Zum zweiten Mal in Folge wird es nichts mit dem „Happy Slam" in Australien für den Sonnyboy aus der Schweiz. Sechsmal triumphierte Roger Federer beim Grand Slam. Die große Frage ist: Findet der Rekord-Spieler nach langer Pause noch einmal mehr den Start-Knopf?
Bei den Australian Open 2017 überraschte Roger Federer die Tennis-Szene mit einem Thriller-Grand-Slam-Sieg als Kontrast zu den Erschütterungen des Vorjahrs, die ihn aus den Top Ten warfen. Eine Spitzensaison folgte.
Anders 2019, als eine Achtelfinal-Niederlage gegen den damaligen Außenseiter Stefanos Tsitsipas das Ende der Ausnahmekarriere des Roger Federer einläutete: Erst verlor der Baseler den Mythos der Unbesiegbarkeit durch Unerfahrenere. Dann verfing er sich zunehmend in einer Spirale aus körperlichen Ermüdungserscheinungen, Verletzungen, Rückkehr-Hoffnungen und Rücktritts-Spekulationen.
Es war bei den Australian Open 2020, als Federer im Halbfinale seinem Erzrivalen Novak Djokovic unterlag. Eine nur marginal unterbrochene Langzeit-Pause des Leichthand-Zauberers folgte. Was den 40-Jährigen sicherlich nicht unberührt lässt: Mittlerweile hat der Serbe mit dem einstigen Rekord des Schweizers von 20 Grand-Slam-Titeln gleichgezogen. Ebenso Rafael Nadal, der Sandplatz-König, der seit Jahrzehnten auf Augenhöhe mit Federer spielt und auch allmählich mehr auf seinen Körper als auf die Sirenen des Sieges hört.
Was hat der Multi-Rekordhalter 2022 und darüber hinaus vor? Um allen Rätseln um seine Rückkehr nach seiner dritten Knie-Operation ein Ende zu bereiten, hatte Roger Federer Mitte November zum Telefon gegriffen und den Genfer Journalisten Mathieu Aeschmann angerufen, um den Tennis-Kosmos upzudaten. Dessen 40-minütiges Gespräch mit dem Maestro, das Aeschmann für die Westschweizer Zeitung „24 Heures" aufschrieb, übersetzte Simon Graf für den „Tagesanzeiger" (Schweiz). Graf brachte die wesentlichen Zitate auch über Twitter zu den Fans des „GOAT", wie viele den aus ihrer Sicht „Größten aller Zeiten" jetzt schon nennen.
Nadal und Djokovic im Nacken
Zum Jahresanfang 2022 gibt es für seine Fans einen Sonnenstrahl in Richtung Sommer – und auf neuerliche, möglicherweise auch letzte Auftritte des Maestros auf den Tennisbühnen der Welt. Allerdings noch nicht bei seinem Lieblingsturnier. „Ich wäre unglaublich überrascht, wenn ich in Wimbledon schon wieder spielen könnte", ließ der Grand-Slam-Superstar die Informationssuchenden wissen. Federer wird frühestens im März oder April wieder zum Training auf einem Tennisplatz stehen. Meniskus und Knorpel im rechten Knie hatten operative Eingriffe benötigt. „Ich muss sehr geduldig sein." Er habe einen langen Reha-Prozess begonnen, dem er sich mit Hingabe widme – und mit der Mentalität und dem Körper eines Top-Athleten.
