Mit Lisa Becker als Spitzenkandidatin ziehen die Saar-Grünen in den Wahlkampf. Als letzte der etablierten Parteien haben sie ihre Listen zur Landtagswahl am 27. März aufgestellt – und dabei gleich die Partei nach den internen Auseinandersetzungen gehörig umgekrempelt.
Für einen Sekundenbruchteil war Stille in der Saarlandhalle. Dann lautstarker Applaus und eine lange Gratulationstour. Am Ende stand Lisa Becker noch sichtlich bewegt auf der Bühne, den Strauß für die gewonnene Wahl in beiden Händen. Die Überraschung war so perfekt, dass die Wahl der weiteren Plätze auf der Landesliste zur Landtagswahl fast schon Nebensache geworden war. Einige Delegierte sprachen anschließend gar von einem „historischen Ereignis" für die Saar-Grünen. Hubert Ulrich, langjähriger Ex-Parteichef, gratulierte Lisa Becker mit den Worten: „Das ist Demokratie". Seine Ära scheint zu Ende zu gehen.
Dafür spricht auch das Wahlergebnis. Lisa Becker, Kandidatin des Grünen Bündnisses, der innerparteilichen Kritiker von Hubert Ulrich, hatte sich klar mit 111 zu 80 Stimmen in einer Kampfabstimmung gegen Kiymet Göktas durchgesetzt. Göktas kommt aus dem Grünen Kreisverband Saarlouis von Hubert Ulrich.
Damit haben es die Grünen wenige Tage vor Fristablauf geschafft, ihre Liste aufzustellen und innerparteiliche Mehrheiten zu verändern. Es ist gerade mal etwas mehr als ein halbes Jahr her, dass die kurzzeitige Parteivorsitzende Barbara Meyer-Gluche meinte, an Ulrich und seinem mitgliederstarken Kreisverband Saarlouis führe nichts vorbei.
In monatelangen innerparteilichen Auseinandersetzungen ist es aber den Ulrich-Kritikern und -Gegnern ganz offensichtlich gelungen, eine andere Mehrheit zu organisieren. Dass es so klar lief, war sicher auch Parteichefin Uta Sullenberger zu verdanken. Die hatte vor der Versammlung ihre Kandidatur als Spitzenkandidatin angekündigt, wie es für eine Vorsitzende erwartbar ist, dann aber auf der Versammlung ihren Verzicht erklärt. Damit verhinderte sie ein mögliches Stimmensplitting. Dass neue Mehrheiten stehen, zeigte sich dann auch am 113-zu-66-Ergebnis für Sören Bund-Becker auf Platz zwei der Landesliste. Sullenberger selbst erklärte später auf die Frage, ob mit ihrem Rückzug ihre Position als Vorsitzende geschwächt sei: „Im Prinzip fühle ich mich als Gewinnerin".
Die frisch gekürte Spitzenkandidatin würde das Wort vom historischen Ereignis „unterstreichen". Die Mehrheitsverhältnisse hätten „sich stark verändert".
Es war ein steiniger Weg an die Spitze
Zu den letzten Monaten ständiger Konflikte ergänzt Becker: „Der Weg war schwer und steinig, zeitintensiv und nervenaufreibend". Für den Wahlkampf erwartet sie nun auch die aktive Unterstützung derer, die sie nicht gewählt haben. „Wir sind eine Partei, und ich gehe davon aus, dass jeder die Partei gern im Landtag vertreten sehen möchte".
Dass der Wahlkampf jetzt zusammenschweißen kann, damit neuer Friede und neue Harmonie einkehren würden, davon geht allerdings kaum einer aus. Zumindest ist den Grünen klar, dass sie einiges gutzumachen haben. Dass sie es nämlich versemmelt hatten, eine gültige Landesliste zur Bundestagswahl zustande zu bringen, hat viele Anhänger irritiert und enttäuscht. Nicht umsonst konnte mit „bunt.saar" ein Wahlbündnis entstehen, das im enttäuschten bürgerlich-grünen Milieu Anhänger finden dürfte.
