Aus dem mehr als 100 Jahre alten Areal der Bufa in Tempelhof werden die „Atelier Gardens" – ökologisch, nachhaltig und sozial. Tradition trifft auf die Moderne, Handwerk auf politische Initiativen.
Wer auf dem südlichen Berliner S-Bahn-Ring fährt, kennt vielleicht die rotbraunen Backsteinbauten zwischen den Bahnhöfen Hermannstraße und Tempelhof. „Ufa Tonfilm-Ateliers" steht dort in großen Lettern. Es sind die ältesten Filmstudios in Berlin. Dort atmet nahezu jeder Stein deutsche Filmgeschichte.
1913 wurde hier von der Literaria-Film das erste Filmatelier gebaut, ein Glashaus, weil die Kameras viel Licht brauchten. Wenig später zog die Projektions-AG „Union" nach. Ihr folgte die 1917 gegründete Universum Film AG Ufa. Da man inzwischen zu Kunstlicht übergegangen war, mussten die einstigen Glasstudios umgebaut und dann dem aufkommenden Tonfilm angepasst werden. Der hatte nämlich ziemliche Probleme mit der Geräuschkulisse der vorbeifahrenden S-Bahn und des nahen Flughafens Tempelhof. Das 1913 errichtete Haus Ton 2 wurde so 1934/35 umgebaut und ist heute das älteste noch erhaltene Studio. Obwohl das Zentrum der deutschen Filmproduktion mittlerweile in Babelsberg lag, entstanden in Tempelhof Szenen berühmter Filmklassiker wie „Der blaue Engel" mit Marlene Dietrich oder „Große Freiheit Nr. 7" mit Hans Albers. Auch Alfred Hitchcock drehte dort.
Start-ups und politische Initiativen
1945 wurden die Ateliers 3 und 4 bei den Kämpfen um Berlin schwer zerstört, die Ateliers 1 und 2 hingegen nur leicht beschädigt. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs unterstützten die Alliierten zunächst den Wiederaufbau, weil sie an der Synchronisation von Filmen interessiert waren. Dennoch wollten sie die Studios nicht zu groß werden lassen, schließlich sollte keine ernst zu nehmende Konkurrenz für amerikanische Studios entstehen. In den Tempelhofer Ateliers wurden von 1958 bis zur Einstellung der Produktion 1961 zehn Spielfilme gedreht und drei Jahre später die Berliner Union Film (Bufa) als reiner Studio-Betrieb gegründet. Jetzt nutzte der SFB (Sender Freies Berlin) die Studios zur Produktion von TV-Formaten, das ZDF richtete im Studio 4 seine Berliner Produktionsstätte ein. Die „Hitparade", „Der große Preis" und „Kennzeichen D" waren jahrelang Quotenbringer. Mittlerweile sind es „Die Kurt Krömer Show" und „Circus HalliGalli".
Heute ist die Berliner Union-Film GmbH & Co KG Mediendienstleister und Studiobetreiber auf dem Gelände der „Atelier Gardens". Deren Eigentümer will das Areal unter dem Motto „Soil, soul, society and celebration" umgestalten. Es soll zu einem Ort werden, der inspiriert, der ökologisches und soziales Leben und die Menschen dort miteinander verbindet. Zu den Studios und den traditionellen Gewerken wie Synchron und dem Kulissenbau kommen mehr und mehr „Changemaker" hinzu, mit innovativen Ideen und ambitionierten Projekten.
Benjamin Rodrigues Kafka sitzt an der Schnittstelle zwischen der Bufa und den Entwicklern der „Atelier Gardens", zu denen neben dem niederländischen Architekturbüro MVRDV auch die HS-Architekten aus Berlin gehören. Gerade ging eine Ausschreibung zur Fassadengestaltung zu Ende. Wenn die Gewinner gekürt sind, können in diesem Jahr die Arbeiten beginnen. „Das wird ein Hingucker", ist er sich sicher.
