Gipfel mit bis zu 1.000 Metern, dichte Wälder, kleine Flüsschen, an denen Wanderwege entlangführen. Das Fichtelgebirge bietet nicht nur viel Natur, in der sich gut „Abstand halten" lässt, Museen erzählen die Geschichte der Region und setzen Handwerkskünste gekonnt in Szene.
Der erste Schnee ist gefallen, überzieht die Wiesen am Nageler See mit einer puderfeinen weißen Schicht. Fußspuren führen hinunter zu einer kleinen Kneippanlage am Ufer des sechs Hektar großen Gewässers, das im 17. Jahrhundert für den Antrieb einer Mühle aufgestaut wurde. Reste von ihr sind noch erhalten, am oberen Ende des Sees, wo das Flüsschen Gregnitz fast zu Füßen einer kleinen spätbarocken Kirche entlangplätschert.
Willkommen an der Südseite des Fichtelgebirges, hier liegt das Dorf Nagel mit seinen verschiedenen Ortsteilen eingebettet zwischen den Gipfeln der Kösseine und der Hohen Matze. Seit einiger Zeit gehört es zu „Bayerns Genussorten", denn dank der Initiative einiger Dorfbewohnerinnen konnte sich Nagel in den vergangenen Jahren als „Kräuterdorf" einen Namen machen – auch über die Region hinaus. Drei Themengärten haben die Frauen vom Natur- und Kräuterdorfverein mittlerweile angelegt – der „prominenteste" liegt direkt am See. Der „Schmetterlings- und Erlebnisgarten" zieht ab den Frühlingsmonaten mit Duftrosen, Minze und Lavendel Bienen, bunte Falter und viele Besucher an. Und in einem historischen Wohnhaus an der Dorfhauptstraße werden jetzt Seminare und Workshops rund um die Themen Kräuter, Kulinarik und Gesundheit angeboten.
Das idyllisch am See gelegene Nagel ist zudem ein guter Ausgangsort für Wanderungen – „Teutsches Paradeiß" zum Beispiel heißt ein etwa 16 Kilometer langer Rundweg, der sich auf eine Erwähnung der Region in einem Buch des Magisters Johann Will Ende des 17. Jahrhunderts bezieht. Er schlägt mit vielen Infotafeln ausgestattet einen großen Bogen um alle Ortsteile, führt über Wiesen und durch dichte Wälder, quert Bäche auf kleinen Brücken und bietet immer wieder beste Ausblicke auf fast alle Fichtelgebirgsgipfel. Vom Schneeberg über den Ochsenkopf bis hin zu Epprechtstein und Kornberg: Die Gipfel des Fichtelgebirges im Nordosten Bayerns bilden ein nach Nordosten offenes Hufeisen, das nicht nur sehr waldreiche Gebiete, sondern auch Hochflächen mit historisch interessanten Städtchen, verträumten Dörfern und zahlreiche kleine Seen und Weiher umschließt. In der Region, die wegen ihrer dichten Wälder und des Granitgesteins oft etwas schroff anmutet, entspringen zudem vier große Flüsse – Weißmain, Fichtelnaab und Eger haben hier ihren Ursprung ebenso wie die Saale, deren Quelle am Hang des Waldsteins liegt.
Ruinen einer Raubritterburg
Dorthin geht es von Nagel aus in nördlicher Richtung, zunächst nach Weißenstadt und seinem See, dem größten des Fichtelgebirges. Früher ein Fischereigebiet der Bayreuther Markgrafen, heute ein beliebtes Ziel für Wassersportler, zumindest in der warmen Jahreszeit. Das Städtchen selbst ist quasi komplett „unterkellert" – ursprünglich für die Suche nach Kristallen angelegte Stollen dienten später zum Lagern des selbstgebrauten Biers, heute werden (wenn die Hygiene-und Abstandsregeln es zulassen) regelmäßig „Kellerführungen" angeboten. Vom Marktplatz mit seinen pastellfarben blitzenden Häusern und der stattlichen St. Jakobus Kirche geht es ein paar Stufen hinab und an den Resten der alten Stadtmauer entlang. Wo ein bronzener Bullenkopf an den Spitznamen der Weißenstädter erinnert. Die werden auch „Bummelhenker" genannt, nachdem sie vor Jahrhunderten versucht haben sollen, einen Ochsen per Strick um den Hals auf die mit Gras bewachsene Stadtmauer zu ziehen.
Ein paar Kilometer nördlich von Weißenstadt liegt der 877 Meter hohe Waldstein, ein sagenumwobener Fichtelgebirgsgipfel und ein weiteres lohnendes Wanderziel. Über von knorrigen Wurzeln durchzogene Waldwege und manchmal auch auf Forststraßen geht es stetig bergauf, geradezu mystisch ist die Stimmung hier oben bei Nebel. Dann nämlich sind die Ruinen des Roten Schlosses, einer Raubritterburg aus dem 14. Jahrhundert, nur schemenhaft zu erkennen. Und die mit Moos überwachsenen Granitformationen kommen von Nebel umwabert wie Fabelwesen daher. Da kommt auch der sogenannte Teufelstisch besonders gut zur Geltung, an dem sich der Sage nach Geister und Teufel um Mitternacht zum Kartenspiel treffen. Ein paar Schritte weiter stößt man auf ein steinernes Gebäude aus dem 17. Jahrhundert, ein sogenannter Bärenfang. Eine Falle, in die Bären mittels Köder gelockt wurden, um dann nach Bayreuth in die Menagerie des Markgrafen transportiert zu werden. Den letzten Bären hatte man hier oben auf dem Waldstein im Jahr 1760 gefangen.