Vor allem haben die noch über die Bundestagswahl hinaus gehenden internen Konflikte Zweifel an der Politikfähigkeit der Partei aufkommen lassen. Lisa Becker ist dennoch zuversichtlich, „dass wir das Vertrauen wieder zurückgewinnen können, weil wir ein ganz starkes Team haben. Da sind Kompetenzen und Stärken vorhanden, auch die Grüne Jugend darf nicht unerwähnt bleiben. Wir werden das zusammen rocken."
Dass eine vernehmbare grüne Stimme die Arbeit im Landesparlament erheblich beleben würde, davon ist nach den Erfahrungen der zu Ende gehenden Legislaturperiode auszugehen.
Wenn allerdings ein Delegierter in der Fragerunde bei der Vorstellung der Kandidatinnen die Frage nach einer möglichen Koalition aufwarf, wirkte das durchaus irritierend nach dem Bild, das die Saar-Grünen im letzten halben Jahr geboten haben. Dafür ist ihnen vieles zugeschrieben worden, aber regierungsfähig war nicht dabei.
Unabhängig von den Interna haben die Grünen das Problem von fünf Jahren außerparlamentarischen Daseins und entsprechend aum ausgeprägte landespolitische Erfahrung. In den Kommunen sieht das aus anders aus. Lisa Becker steht selbst dafür als Beigeordnete in Blieskastel. Nicht zuletzt deshalb ist es ihr auch ein Anliegen, das Thema Kommunalfinanzen im Wahlkampf besonders zu betonen, neben den grünen Klassikern wie Ausbau erneuerbarer Energien und der kritischen Begleitung der Ansiedlungspolitik, namentlich bei der geplanten Batteriefabrik SVolt.
Saarland traditionell keine Grünen-Hochburg
Landespolitische Kompetenz blitzte bei Barbara Meyer-Gluche auf, deren kämpferisches Grußwort zeitweise wirkte, als würde sie sich selbst um die Spitzenkandidatur bewerben. Die Saarbrücker Bürgermeisterin startete einen Appell an die Geschlossenheit der Partei, der umso glaubwürdiger wirkte, als sie sich selbst schließlich wenige Wochen nach ihrer Wahl zur Vorsitzenden zum Rückzug entschieden hatte. Jetzt müssten die Grünen zeigen, „dass wir eine professionelle Partei sind und keine Chaostruppe". Das Land brauche Veränderung, schließlich würden „CDU und SPD aus Angst vor Veränderung das Land lähmen". Damit sind die Wahlkampfslogans gesetzt.
Unterstützung für die jetzt neu zusammengesetzten Landes- sowie Wahlkreislisten können sich die Spitzenkandidatinnen aus Berlin erhoffen. Die Rückenstärkung der Wahlkampforganisation liegt schon im eigenen Interesse der Bundespartei, die mit Teilen des bisherigen Personals in heftigem Clinch lag. Die Trennung von Spitzenkandidatur und Parteiführung kann dabei sogar hilfreich sein.
Ob die Gesamtstimmung für die Grünen so bleiben wird nach der Ampelbildung in Berlin, wird nicht zuletzt vom Bundesparteitag abhängen, auf dem die Grünen eine neue Doppelspitze wählen, notwendig weil Annalena Baerbock und Robert Habeck bekanntlich inzwischen in Regierungsämtern Verantwortung tragen.
Was es für die Saar-Grünen nach den letzten Monaten zusätzlich schwierig machen dürfte: Das Saarland ist schon traditionell alles andere als eine grüne Hochburg. Die Spitzenkandidatin hat in weiten Teilen des Landes keinen bekannten Namen. Und wenn am Schluss das Duell in der Ministerpräsidentenfrage ansteht, geht das nach allen bisherigen Erfahrung zulasten der kleineren Parteien. Aber die können schlussendlich auch das Zünglein an der Waage werden. Dazu müssen sie aber zuerst den Sprung über die Fünfprozenthürde schaffen. Und auch der Weg wird noch „schwer und steinig".