Die Fußballwelt trauert um den wohl größten deutschen Stürmer, der im August im Alter von 75 Jahren an den Folgen einer Demenzerkrankung starb. Gerd Müller hatte Torrekorde für die Ewigkeit aufgestellt und der DFB-Auswahl 1974 mit seinem Treffer den WM-Titel gesichert.
Es war ein langer, stiller Abschied. Sein langjähriger Stammverein, der FC Bayern München, hatte im Herbst 2015 bekannt gemacht, dass der frühere Weltklasse-Stürmer schwer an Demenz erkrankt sei und daher in einem Pflegeheim betreut werden müsse. Am frühen Morgen des 15. August 2021 war Gerd Müller im Beisein seiner Ehefrau Ursula im Alter von 75 Jahren in Wolfratshausen verstorben.
Letztmals war er 2013 in der Öffentlichkeit anlässlich einer Preisverleihung für sein Lebenswerk aufgetreten und musste wenig später auch seinen Job als Co-Trainer der Zweiten Bayern-Mannschaft aufgeben. Als der aus einfachen Verhältnissen stammende Gerhard Müller im Alter von 18 Jahren vom gerade dank seiner 47 Tore in die Landesliga aufgestiegenen TSV Nördlingen zur Saison 1964/1965 an die Isar gewechselt war, konnte man dort bei seinem neuen Arbeitgeber, dem seinerzeit zweitklassigen FC Bayern München, von späterem Ruhm und Glamour noch nicht einmal träumen. Dennoch war es für den zeitlebens sehr bodenständigen und bescheiden auftretenden Jungspund schon eine gewaltige Veränderung.
Mit seiner kompakt-untersetzten Statur und einer überschaubaren Körpergröße von 1,76 Metern entsprach er nicht gerade den gängigen Gardemaß-Vorstellungen eines Stürmers. Niemand konnte damals erahnen, dass gerade seine scheinbar figürlichen Nachteile wie die kurzen, stämmigen Beine und ein ungewöhnlich niedriger Körperschwerpunkt, sich später als große Vorteile erweisen würden.
Seine blitzschnellen Drehungen auf engstem Raum gepaart mit einem angeborenen Torinstinkt und einer verblüffenden Kopfballstärke machten Müller zum „Bomber der Nation“. Sein ureigenstes Revier war der gegnerische Strafraum, für lange Sprints außerhalb dieses Bereichs fehlte ihm die Antrittsschnelligkeit, auch Abschlüsse aus weiten Torentfernungen waren nicht sein Metier. Aber sobald der Ball in der Nähe des gegnerischen Kastens auftauchte, war Müller meist zur Stelle und konnte die Kugel selbst im Liegen und Fallen oder mit allen erlaubten Körperteilen über die Linie schießen oder stochern. Bald schon sollte sich dafür in Fußballerkreisen das Wort „Müllern“ einbürgern.
In seiner ersten Saison bei den Bayern, die sich anschickten, den Bundesliga-Aufstieg unter Dach und Fach zu bringen, bewegte erst ein Machtwort des Präsidenten Wilhelm Neudecker den damaligen Trainer Zlatko „Tschik“ Cajkovski dazu, die von ihm als „kleines dickes Müller“ geschmähte Neuverpflichtung erstmals am 18. Oktober 1964 in die Startformation zu befördern. Mit 33 Treffern in der regulären Spielzeit und sechs weiteren Toren in der Aufstiegsrunde trug Müller in der Folge ganz entscheidend zum Erreichen des Bayern-Saisonziels bei. In den folgenden Jahren wurde der gebürtige Schwabe eine feste Größe in der immer erfolgreicheren Bayern-Achse Maier-Beckenbauer-Müller. Für Franz Beckenbauer war er im Rückblick sogar der Größte von allen: „Was der FC Bayern heute darstellt, mit diesem Palast an der Säbener Straße – ohne Gerd Müller wären die Leute da immer noch in dieser Holzhütte von damals. In meinen Augen ist er der wichtigste Spieler in der Geschichte des FC Bayern.“
Dieses Statement lässt sich durch Statistiken, Auszeichnungen und Titelsammlungen durchaus belegen. Müller erzielte für den FC Bayern zwischen seinem Bundesliga-Debüt am 14. August 1965 und seinem letzten Spiel im roten Trikot am 10. Februar 1979 in 580 Pflichtbegegnungen sage und schreibe 526 Treffer. Ein ebenso fantastischer Rekord wie die 365 Tore in 427 Bundesliga-Matches. Gleich siebenmal konnte sich Gerd Müller die Bundesliga-Torjägerkanone sichern: 1967, 1969, 1970, 1972, 1973, 1974 und 1978. Zweimal konnte er sich zu Europas Torschützenkönig krönen, 1970 und 1972. Sein Rekord von 40 Treffern aus der Bundesligasaison 1971/1972 wurde erst knapp 50 Jahre später durch Robert Lewandowski im Bayern-Trikot in der vergangenen Spielzeit mit 41 Toren geknackt.
