Peter Wright ist zum zweiten Mal Darts-Weltmeister. Seine gewagten Outfits, seine schräge Frisur und der Name „Snakebite" dienen nur als Verkleidung und Maske – denn eigentlich war er ein ganz schüchterner Junge.
Als im Alexandra Palace die Darts-WM zu Ende ging, mussten die Fans ein wenig warten, bis sie wirklich die Qualität eines Finals zu sehen bekamen. Denn Peter Wright und Michael Smith lieferten sich im erst zweiten Leg des ersten Satzes einen Abnutzungskampf, der an Spielrunden im heimischen Keller erinnerte. Erst der 28. Pfeil von Michael Smith fand den Weg in ein Doppelfeld und beendete damit das schlechteste Leg der gesamten Weltmeisterschaft. Eine gewisse Ironie hat das Ganze. Denn danach zog das Finale immens an und wurde zu einem der besten der vergangenen Jahre. Am Ende hatte der Schotte Peter Wright die Nase vorn und krönte sich zum zweiten Mal nach 2020 zum Weltmeister der Professional Darts Corporation. Damit stieß er die Tür zu einem elitären Kreis auf: Nur fünf Spielern vor ihm gelang es, die WM mehr als einmal zu gewinnen. 500.000 britische Pfund Preisgeld und die Sid-Waddell-Trophy gab es obendrauf.
Nach dem letzten Pfeil spielten sich auf der Bühne hochemotionale Szenen ab. Ein vor Freude gerührter Wright kämpfte mit den Tränen, der enttäuschte Verlierer Smith verlor den Kampf und musste seiner Enttäuschung freien Lauf lassen. Im obligatorischen Siegerinterview wirkte Wright dann eher so, als ob er sich dafür entschuldigen wolle, gewonnen zu haben: „Ich habe so schlecht gespielt, Michael ließ mich dann in die Partie, und ich konnte doch noch meine Darts spielen, wie ich es eigentlich wollte." Aus dem schrillen „Snakebite", der immer mit großem Brimborium auf die Bühne marschiert, wurde innerhalb weniger Momente wieder Peter. Ein schüchterner Mann, der aus eher ärmlichen Verhältnissen stammt und solch einen extravaganten Bühnencharakter erschaffen musste, um den Größen des Sports mit Selbstvertrauen entgegentreten zu können. Die Gründe dafür liegen in seiner Vergangenheit.
Zielscheiben auf Bäume gemalt
Zu seinem 13. Geburtstag schenkte ihm seine Mutter ein paar Dartpfeile. Seine Mutter war alleinerziehend, Wright wuchs in eher ärmlichen Verhältnissen auf. Ein Board zu den Pfeilen war schlicht und ergreifend zu teuer. So wurde der junge Wright kreativ und malte sich Zielscheiben auf Bäume – knapp vier Jahre später war Wright einer der besten Spieler Londons, traute sich aber nicht, den Schritt in das Profitum zu wagen. Nachdem er bei einer WM der British Darts Organisation im Jahr 1995 in der ersten Runde ausschied, begrub er seinen Traum vom erfolgreichen Dartsprofi recht schnell. Er spielte auf regionalem Level und verdiente sein Geld mit Gelegenheitsjobs. Erst zwölf Jahre später ermutigte seine Frau Joanne ihn dazu, es doch als Profi zu versuchen. Als er und seine Frau gemeinsam auf der Couch lagen und sich ein Darts-Turnier ansahen, erzählte Wright seiner Frau, dass er die meisten Spieler da auf dem Bildschirm schon geschlagen habe – dann drängte sie ihn dazu, seinen Traum zu verwirklichen. „Er hatte nie jemanden, der ihn unterstützt hat", erzählte Joanne Wright 2017 dem „Telegraph". „Jeder sagte ihm, dass er es nie schaffen wird. Er war einfach zu schüchtern. Wir mussten ihm Selbstvertrauen verschaffen."
