Sting zu treffen ist, als würde man einen alten Bekannten besuchen. Der 17-fache Grammy-Preisträger feierte kürzlich seinen 70. Geburtstag. Im Interview spricht er über Gegenwart, Vergangenheit und das Brückenbauen.
War es sehr kräftezehrend, sich während der Pandemie neue Songs und Themen auszudenken?
Nein. Es wäre stressig gewesen, keine Musik machen zu können. Denn Musik ist meine Therapie, wenn Sie so wollen. Eigentlich wollte ich mit meinem Stück „The Last Ship" auf Tournee gehen, aber wie alle anderen wurde ich von der Arbeit zurückgeschickt, und wir wussten eine Zeit lang nicht, wann die Zwangspause enden würde. Ich war deshalb sehr froh, dass ich in mein Studio gehen und versuchen konnte, Musik zu machen. (lacht) Ohne sie wäre ich völlig verrückt geworden. Das hat den Stress gemildert.
Wie haben sich die Themen der Songs ergeben?
Ich wollte nicht über die Pandemie oder den Lockdown schreiben, aber die Lieder, die entstanden sind, spiegeln wohl unbewusst etwas davon wider. Denn alle Figuren, über die ich schreibe, befinden sich in einem Zustand des Übergangs zwischen der Gegenwart und der Zukunft, zwischen Leben und Tod, Krankheit und Gesundheit, zwischen Beziehungen. Das wurde mir erst am Ende des Jahres klar, als ich mir die Lieder noch einmal ansah und dachte: Oh, das ist es, was sie alle verbindet! Und dann habe ich den Titelsong „The Bridge" geschrieben.
Der eine Metapher für all das ist?
Natürlich. Ich glaube, wir suchen alle nach einer Brücke in die Zukunft, wo wir uns sicher und glücklich fühlen können. Das gilt für mich und für alle Menschen auf diesem Planeten. Wir sind alle mit diesem verrückten Klimawandel konfrontiert, mit der Pandemie, der sozialen Krise, der politischen Krise, Krieg. Ich kenne die Antwort auf diese Probleme nicht, aber ich glaube, wenn es eine Lösung gibt, dann ist sie in Empathie eingebettet: menschliche Beziehungen, Liebe, Musik, Kunst, Kommunikation. Die Metapher der Brücke war nützlich, und dann schrieb ich den gleichnamigen Song, der all diese Ideen miteinander verbindet.
Verstehen Sie sich als eine Art kulturellen Brückenbauer?
(lacht) Ich bin ein Sänger. Ich stehe auf einer Bühne, singe Lieder, und die Leute hören mir zu. Aber ich halte mich nicht für einen Brückenbauer. Ich bin einfach nur ein Sänger. Das ist es, wie ich mich definiere.
Aber es ist Ihnen schon wichtig, den Menschen Mut zu machen, gerade in Zeiten wie diesen?
Ich denke, ein Teil meiner Aufgabe ist, Menschen glücklich zu machen. Die Leute kommen und kaufen Tickets für meine Show und meine Alben, weil sie das Gefühl haben, dass sie dadurch ein bisschen glücklicher werden. Mit gefällt diese Vorstellung. Es ist ein guter Dienst an der Gemeinschaft.
Politischer und sozialer Aufruhr sind zurzeit allgegenwärtig. Sind das kreative Zeiten für einen Songschreiber wie Sie?
Nun, wir wissen es nicht anders. Einige der größten Kunstwerke sind in Zeiten schrecklicher sozialer Konflikte oder Kriege entstanden. Aber der Klimawandel und die Pandemie sind ziemlich radikale Krisen und real. Die Kunst ist wahrscheinlich unser einziger Ausweg: Musik, Poesie, Bücher. Was können wir sonst tun?
Die Single „If It’s Love" ist ein leichter und eingängiger Song. Schütteln Sie solche Melodien einfach so aus dem Ärmel?
Das ist ein mysteriöser Prozess, denn ich verstehe nicht wirklich, woher diese Melodien kommen. Aber ich bin froh, dass das mit mir passiert. Ich fange einfach an, etwas zu pfeifen oder zu spielen, und schon ist eine Melodie da. Es ist meine Aufgabe, zu interpretieren, was diese Musik in Bezug auf die Texte bedeutet. Die Musik erzählt mir eine Geschichte. Manche Leute hören Musik und sehen Farben. Und ich sehe Geschichten, Charaktere in Situationen, Erzählungen. Es ist meine Aufgabe, der Geschichte zuzuhören und sie dann in Reimpaare zu übersetzen und einen Song zu machen.