1970 wurde Müller als erster deutscher Kicker mit dem Ballon d’Or als bester Fußballer Europas ausgezeichnet. Viermal errang Müller mit den Bayern die Meisterschaft, 1969, 1972, 1973 und 1974, viermal den Pokalsieg, 1966, 1967, 1969 und 1971. Auf kontinentaler Ebene triumphierte Müller mit den Bayern 1967 im Europapokal der Pokalsieger und dreimal im Europapokal der Landesmeister, 1974 bis 1976. Dazu kam noch der Weltpokalsieg 1976. Seine insgesamt 65 Europapokal-Tore in 74 Spielen sind bis heute deutscher Rekord.
Auch in der Nationalmannschaft führte nach seinem Debüt am 12. Oktober 1966 bald kein Weg mehr an Müller als Sturmführer vorbei. Seine Quote im Adler-Trikot, meist mit der Rückennummer 13, ist bis heute legendär. Ihm gelangen in 62 Länderspielen stolze 68 Treffer. Das Siegtor gegen die Niederlande im Münchener WM-Endspiel 1974 bezeichnete er selbst als wichtigsten Treffer seiner gesamten Karriere. Vier Jahre zuvor hatte er sich bei der WM in Mexiko mit zehn Treffen zum Torschützenkönig geballert und dem Team den dritten Platz gesichert. Auch bei der Europameisterschaft 1972 war er mit vier Toren ganz wesentlich am Titelgewinn beteiligt. Sein Abschied aus der Nationalmannschaft direkt nach dem WM-Sieg 1974 im Alter von 28 Jahren kam für viele überraschend. Müller hatte diese Entscheidung damit begründet, dass er endlich mehr Zeit für seine Frau und Tochter haben wolle. Vielleicht wollte er sich damit aber auch nur nachträglich beim DFB dafür revanchieren, dass dieser den im Sommer 1973 geplanten Wechsel Müllers zum großen FC Barcelona durch Androhung einer WM-Sperre erfolgreich torpediert hatte.
Karriereausklang in Übersee
Nach Ende seiner Bundesliga-Karriere beim FC Bayern ließ Müller seine Kicker-Laufbahn in Übersee ausklingen, nachdem er einen lukrativen Zweieinhalbjahresvertrag bei den Fort Lauderdale Strikers in der damals von weltweiten Altstars geprägten amerikanischen „Operettenliga“ unterschrieben hatte. Richtig glücklich schien er in den USA allerdings nie geworden zu sein. Am 11. August 1981 bestritt Müller im Alter von 36 Jahren sein letztes Profi-Spiel, blieb danach aber noch bis April 1984 in Florida, kickte beim Amateurteam Smith Brothers Lounge mit und eröffnete eine Steakhouse-Kneipe, in der er aus Langeweile wohl häufiger selbst zum Glas gegriffen hatte.
Es war der Einstieg in die Alkoholsucht, die sich nach der Rückkehr nach München so sehr verschärfte, dass sich Müller, unterstützt von seinem Freund Uli Hoeneß, Ende 1991 einer erfolgreichen Entziehungskur unterziehen musste und danach vom damaligen Bayern-Manager einen Job als Co-Trainer der Zweiten Münchner Mannschaft bekam. Diesen bekleidete er bis zu seiner Demenzerkrankung 2014.