So war es sicherlich passend, dass Joanne als Friseurin mächtigen Einfluss nehmen konnte. So wurde aus dem Vokuhila ein bunter Mohawk-Schnitt. Dazu ein paar bunte Shirts und Hosen, ein auf die linke Kopfseite aufgemalter Schlangenkopf und aufgemalte Schlangenhaut auf der rechten. Aus dem schüchternen und oft von Selbstzweifeln geplagten Peter wurde vor großen Darts-Turnieren „Snakebite" – und das alter Ego voller Selbstvertrauen war erschaffen. Nachdem Wright es dann tatsächlich richtig wissen wollte, sollte die Weltmeisterschaft 2014 seine letzte werden – denn am Ende des Jahres stand bis dahin ein dickes Minus. Bei dieser Weltmeisterschaft spielte er sich jedoch überraschend ins Finale, sackte 100.000 Pfund Preisgeld ein und sorgte somit für die endgültige Wende innerhalb seiner Karriere. Danach ging es stetig bergauf, auch wenn er die großen Endspiele fast konstant verlor. Das änderte sich bei der WM 2020, als er nach neun Finalniederlagen in Folge gegen den langjährigen Superstar Michael van Gerwen diesen ausgerechnet im Finale der Weltmeisterschaft schlug. In den vergangenen beiden Spielzeiten gewann „Snakebite" dann mehr Turniere als jeder andere Spieler auf der Tour. Dann jetzt noch der Titel als Weltmeister, wo er doch im Vorfeld hellseherische Fähigkeiten an den Tag legte. Im vergangenen Juli sagte Wright voraus, er würde in dieser Saison das World Matchplay und die WM gewinnen. Er hielt Wort, weil er genau in dem Moment Weltklasse zeigte, als er zu verlieren drohte. Und das öfter bei dieser Weltmeisterschaft. Wright zeigte in fast keinem Spiel von Beginn bis Ende keine Schwächephasen, immer mal wieder war er unzufrieden mit seinen Pfeilen, wechselte sie im Turnierverlauf öfter, verschenkte sogar welche nach seinem allerersten Auftritt – samt Spitzen. Eine Seltenheit im Dartsport. Und so ähnlich wie die gesamte WM war auch sein Finale. Nach einem nervösen Start mit Schwächen auf die Doppelfelder von Smith lag Wright, der wieder einmal mehrfach innerhalb einer Partie seine Darts wechselte, nach zwischenzeitlicher 2:0-Satzführung 4:5 in den Sätzen und 0:2 in den Legs zurück. Smith, der all seine fünf bisherigen Major-Finals verlor, fehlte noch ein Leg zum 6:4 in den Sätzen. Und dann spielte Peter Wright die womöglich besten zehn Minuten, die jemals in einem WM-Endspiel gezeigt worden sind. Als es darauf ankam, war er da – wie so oft in seiner Karriere. Acht Legs in Folge gingen an den Weltmeister von 2020, der dabei nicht einmal mehr als 15 Pfeile brauchte, um von 501 auf null Punkte zu kommen.
Weltmeister Wright fühlt sich zu alt zum Feiern
Da Peter Wright der Titel des ewigen Zweitplatzierten auch für lange Zeit innehatte, konnte er mit seinem Gegner nur zu gut mitfühlen. Denn Michael Smith erging es so, wie es Wright über Jahre ging. Smith verlor alle Finals in diesem Jahr, seine letzten Titel sind vier und sieben Jahre her. Während des Siegerinterviews blickte Wright zu Smith, der seine Tränen nicht mehr zurückhalten konnte – und Wright kämpfte daraufhin ebenfalls mit den Tränen. Sich in diese Gefühle empathisch einzufühlen war für den Schotten nicht schwer, wo es ihm über Jahre doch genauso ging. Doch mittlerweile hat sich alles gedreht. Vor der gigantischen Sid-Waddell-Trophy küsste Weltmeister Wright seine Frau Joanne, direkt danach kündigte der Mann mit dem roten Irokesenschnitt eine neue Darts-Ära an. „Natürlich kann ich noch drei Weltmeisterschaften gewinnen, bevor ich zu alt bin", behauptete der 51 Jahre alte Schotte nach seinem Triumph von London. Als er das rund 25 Kilogramm schwere Pokal-Prachtexemplar bei seinem nächtlichen Interviewmarathon präsentierte, sagte Wright stolz: „Sie ist zurück. Das ist meine Lady." Der für seine bunten Haare und bunten Kleider bekannte Paradiesvogel hat eine famose Saison gekrönt und liegt nun in der Weltrangliste nur noch rund 15.000 Pfund hinter Primus Gerwyn Price aus Wales. „Am Ende dieses Jahres sollte ich die Nummer eins sein und das als erster Schotte in der Geschichte", betonte Wright. Auch 2022 soll sein Jahr werden.
Die ganz wilde Sause, die er nach seinem Premierentriumph vor zwei Jahren gegen den Niederländer Michael van Gerwen noch ankündigte, fiel diesmal nach Aussagen des Publikumslieblings aus. „Es gibt keine Party, aber ein oder zwei Tassen Tee", sagte Wright. Er sei einfach zu alt dafür. Doch aufgrund seines Alters dieses nervenaufreibende Dartspiel sein lassen? Niemals. „Ich trete nicht zurück, nicht jetzt. Jo würde mich nicht lassen", stellte Wright klar und lachte.
Für Wright soll es triumphal weitergehen. Der Premier-League-Titel fehlt ihm noch, die Ablösung von Muskelprotz Gerwin Price als Nummer eins dürfte angesichts des starken Jahres 2021 nur eine Frage der Zeit sein. Wright sieht sich auf dem Olymp seiner Sportart: „Jetzt habe ich zwei! Das war kein Glück. Dieses Turnier ein zweites Mal zu gewinnen, ist ganz besonders", sagte er. Zwar fühlt er sich zu alt zum Feiern, weiterhin erfolgreich Dart spielen geht aber schon.