätten, der Lebenshilfe und der SOS-Kinderdörfer. Janne Bach kümmert sich vor allem um diese Aktionen. „Unsere Tiere hier haben alle ein besonderes Schicksal, einige haben auch körperliche Defizite", erzählt der 22-jährige Tierarzthelfer. Wie zum Beispiel Ouzo, der dreibeinige Hund. Der freundliche schwarze Rüde lebte im Ausland und wurde dort von einem Auto überfahren. Nachdem die vorgesehene Adoptionsfamilie ihn nicht am Flughaben abholt, kommt er auf den Erlebnishof und ist geblieben.
„Gerade behinderte Menschen sehen, dass er auch mit drei Beinen glücklich ist und das Beste daraus macht. Das kommt sehr gut an." Auch junge Patienten aus der Kinder- und Jugendpsychiatrie in Homburg schauen regelmäßig vorbei und lernen von den tierischen Freunden. „Wenn man ihnen die schlimmen Geschichten der Tiere erzählt und dass die jetzt ein super Leben haben, dann merkt man den Kindern und Jugendlichen an, dass sie darüber nachdenken", sagt Janne.
Auch eine Pension für Katzen soll entstehen
Neben Ouzo leben noch drei andere Hunde auf dem Hof, die alle sehr freundlich und sichtlich begeistert die Besucher begrüßen. Wie zum Beispiel der Prager Rattler Putin. Der kleine Rüde musste viele Jahre eingesperrt in einem Hasenkäfig im Keller seiner früheren Besitzer leiden, durfte nur einmal die Woche auf die Wiese, wie Ingmar Meth erzählt. „Er musste erst mal lernen wie man läuft, und hatte überall blaue Flecken als er hier ankam." Großes Glück hatten auch Max und Moritz. Die beiden schönen Ardenner Wallache sind wahre Kolosse. Max hat rund 1,5 Tonnen Gewicht, Moritz bringt etwa eine Tonne auf die Waage. „Die laufen auch manchmal bei den Spaziergängen mit und lassen sich super von kleinen Kindern führen", erzählt Janne. „Die sind ganz cool, wenn ein kleines Kind danebensteht." Die beeindruckenden Kaltblüter wurden vor dem Schlachter gerettet und sind unzertrennlich. Auch auf den Kindergeburtstagen gehören sie zu einem der Highlights, wenn die Kleinen auf den sanften Riesen sitzen oder auf dem Rücken liegend herunterrutschen dürfen.
Für Ingmar und Janne ist auch Aufklärung sehr wichtig. „Wir stehen für Tierschutz, Nachhaltigkeit und bewusstes Leben." Die beiden Veganer wollen auch auf das Tierleid aufmerksam machen, das hinter der Fleisch- und Milchproduktion steht, aber ohne erhobenen Zeigefinger. Dabei müssen sie keine großen Vorträge halten. Die Kinder fragen oft schon von sich aus, warum Ingmar und Janne zum Beispiel keine Milch trinken. „Dann erklären wir, dass eine Kuh jedes Jahr ein Kalb braucht, um die Milch zu liefern." Auch die meisten Eltern wüssten das nicht. Viele dieser Kälber erleiden ein trauriges Schicksal, schon alleine dadurch, dass sie ihren Müttern meist schon nach ein paar Tagen weggenommen werden. Und die allermeisten der auf Hochleistung gezüchteten Milchkühe sind nach wenigen Jahren körperlich am Ende und landen dann auf dem Schlachthof. Auf die Frage, ob die Aufnahmekapazität für Tiere langsam erschöpft sei, führt Ingmar uns zu seinem neuesten Projekt. In einem Teil der alten Scheune des Hofes entsteht gerade eine Katzen-Auffangstation mit Behandlungszimmer. Auch eine Katzenpension ist in dem wunderschönen alten Gebäude geplant. Der junge Tierarzt macht dabei die Umbauarbeiten selbst, das Handwerkliche hat er sich nach und nach selbst beigebracht, erzählt er grinsend. Vor allem viele Katzenbabys wurden in den letzten Wochen aufgenommen, die meisten davon einfach ausgesetzt, viele in einem schlechten Zustand. Janne und seine Freundin Sina Regner, die beide auf dem Hof wohnen, kümmern sich um die kleinen Tiger. Einige kamen in einem erbärmlichen Zustand an, werden nun aufgepäppelt und dann hoffentlich in gute Hände vermittelt.
Wie kommt man mit all dem Tierleid klar? Ingmar überlegt kurz. „Eigentlich gut", sagt er dann. „Wir helfen ja. Und das Tier lebt immer nur im Hier und Jetzt. Und genießt dann jeden Tag und kann auch wieder befreit leben. Dann vergisst man auch selbst das Leid." Sie alle seien auch dankbar, mit Leid konfrontiert zu werden. „Es ist keine schöne heile Welt da draußen. Da weiß man, wie gut man es selbst hat." Man würde sich viel zu oft über Kleinigkeiten aufregen. „Aber man hat ein Dach über dem Kopf, genug zu essen, kann Tieren und Menschen helfen, hat Freunde. Mehr braucht man nicht. Dann ist man auch in der Lage, Leid zu ertragen. Und wenn man helfen kann, das belohnt auch immer wieder. Das gibt Kraft für die nächste Aktion."