Im Winter mit dem Postschiff die norwegische Küste entlangfahren, den Blick gerichtet auf Landschaften, die vom tiefen, weißen Schnee bedeckt sind. Einmal im Leben das Nordlicht sehen. Für viele Menschen ist das ein Traum und der Inbegriff eines idealen Winterurlaubs.
Seinen Traumjob hat er gefunden, auch noch nach acht Jahren, sagt Asbjørn Dalan, Kapitän der „Kong Harald". Rund 4.160 Kilometer sind es von Bergen nach Kirkenes und zurück. Angelaufen werden auf dieser Fahrt 34 Häfen, dabei ähnelt keiner dem anderen. Ein Wintermärchen mit Eis und Schnee, das im November beginnt und bis in den April hinein andauert. Reisen mit dem Postschiff gibt es darüber hinaus täglich und zu allen Jahreszeiten. Wenn man Glück hat, kreuzen Orca-Wale den Kurs.
Doch heute gibt es wieder einmal stürmisches Wetter mit meterhohen Wellen. „Das ist im Winter oft so, im Sommer ist es ruhiger", sagt der ehemalige Fischer. Seit 2000 arbeitet der 65-Jährige für Hurtigruten. Für viele sei diese Kreuzfahrt das Absolute, nämlich die „schönste Seereise der Welt". Eher leger geht es auf dem Schiff zu, die Mahlzeiten kann man auch in Jeans und Sportschuhen einnehmen. Überhaupt das Essen: ein Schlaraffenland. Nicht nur für Fisch- und Meeresfrüchteliebhaber. Denn auch die Desserts und Gerichte, vegetarische wie auch mit Fleisch, sind ein Gedicht.
Marco Voigtländer spielt heute den Postbeamten. Der Hotelchef der „Kong Harald" erfüllt den Wunsch vieler Passagiere und versieht Ansichtskarten mit dem besonderen Polarkreis-Stempel des Schiffes. In Jena zu Zeiten des Kalten Krieges aufgewachsen sei er schon immer interessiert an der Welt gewesen. Sein persönliches Abenteuer begann für ihn 2005. Durch einen glücklichen Zufall wurde er Expeditionsleiter auf der Hurtigruten-Antarktistour.
„Dazwischen arbeitete ich auf Grönland und war Reiseleiter auf den Postschiffen." Ab und zu besuche er noch Jena, doch heimisch sei er mittlerweile am Polarkreis geworden. Denn verheiratet ist er mit einer Norwegerin, die einst auf der Hurtigruten-Strecke seine Kollegin war. „In einem idyllischen Fjord haben wir uns ein altes Haus gekauft und renoviert", sagt der dreifache Vater. Sein Sohn ist gerade für ein paar Tage dabei, er freut sich immer, den Papa bei der Arbeit erleben zu dürfen.
Eine mythische Felseninsel
Am fünften Tag auf See taucht sie endlich am Horizont auf: die Eismeerkathedrale von Tromsø; als Leuchtturm der Stadt, für die Kirchengemeinde und für Reisende jenseits des Polarkreises.
Doch was will uns der bizarre Bau mitten in der Dunkelheit von Nordnorwegen mitteilen? Ist es ein Eisberg, der dargestellt werden soll, ein Zelt der Samen, gar ein Bootshaus oder ganz einfach ein nachgebildetes Trockengestell für Fische? Oder verweist er auf die mythische unbewohnte Felseninsel Håja draußen im Meer? Was hat den Architekten Jan Inge Hovig dazu bewogen, der Eismeerkathedrale diese besondere Form zu verleihen? Die auffällige Gestalt und gewagte Architektur führten sofort nach der Eröffnung 1965 zu ihrem besonderen Namen: Eismeerkathedrale. Eines der größten Glasmosaike Europas schmückt im Innenraum die Altarwand.
Während der nordwärts gehenden Reise legt das Postschiff am Kai von Tromsø an. Zeit für eine Stadtbesichtigung. Gemeinsam mit der Historikerin Gidsken Halland mache ich mich auf dem Weg zu dieser ganz besonderen Seemannskirche. Halland stellt mir die deutsche Kirchenmusikerin Linde Mothes vor, die hier seit elf Jahren Kantorin ist. „Mit der Anstellung habe ich beruflich einen Treffer gelandet. Nicht nur das Konzept der Kirche ist einzigartig, sondern auch die Architektur", sagt Mothes. „Für mich sind es Eisschollen, die sich aufeinanderschieben", erklärt die gebürtige Oranienburgerin. „Doch sind wir nicht frei, uns einfach vorzustellen, was wir gerne sehen möchten?"
