In Myanmar werden Erinnerungen an eine dunkle Ära wach: Mit eiserner Hand hatte eine Militärjunta das Land 50 Jahre lang regiert und komplett isoliert. Dann setzten demokratische Reformen ein. Anfang Februar hat die Armee wieder geputscht – dieses Mal gegen Aung San Suu Kyi.
Nach Jahren des zaghaften Übergangs zu demokratischen Reformen hat sich in Myanmar das Militär zurück an die Macht geputscht. Die zivile Führung um die faktische Regierungschefin Aung San Suu Kyi wurde in der Nacht zum 1. Februar entmachtet. Es kam zu zahlreichen Festnahmen ranghoher Politiker, darunter Suu Kyi selbst sowie Staatspräsident Win Myint. Das UN-Menschenrechtsbüro sprach von mindestens 45 Festnahmen. An diesem Tag hätte das neu gewählte Parlament in Myanmar erstmals zusammenkommen sollen. Die Vorgänge lösten internationale Proteste und Kritik von Regierungen aus.
Nach einem Putsch im Jahr 1962 stand das Land fast ein halbes Jahrhundert lang unter einer Militärdiktatur. Suu Kyi setzte sich in den 1980er-Jahren für einen gewaltlosen Demokratisierungsprozess ein und wurde deshalb 15 Jahre unter Hausarrest gestellt. 1991 erhielt sie für ihren Einsatz gegen Unterdrückung und soziale Ungerechtigkeit den Friedensnobelpreis. Erst seit 2011, als erstmals wieder eine zivile Regierung eingesetzt wurde, kamen langsam Reformen in Gang.
Die Streitkräfte verhängten nach ihrem erneuten Putsch einen einjährigen Ausnahmezustand. Die Macht liegt bei Armeechef Min Aung Hlaing, der während des Notstands die oberste Befehlsgewalt innehat, hieß es im von der Armee kontrollierten Fernsehsender Myawaddy. In einem Jahr solle es nach den Angaben eine Neuwahl geben. Als eine der ersten Maßnahmen verhängten die neuen Machthaber eine Ausgangssperre von 20 bis 6 Uhr. Das Militär hatte anschließend ein neues elfköpfiges Kabinett ernannt, das größtenteils aus Generälen und früheren Militärspitzen sowie einigen Mitgliedern der von der Armee gestützten Partei „Solidarity and Development Party" (USDP) besteht. Viele von ihnen waren bei der Parlamentswahl im November als Kandidaten gescheitert. Nun bekommen sie hohe Ministerposten. Suu Kyi und ihre Partei NLD hatten die Parlamentswahl klar gewonnen. Die 75-jährige frühere Freiheitsikone war damit für eine zweite Amtszeit gewählt worden.
Das Militär hatte aber das Wahlergebnis angezweifelt. Offiziell wird möglicher Wahlbetrug als Grund für den Putsch genannt. Ende Februar hat der von der Militärjunta eingesetzte neue Chef der Wahlkommission in Myanmar entsprechend das Ergebnis der Parlamentswahl vom November für ungültig erklärt. Außerdem hat das Militär mehr als 23.000 Gefangene aus der Haft entlassen oder deren Strafen deutlich verkürzt.
Wahlen für ungültig erklärt
US-Präsident Joe Biden forderte eine entschlossene internationale Reaktion und drohte den neuen Machthabern Myanmars Sanktionen an. Die USA hätten in den vergangenen Jahren Strafmaßnahmen gegen Myanmar wegen der Fortschritte des Landes bei der Demokratisierung aufgehoben. Die Umkehrung dieser Fortschritte werde eine sofortige Überprüfung der US-Sanktionsgesetze erfordern, „gefolgt von entsprechenden Maßnahmen". Trotz weltweiter Proteste konnte sich der UN-Sicherheitsrat aber – wieder einmal – nicht auf eine einheitliche Linie verständigen.
Suu Kyi forderte die Bevölkerung anfangs via Facebook auf, die Machtübernahme nicht hinzunehmen. „Die Öffentlichkeit ist dazu aufgerufen, sich dem Militärputsch voll und ganz zu widersetzen und sich entschieden dagegen zu wehren", wurde sie zitiert. Auch nach der Wahl war Suu Kyi weiter auf die Kooperation mit dem Militär angewiesen. Ein Viertel der Sitze in den Parlamentskammern blieb für die Streitkräfte reserviert. So steht es in der Verfassung von 2008, die die Junta aufgesetzt hatte, um auch nach der Einleitung demokratischer Reformen nicht entmachtet zu werden. Wegen einer anderen Klausel konnte Suu Kyi nicht Präsidentin werden, sondern regierte als Staatsrätin und somit De-facto-Regierungschefin das Land mit seinen fast 54 Millionen Einwohnern. Ohne das Militär sind auch Verfassungsänderungen nicht möglich, zudem kontrollierte es bislang schon die wichtigsten Ministerien.
Im eigenen Land ist die Politikerin sehr beliebt. International ist sie aber mittlerweile umstritten. So sind die versprochenen demokratischen Reformen in dem buddhistisch geprägten Land bislang weitgehend ausgeblieben und Suu Kyi zeigte einen immer autoritäreren Regierungsstil. Vor allem wegen der staatlichen Diskriminierung der Rohingya und ihres Schweigens zur Gewalt gegen die muslimische Minderheit steht Suu Kyi weltweit in der Kritik. Mehr als eine Million Rohingya sind vor den brutalen Übergriffen des Militärs nach Bangladesch geflohen.
Unerschrocken protestierten Demonstranten in weiten Teilen Myanmars in der Folge gegen den Militärputsch – trotz Sperrung des Internets und rigorosem Vorgehen der Militärjunta gegen das eigene Volk. In den kommenden Monaten kommt es zu zahlreichen Toten. Der Widerstand aus der Bevölkerung, die die Wiedereinsetzung der zivilen Regierung fordert, wird von der Junta mit brutaler Härte unterdrückt. Nach Schätzungen der Gefangenenhilfsorganisation AAPP werden bis Ende Juli mehr als 930 Menschen getötet. Fast 7.000 werden festgenommen.
Myanmar leidet zudem unter einer schweren Corona-Welle. Nach Angaben des Gesundheitsministeriums unter Führung der Junta werden im Sommer täglich Tausende positive Fälle und Hunderte Tote im Zusammenhang mit dem Virus registriert. Die Zahlen dürften allerdings noch deutlich höher liegen, da sich viele Bürger aus Angst vor dem Militär weder testen noch in staatlichen Krankenhäusern behandeln lassen. Covid-19 sei überall, und die Menschen sterben in ihren Häusern.