Wimbledon, his love. Mit Winken vom Balkon, mit Royals, deren Blicke an seinen Bällen hängen. Vielleicht 2023 wieder? Als damals ältester Spieler gewann Federer mit 35 Jahren 2017 – inklusive des Rasen-Grand-Slams – mehr als einen Majors-Titel in einer Saison. Jetzt hofft er auf wenigstens einen weiteren Auftritt dort oder auch bei einem anderen Turnier. Federers Problem, das er mit anderen Tennisspielern teilt: Spätestens, wenn sie auf ihren 40. Geburtstag zusteuern, wissen sie nicht, wie sie ihre eigene Geschichte auf den legendären Courts beenden sollen. Siehe auch Serena Williams. Die Parallelen zwischen ihr und Roger Federer sind verblüffend: Eigentlich geht da noch was, es gelingen ihnen noch Geniestreiche gegen viel Jüngere. Andererseits funktioniert vieles nicht mehr, was in jüngeren Jahren ganz mühelos zu klappen schien. Die vielen Saisons auf den Plätzen der Welt, das Schinden im Fitnessraum, einseitige Belastungen im Leistungssport auf Profilevel haben Spuren hinterlassen. Andre Agassi, Tennis-Ikone und Ehemann von Steffi Graf, schildert in seinem Buch „Open", welche Qual es für ihn mit den Blessuren eines endlosen Leistungsmarathons bei seinen letzten Turnieren bedeutete, zu spielen, zu schlafen, den Alltag zu leben.
Die Frage nach dem „Wie"
Federer will das nicht. Das machte er schon öfter klar, so auch in einem seiner „Updates" in Form eines Videos aus dem August 2021. Da war Wimbledon mit seiner 0:6-Niederlage im dritten Satz gegen den damals 24-jährigen Hubert Hurkacz schon ein paar Monate vorbei und ein weiterer Eingriff am Knie nötig. Da hatte er noch mehr von den Freuden eines vierfachen Vaters geschmeckt, der seine Kinder im heimischen Alltag begleitet, statt sie mit Entourage auf die Tour mitzuschleppen. Da hatte er seinen Unternehmerstatus und sein Stiftungsengagement ausweiten und ein komplett abgesichertes Leben ohne Lampenfieber und Versagensängste schätzen lernen können. Am Ende seines desaströsen 2021er-Wimbledon-Intermezzos, zu dessen Gunsten er sich ohne Niederlage aus dem laufenden Turnier der French Open verabschiedet hatte, ließ Federer offen, wie es für ihn weitergeht. Die Rede war schon da nicht mehr davon, dass keine Notwendigkeit bestünde, den Profizirkus zu verlassen, nur weil ein Sportler an Jahren zulege. Vielmehr ging es um die Frage des „Wie". Serena Williams sprach nach ihrem letzten Auftritt bei den Australian Open und nach ihrem emotionalen Goodbye Richtung Publikum davon, dass es keiner bemerken solle, wenn sie sich vom Tennis verabschiede. Ob Williams oder Federer: Zwei, die in und für ihren Sport außergewöhnlich viel erreicht haben – können diese Granden geräuschlos gehen? Einfach den Rest den Biografen überlassen?
Klar ist für Federer mit Blick auf die neue Saison: „Australien ist keine Option." Das sei keine Überraschung für ihn. „Schon vor der Operation wussten wir, dass eine mehrmonatige Pause danach notwendig sein würde." Federer sagte auch, er glaube, dass er immer noch auf dem höchsten Niveau spielen könne. Er wisse, dass das „unglaublich schwierig" sei. „Aber ich glaube an diese Art von Wundern. Ich habe sie selbst erlebt." Wenn er auf die Tour zurückkehrt, sei dies seine Art, all seinen Fans für ihre Unterstützung zu danken. „Es wäre einfach gewesen zu sagen: ‚Lasst uns hier aufhören‘. Aber sie verdienen es besser, als was sie von mir während der vergangenen Rasen-Saison gesehen haben."
Zu Null im dritten Satz des Viertelfinales in Wimbledon: So geht kein Maestro von der Bühne. Der wiederum kokettiert damit, ob sich die Menschen an diesen letzten Satz erinnern werden oder an seine Grand-Slam-Titel. In Bezug auf Geld sei er schon seit ein paar Jahren „sehr relaxt". Rücktritt? Das sei eine sehr persönliche Entscheidung. Federer will es noch mal wissen. Noch ein paar große Matches spielen. Trotz alledem. Ein Fan schrieb auf Twitter: „Wir wünschen Roger Federer, dass er gesund bleibt für sein Leben nach dem Tennis."