Mitarbeiterin Åse Lindrupsen weist auf die unterschiedlichen Kunstausstellungen in der Kirche hin. „Wir bereiten lokalen Künstlern eine ideale Plattform", sagt die Gemeindehelferin. Sie deutet auf das prachtvolle 140 Quadratmeter große Mosaikfenster. Ursprünglich hatte Architekt Hovig farbloses Glas vorgesehen. Doch das kam bei der Kirchengemeinde überhaupt nicht an. „Bei Tageslicht war es so hell, dass die Besucher mit Sonnenbrillen auf den Bänken saßen. Und der Pfarrer wusste nie so recht, ob sie nun schlafen oder nicht", lacht Lindrupsen. 1972 hatte Glaskünstler Viktor Sparre die Lösung: In Dallglas-Technik, einer besonderen Gussglasfertigung, erschuf er das bunte Mosaik mit dem Namen: „Die Wiederkunft Christi". Und 40 Jahre nach der Einweihung bekam die Kirche ihre einzigartige Orgel.
„Klimaveränderung sehen wir jeden Tag"
Organistin Mothes spielt auf einem Instrument, dessen Form der Kathedrale nachempfunden ist und an Eisschollen und Segel erinnere. Für den richtigen Klang und das volle Volumen sorgen nicht nur das perfekte Spiel der Deutschen sondern auch 2.940 Orgelpfeifen mit einer Länge von fünf Millimetern bis 9,60 Metern. Regionalität wird dabei groß geschrieben: Die Holzkonstruktion ist aus norwegischem Kiefernholz und der Blasebalg aus Rentierhaut.
Jede Nacht gibt es ein Mitternachtskonzert, insbesondere für die Passagiere der südgehenden Hurtigruten. „Gespielt werden norwegische und samische Klassiker sowie christliche Volkslieder", ergänzt Mothes. Die 59-Jährige muss jedoch nicht jede Nacht spielen. „Ich wechsle mich mit Kollegen ab", sagt sie.
Die Stimme kommt jeden Morgen aus dem Bordlautsprecher: Auf vier Sprachen wünscht Torstein Gaustad den Gästen einen „wundervollen Tag". Der Reiseleiter ist in Ørnes an der Küste Mittelnorwegens aufgewachsen. „Die Klimaveränderung sehen wir jeden Tag. Als ich klein war, gab es noch kein Plastik im Wasser", sagt der 38-Jährige. „Auf Spitzbergen finden die Eisbären kein Packeis mehr, und der Permafrostboden ist so gut wie weg."
Gaustad drückt sich klar aus. Norwegen sei abhängig vom Kabeljau-Fischen. Seit 1985 ist die Wassertemperatur um zwei Grad gestiegen. „Mit der Folge, dass sich die Anzahl der Fische seitdem um 40 Prozent verringert hat", erklärt er auf Deutsch. Die Passagiere hören dem Vortrag interessiert zu. Dann sein Lob: „Sie sind bis jetzt die grünsten Gäste aller Zeiten." Das bedeutet, dass sich über 100 Reisende entschieden haben, mal für einen Tag auf die Kabinenreinigung zu verzichten. Das kommt der Umwelt zugute! Pro eingesparter Kabine zahlt Hurtigruten einen Obolus in ihre Stiftung ein.
Dieses Umweltbewusstsein kommt an Bord gut an. Auch die Strandreinigungstage, die den Gästen angeboten werden. Jeder Einzelne kann sich anschließen, einen Küstenstreifen von Schwemmabfall zu befreien. „Die Bewohner schaffen das oftmals gar nicht und sind umso dankbarer, wenn Kreuzfahrtgäste sich für ein paar Stunden engagieren. Und Spaß macht das auch", ergänzt Gaustad. „Kürzlich waren wir auf einer kleinen Insel mit nur 25 Einwohnern. Da wird Plastikmüll jeden Tag angeschwemmt." Alle gesammelten Stücke werden sorgfältig registriert und recycelt. „Früher wurden jährlich bis zu 400.000 Plastikbecher auf unseren Schiffen benutzt. Das musste sich ändern." Und tatsächlich: Seit Juli 2018 wird auf den Hurtigruten kein Einwegkunststoff mehr benutzt. Damit war der Norweger der erste große Reiseanbieter, der Plastik von allen Schiffen und den mit ihm zusammenarbeitenden Hotels und Restaurants verbannt hat.
Die Kreuzfahrtindustrie ist alles andere als „grün" beziehungsweise ökologisch. Aber die Reederei will ein Vorbild sein. Alle Schiffe von Hurtigruten, die Postschiffe ebenso wie die Expeditionsschiffe, fahren mit umweltschonendem Marinediesel. Zudem hat Hurtigruten Expeditionen mit „MS Roald Amundsen" und „MS Fridtjof Nansen" die beiden weltweit ersten Expeditionsschiffe mit Hybridantrieb in Dienst gestellt.