Ist dieser unberechenbare Prozess manchmal frustrierend?
An manchen Tagen ist es wie beim Angeln: Man wirft eine Rute in den Fluss und nichts passiert. Am nächsten Tag: nichts. Am übernächsten Tag: etwas. Du folgst der Neugier, die du hast, so lange, bis etwas dein Interesse weckt. Und dann gehst du dem nach. Im Studio muss man geduldig sein.
Wie bereiten Sie sich aufs Songschreiben vor? Hören Sie sich viel Musik von anderen Künstlern an?
Nein, ich höre nicht sehr viel Musik. Ich bereite mich mental vor. Ich weiß, dass ich geduldig und zu einer bestimmten Zeit im Studio sein muss, um dort bis zum Abendessen zu arbeiten. Das habe ich mein Leben lang gemacht. Es ist also eine Disziplin. Ein berühmter Golfer hat einmal gesagt: „Je härter ich übe, desto mehr Glück habe ich". Ich glaube, das trifft auch auf mich zu.
Das Stück „Harmony Road" handelt davon, wie es ist, in einem sogenannten Problemviertel aufzuwachsen. Kennen Sie das soziale Stigma, nach Ihrer Postleitzahl beurteilt zu werden?
Ich komme aus einer ziemlich harten Stadt im Norden Englands. Dort gab es keine noblen Orte. Aber ich bin dankbar dafür. Denn meine Herkunft gab mir den Antrieb, zu fliehen und ein größeres Leben in der Welt zu führen. Mein Ausweg aus dieser Situation war Bildung. Ich erhielt ein Stipendium für eine Schule, in der man mir beibrachte, ein Gentleman zu sein. Das hat natürlich nicht geklappt, aber Musik und Bildung waren definitiv mein Ausweg. Ich schätze meinen Lebenslauf jetzt mehr, als wenn ich reich gewesen wäre. Aber das war ich nicht.
Wie war Ihre Kindheit in Wallsend, einem Vorort von Newcastle upon Tyne?
Ich habe schon mit sieben Jahren meinem Vater bei der Arbeit geholfen, der Milch ausgeliefert hat. Ich musste immer um fünf Uhr aufstehen, und abends trug ich Zeitungen aus. In der Stadt selbst gab es nur zwei Arbeitgeber, eine Werft und ein Kohlebergwerk. Beides kam für mich nicht infrage. Aber ich habe schon Geld verdient.
Sie haben den Klassiker „(Sittin‘ On) The Dock Of The Bay" gecovert, ein Lied von Otis Redding und Steve Cropper aus dem Jahr 1967.
Der Soundtrack Ihrer Jugend?
Ich habe mir diese Single von Otis Redding gekauft, als ich 16 Jahre alt war. Otis war da gerade bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen, und ich war ein großer Fan von ihm. Ich habe den Song für meine neue Platte aufgenommen, weil ich eine Anfrage von einer Alzheimer-Charity bekam. Sie baten mich um ein Lied, das mir viel bedeutet. Man hat herausgefunden, dass an Alzheimer erkrankte Menschen sich besser an Musik erinnern als an alles andere. Also habe ich den Song als eine Hommage an Otis Redding aufgenommen. Ich glaube nicht, dass ich davon eine bessere Version machen kann, denn es ist ein Meisterwerk. Ein sehr kluges, trauriges Lied, das ohne Moll-Akkorde auskommt. Das ist unüblich und sehr seltsam. Eine gute Übung, um zu analysieren, was ein Lied für mich bedeutet.
Haben Sie sich das Lied zu eigen gemacht, weil es auch etwas über Sie selbst erzählt?
Es bedeutet mir sehr viel, denn ich saß selbst immer am Dock in der Bucht und fragte mich, wie ich hier rauskommen würde. Wir wohnten in Wallsend am Fluss, direkt neben der Fähre. Ich saß dort und beobachtete die Schiffe, die hin und her fuhren, und fragte mich, wie ich hier rauskomme.
Sie wurden am 2. Oktober des vergangenen Jahres 70 Jahre alt. War es eine rauschende Party?
Glücklicherweise spielte ich an dem Abend eine Show in Athen in einem Theater unter der Akropolis. Ich hatte also ein Publikum und stand mit meinen Musikern auf der Bühne. Auch einige meiner Familienmitglieder waren da. Ich mag keine Geburtstagsfeiern, ich singe gerne an meinem Geburtstag.
Wie gehen Sie mit der Zahl 70 um? Fühlen Sie sich klüger als früher, vielleicht sogar weise?
Das ist die Absicht, ja. (lacht) Ich möchte weiser werden.