Den Zuzug der neuen Mieter auf den Campus bezeichnet Kafka als Gewinn. „Wir haben hier einerseits kleinere Start-ups aus dem Medienbereich und politische Initiativen wie ‚Brand New Bundestag‘, andererseits Organisationen, die sich für nachhaltige Landwirtschaft einsetzen wie die ‚Stadtbienen‘ oder aktivistische Gruppen wie die Umweltschutzbewegung ‚Extinction Rebellion‘. Da gibt es durchaus Anknüpfungspunkte und thematische Überschneidungen. Sie produzieren hier beispielsweise Videos und Kurzfilme, um für ihre Ziele zu werben."
Derzeit werden das Haus 1 umgebaut und das Studio 1 technisch auf den neuesten Stand gebracht. „Wir bieten auch die Location für verschiedene Veranstaltungen", erklärt Benjamin Rodrigues Kafka. „Im vergangenen Jahr hatten wir den Klima-Bürgerrat hier, coronabedingt als Hybridveranstaltung, die wurde von Studio 2 aus gestreamt und aufgezeichnet. Solche Events planen wir zukünftig öfter und wir werden auch neue Veranstaltungsformate entwickeln."
Entsprechend dem Motto der Umgestaltung der „Atelier Gardens" wird das historische Gemäuer behutsam und umweltbewusst saniert und die Infrastruktur entsprechend angepasst – mit Dachbegrünung, Regenwassernutzung, Recycling von Abfällen und Anpflanzung von Nutzpflanzen. Sogar ein paar Bienenstöcke werden aufgestellt. „Als Nächstes wollen wir auf 100 Prozent Ökostrom umstellen. Die Kosten sind da zwar etwas höher, aber diese Entscheidung wird von allen hier mitgetragen." Demnächst soll auf dem Gelände auch ein kleines Restaurant eröffnen, Benjamin Rodrigues Kafka hofft, dass dann mehr Menschen aus dem nahe liegenden Quartier aufs Gelände kommen und die eine oder andere Veranstaltung besuchen.
Das wäre auch im Sinn von Anna Ramskogler-Witt, Direktorin des Human Rights Film Festivals Berlin, das 2018 von der „Aktion gegen den Hunger" ins Leben gerufen wurde. „Wir haben 2019 das erste Mal in den ‚Atelier Gardens‘ Filme gezeigt und 2020 beschlossen, dort unser Festivalzentrum einzurichten", erklärt sie, „denn wir haben die Bufa als wunderbaren Ort kennengelernt mit einer langen Filmgeschichte und einer einfach fantastischen Atmosphäre. Die Bufa hat uns großartig unterstützt, um das Festival als hybride Variante durchzuführen. Das hat so gut funktioniert, dass wir 2021 zurückgekommen sind."
Bienenstöcke und Dachbegrünung
Für die Festival-Leiterin fühlt es sich gut an, an einem Ort zu sein, der zu den eigenen Vorstellungen passt. „Wir sind ein Menschenrechtsfilmfestival. Umweltaspekte und Menschenrechte sind ja eng verwoben. Deshalb ist Nachhaltigkeit für uns wichtig, weil auch das Publikum darauf achtet." Das Festival startet im kommenden Jahr etwas später im Oktober mit 40 Dokumentarfilmen, einer Ausstellung mit Virtual Reality-Projekten sowie zahlreiche Diskussionsrunden zum Mitmachen. Auch zum Weltfrauentag und zum Black History Month sind Filmvorführungen geplant.
Einen Raum bereitstellen für Menschen, die die Welt ein Stück weit besser hinterlassen wollen, als sie sie vorgefunden haben, das ist die Idee hinter der „Think Farm". Sie befindet sich im Gebäude „Ton 2". Die dort Arbeitenden schätzen besonders den Austausch mit Gleichgesinnten. So wie Aljoscha Bukowski von der Geschäftsführung. „Das war und ist wie ein vergrößertes Wohnzimmer. Wir haben zusammen gekocht und Veranstaltungen organisiert. Leider ist das derzeit coronabedingt eingeschränkt." Bukowski ist jedes Mal aufs Neue überrascht, wer alles Interesse hat, sich an der „Think Farm" zu beteiligen. „Wir haben hier jetzt ein queeres Spielentwicklerteam. Das war für uns Neuland, aber da wir auch diverser werden wollen, haben wir zugesagt." Aktuell ist übrigens noch ein großes Büro frei.