Die beiden Einheiten „Postschiffe an der norwegischen Küste" und „Expeditions-Seereisen" sind voneinander getrennt. Die Hurtigruten-Postschiffreisen werden jetzt unter „Hurtigruten – Das Original" und die Expeditions-Seereisen unter „Hurtigruten Expeditions" angeboten.
Per Schneescooter über die Berge
Das Postschiff bricht sich ächzend durch die tobenden Wellen. Draußen ist es stockdunkel. Noch dunkler als es schon den ganzen Tag über war. Das Meer tobt, scheint verstimmt, auch hier in einem Küstengewässer, das zu den schönsten der Welt zählt. Der Koloss versucht, sich gegen die Kräfte des Meeres zu wehren. Gegen die ärgerlichen Fluten, die schon mal zehn Meter erreichen können. Schon wieder knallt es gegen die Bordwand. Es ist weit nach Mitternacht. Ich drücke meine Stirn an das Fenster der Außenkabine. In der Ferne sehe ich ein helles Leuchten. Vielleicht ein Ort oder ein Schiff? Wir kommen näher. Im Schein erkenne ich kleine bunte Holzhäuser, die sich um einen Hafen gruppieren. Die Idylle heißt Vardø, irgendwo ganz oben im Eismeer, weit über dem Polarkreis. Der Anblick ist pure Magie, ich darf ihn nach Hause mitnehmen und mich daran erinnern, dass es eine Welt gibt, die einem Märchen ähnelt: sehr ruhig, sehr friedlich und losgelöst von fast allem Irdischen.
Ich denke an den zurückliegenden Abend, als ich zum ersten Mal in meinem Leben Schneescooter gefahren bin. Während das Schiff auf dem Seeweg von Kjøllefjord nach Mehamn unterwegs ist, folgen wir ihm durch die Nacht. Der Schnee knirscht unter den Kufen des Fahrzeuges, das der Spur des Vorgängers folgt und sich immer mal wieder den Weg durch die verschneite arktische Landschaft freischaufeln muss.
Es geht über Berge und Täler hinweg. Der Führerschein ist die Voraussetzung für das Abenteuer; erfahrene Guides fahren voraus und sorgen für ein sagenhaftes Aha-Erlebnis. Bevor wir den Hafen in Mehamn erreichen, sehe ich es endlich am Firmament: Ein magisches Nordlicht, das zarte grüne Streifen auf die Erde schickt. Und ich erinnere mich an den Satz von Gidsken Halland, meiner sympathischen Begleiterin in Tromsø: „Nordlichter sind wie Männer, nämlich unberechenbar!"
Während sich das Postschiff seinen Weg nach Norden bahnt, sehe ich die Aurora borealis auch vom warmen sprudelnden Whirlpool vom Deck aus und später noch einmal bei völliger Dunkelheit am Himmel. Noch heute erzählen Sagen und Legenden von ihrer Mystik. Für die samische Bevölkerung gelten die Nordlichter als böses Omen, die Finnen vergleichen sie mit Feuerfüchsen und die Wikinger feierten sie als Götter.
Bei Ankunft im nördlichsten Hurtigruten-Hafen erwarten mich tierische Freunde und eine Schlittenfahrt mit Huskys. Acht Tiere sind vor mein Gefährt gespannt. Sie können es kaum erwarten. Dann gibt die deutsche Schlittenführerin Miriam das Kommando. Die Hunde konzentrieren sich auf ihren Musher, wie die Führungsperson genannt wird. Die Westfälin hat sich zu Hause eine Auszeit genommen. Es gefalle ihr hier an der Grenze zu Russland sehr. Sie sei außerdem sehr tierlieb. Oftmals würden Hunde im Pensionsalter von den Führern mit nach Hause genommen. Sie hat auch einen älteren Lieblingsvierbeiner. „Mal sehen, vielleicht darf er mitkommen, wenn ich zurückgehe." Ganz in der Nähe, im coolsten Hotel des Landes, genehmige ich mir noch ein Gläschen von „Rudolf’s Rache", wie der Drink aus Krähenbeeren genannt wird. Die Bar ist aus Eis geschnitzt.
Die Übernachtung in den kunstvollen Schneesuiten mit dicken Thermo-Schlafsäcken ist recht kuschelig. Für mich ist die Reise in Kirkenes zu Ende. Neue Passagiere kommen an Bord. Für sie beginnt nun mit der südgehenden Route ein wunderbares Abenteuer.