Wie die Menschen früher in der damals recht rauen Fichtelgebirgsregion lebten, wie sie den Böden hier mit viel Erfindungsreichtum etwas abtrotzten, das wird im Volkskundlichen Gerätemuseum in Bergnersreuth bei Arzberg erzählt. So sperrig der Name des Museums, so lohnend ein Besuch. Denn die verschiedenen Ausstellungen sind auf die Gebäude eines Anwesens aus dem 18. Jahrhundert verteilt. Und besonders das Wohnhaus wirkt so, als seien die Bewohner eben nur kurz hinausgegangen, so viele Details fangen hier den Alltag einer wohlhabenden bäuerlichen Familie zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein. Da gibt es die Stube mit dem gemütlichen Kachelofen, der Ofenbank und dem Spinnrad, den ganzen Raum „umläuft" eine Schablonenmalerei wie eine Girlande. Dieser für die Region damals typischen Malerei begegnet man beim Rundgang durch das Haus immer wieder, mal im Blumenmuster, mal in der Küche mit Kaffeetassen und Kaffeemühle, oder auch geometrisch im Art-déco-Stil. Und im ehemaligen Scheunentrakt sind alte Landwirtschaftsmaschinen und Geräte zu sehen – Kartoffelwaschmaschinen zum Beispiel oder Transportfahrzeuge wie Leiterwagen und Schlitten. Unter dem Dach der früheren Scheune wartet ein Schatz: eine Marktredwitzer Landschaftskrippe mit Hunderten detailverliebt bemalter und arrangierter Tonfiguren. Die zeigen im „orientalischen Teil" das Leben Jesu, im „bayerischen Teil" Szenen aus dem ländlichen Alltag – von der Jagdhütte bis zu Waldschwimmbad. Was die Herstellung der Krippenfiguren für den Marktredwitzer Raum – alljährlich werden viele Privatkrippen im Rahmen eines „Krippenwegs" präsentiert – das war früher die Porzellanproduktion im Raum Selb nahe der Grenze zu Tschechien. In Hohenberg an der Eger, wo eine wuchtige Burg über dem Egertal thront, hatte der thüringische Porzellanhändler Carolus Magnus Hutschenreuther 1827 Bayerns erste Porzellanfabrik gegründet. In der ehemaligen Direktorenvilla residiert heute das Mutterhaus des Porzellanikons, des Staatlichen Museums für Porzellan. Von der riesigen Sammlung des Museums (rund 200.000 Objekte) kann immer nur ein Bruchteil gezeigt werden, aber der wird gekonnt in Szene gesetzt. Da gibt es detailreich geformte Figurengruppen aus der Zeit des Rokoko und Tafelgeschirr aller großen Manufakturen. Da gibt es aber auch originell wie Obst gestaltete Kaffeeservice, die für den Export nach Nordamerika produziert wurden. Oder Kuriositäten wie „Bart-Tassen" oder ein sogenanntes Bourdalou, ein Porzellangefäß, das die Damen am Hofe des „Sonnenkönigs" Ludwig IVX. als „tragbare Toilette" nutzten, während der oft stundenlangen Vorträge des Jesuitenpaters Louis Bourdaloue.
Porzellan vom Hofe des Sonnenkönigs
Ein paar Kilometer nördlich von Hohenberg, in Selb, kann man eindrucksvoll erleben, welche Bedeutung die Porzellanproduktion für die Stadt einst hatte und noch hat. Aus Porzellan sind Brunnen, von denen Wasser plätschert, Fliesen, über die man im „Porzellangässchen" läuft und ein Glockenspiel am Rathaus, von dem Beethovens „Ode an die Freude" erklingt. Und im Porzellanikon, das in einer stillgelegten Rosenthal-Fabrik eingerichtet wurde, könnte man locker einen ganzen Tag verbringen. Hier wird die Herstellung der „Zutaten" für das „weiße Gold" anschaulich gezeigt und teilweise ohrenbetäubend vorgeführt, zum Beispiel wenn die Massemühlen in Gang gesetzt werden. In den großen Trommeln wurden im 19. Jahrhundert Quarz, Kaolin und Feldspat gemischt und gemahlen – der daraus entstehende Schlicker ist das Mineral-Wassergemisch, das zur Porzellanherstellung benötigt wird. Etwas leiser, dafür nicht weniger spannend geht es in den Schauwerkstätten zu – hier demonstrieren „Porzelliner" unter anderem Gipsformenbau, Dekoration oder Porzellanmalerei. Dazu gibt es eine Vielzahl von Mitmachangeboten für die ganze Familie, bei denen man schnell feststellen kann, dass die Herstellung selbst einer „einfachen Vase" hohe Kunst ist.