Nach mehreren Verzögerungen und Startverschiebungen flog Matthias Maurer im November endlich als zwölfter Deutscher ins All. Am 12. November kamen er und seine Kollegen an der ISS an, auf der er etwa sechs Monate bleiben und eine Vielzahl an Experimenten absolvieren wird.
Mit Jubel, Umarmungen und Selfies ist der deutsche Astronaut Matthias Maurer am 12. November auf der Internationalen Raumstation ISS empfangen worden. Gemeinsam mit drei Nasa-Kollegen kam Maurer nach rund 20 Flugstunden im Raumschiff „Crew Dragon" an der ISS an. Nach dem Andocken und einer Reihe technischer Arbeitsschritte konnte die Luke geöffnet werden, und Maurer schwebte im blauen Overall mit deutscher Fahne auf dem Oberarm als zweiter Astronaut der Crew nach Kayla Barron und vor Thomas Marshburn und Raja Chari in die Raumstation. Dort wartete schon eine seit April auf der ISS stationierte Crew, bestehend aus Nasa-Astronaut Mark Thomas Vande Hei und den russischen Kosmonauten Oleg Nowizki und Pjotr Dubrow, auf die Neuankömmlinge und begrüßte sie mit Jubel, Klatschen und vielen Umarmungen. Maurer, Barron und Chari, die alle zum ersten Mal im All sind, bekamen jeweils eine Anstecknadel. Schon kurz nach der Ankunft habe er einen Blick aus den Kuppel-Fenstern der ISS auf die Erde geworfen, verriet Maurer. „Der Ausblick ist wunderschön, davon habe ich seit Jahren geträumt." Der Astronaut schickte auch noch einmal „liebe Grüße an alle in Deutschland" von der ISS.
Der eigentlich bereits für das letzte Oktober-Wochenende geplante Flug war zuvor mehrfach verschoben worden – erst wegen schlechter Wetterbedingungen, dann wegen eines „kleineren medizinischen Problems" bei einem der Crew-Mitglieder, und dann musste erst eine andere Crew von der ISS zurückgeholt werden.
Maurer ist nun der zwölfte Deutsche im All, der vierte auf der ISS und der erste, der in einem „Crew Dragon" dorthin geflogen ist. Auf der ISS soll der Astronaut der Europäischen Weltraumorganisation Esa in rund 400 Kilometern Höhe etwa sechs Monate lang zahlreiche Experimente durchführen und wohl auch einen Außeneinsatz absolvieren. Der 51-jährige Saarländer, der einen Doktortitel in Materialwissenschaft hat, ist nach Nasa-Zählart der 600. Mensch im All. Zuletzt war 2018 mit Alexander Gerst ein deutscher Esa-Astronaut an Bord der ISS gewesen.
„Ich fühle mich wie ein junger Vogel, dem gerade erst Flügel gewachsen sind, und jetzt muss ich lernen, wie man fliegt", sagte Maurer eine Woche nach seiner Ankunft in einem ersten Videoanruf von der ISS. Er müsse sich noch daran gewöhnen, im All zu leben und zu arbeiten. Maurer erzählte, dass die Gruppe die ersten Tage zunächst einmal damit beschäftigt gewesen sei, Material für die Experimente aus dem „Crew Dragon" auszuräumen. Er selbst werde an etwa 150 Experimenten beteiligt sein und hoffe, dass sie dazu beitrügen, das Wissen und das Ansehen Europas in der Welt zu verbessern. Er sei aber auch schon mit einer, wie er sagte, „sehr profanen" Aufgabe beschäftigt, nämlich der Wartung der Toilette. Dazu habe er tief in das Innere der Toilette und das Rohr langen müssen, erzählte er.
„Wo der Kopf ist, ist oben"
Auch zwei Wochen nach seiner Ankunft auf der ISS habe er sich noch nicht so ganz an die Schwerelosigkeit gewöhnt, erklärte Maurer Ende November. „Als Anfänger passiert es mir leider noch zu oft, dass ich Taschen zu weit öffne und dann der komplette Inhalt schlagartig in alle Richtungen raus schwebt. In diesen Momenten wünsche ich mir, ich hätte so viele Arme wie ein Tintenfisch", schreibt er in einem Brief für „Bild". Nach all den Jahren des Wartens und der intensiven Vorbereitung fühle er sich aber jetzt sehr glücklich und befreit. Aber gleichzeitig stehe er auch unter einem Leistungsdruck, „denn ich bin ja nicht zum Spaß hier, und die vielen Experimente müssen sorgfältig erledigt werden." Das sei in Schwerelosigkeit leider nicht ganz so einfach. Allerdings sei das Schweben in der Schwerelosigkeit erstaunlicherweise sofort vom Gehirn akzeptiert worden. Gehen sei out. „Wo der Kopf ist, ist oben. Die Füße weisen immer zum Boden. Auch, wenn alle anderen auf dem Kopf stehen und das Gleiche behaupten."
Maurer schrieb weiter, der Weltraum sei ein optimaler Ort zum Abnehmen. Es sei nicht leicht, genügend Kalorien in sich „hineinzustopfen". „In der Schwerelosigkeit ist das Sättigungsgefühl viel stärker. Vielleicht, weil das Essen im Magen schwebt?" Dazu müsse er auch jeden Tag zwei Stunden Sport machen, um Knochen- und Muskelschwund vorzubeugen. Er schlafe hervorragend und hänge schwerelos diagonal in seiner Kabine. Kopfkissen brauche man nicht. „Meinen Schlafsack habe ich mit einem einzigen Karabinerhaken an einer Gummischnur festgemacht, sodass ich nicht komplett wegdrifte." Außerdem benötige man im All viel weniger Zahnpaste, da sie hier viel mehr schäume.
Er wünsche sich, jeder Mensch könnte diesen Anblick von der Erde mit eigenen Augen sehen. „Dass es auf der Erde Leben gibt, spürt man bei diesem energiegeladenen, leuchtenden Blau förmlich, auch wenn man es mit den Augen nicht direkt erkennen kann. Und dass dieser Luftflaum zwischen Oberfläche und Vakuum das Einzige ist, was das Leben auf dem Planeten garantiert, lässt einen kalt erschaudern."
Beim Außeneinsatz zweier US-Astronauten Anfang Dezember musste Maurer noch zuschauen. Thomas Marshburn und Kayla Barron verließen die ISS rund sechs Stunden und 30 Minuten, um ein defektes Antennensystem an der Internationalen Raumstation zu ersetzen. Maurer selbst soll auch noch einen Außeneinsatz absolvieren.